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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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so war es dieser selbst vorab um die Schilderung eines die Seele rührenden
Inhaltes zu thun, und dazu genügten ihr ungewisse Formen, wenn sie nur
das Gemüth in Schwingung versetzten. Auf ti^se Weise war eine ganze Rich¬
tung der düsseldorfer Schule, sowie das Nazarenerthum, mit dem
in der Architektur die Erneuerung des gothischen Kirchenstils Hand in
Hand ging, zu allgemeiner Anerkennung gekommen.

Inzwischen hatte sich der reale Trieb der Zeit, da mit der Gegenwart so
wenig anzufangen war, an die geschichtliche Erforschung der Vergangenheit
gemacht: hier nicht blos spielend und nach Belieben auswählend, sondern mit
gründlichem, dem festen Zusammenhang der Thatsachen nachspürenden Ernst.
Diese Richtung traf zusammen mit dem durch die Noth und Rettung des Vater¬
landes wiedererwachten nationalen Sinn, der gleichfalls, da sich ihm die Wirk¬
lichkeit nicht fügen wollte, an der Geschichte zu wachsen und zu erstarken suchte.
Als dann die Forschung in bisher dunkle und unzugängliche Gebiete Licht
gebracht und nun das frühere Leben der Völker, der reiche Schatz ihrer Tha¬
ten und Schicksale vor'Augen lag, da erfüllte sich auch die Phantasie mit
diesen Stoffen und es erwachte das Bedürfniß, sich von ihnen eine Vorstellung,
ein Bild zu machen.

Der Gang der Geschichte zog in lebendiger Folge an ihr vorüber; aber
natürlich schwebten die Gestalten nur wie Schatten vor dem inneren Auge und
die Anschauung verlangte, sie im Raume festgehalten, in sicherer Zeichnung aus¬
geprägt zu sehen. Von seiner Seite empfand das sich ausbreitende philosophische
Bewußtsein, welches das Jenseits zertrümmert hatte und in dem Diesseits als
der wahren Welt sich einzurichten suchte, denselben Trieb. Und wenn endlich
das nationale Streben von der drückenden Schmach, mit welcher das politische
Elend der Zeit auf ihm lastete, an der besseren Vergangenheit sich aufzurichten
meinte: so war es auch ihm ein Trost, an dem Schein dieser schöneren Welt
sich über das wirkliche Unglück zu täuschen. So war die Phantasie, zudem
von der Schlaffheit der thatenloser Zeit abgestoßen, auf den Anblick großer
Ereignisse und heldenmäßiger Menschen begie.rig; wie sie andrerseits von der
Prosa der neu geregelten Zustände in den von der literarischen Forschung aus¬
geschlossenen Kreis der früheren Dichtungen geflüchtet, auch diese neuentdeckten
poetischen Gestalten versinnlicht haben wollte. Auch diesen neuen Bedürfnissen
fügte sich die Kunst, namentlich wie wir früher gesehen, die Münchener
Schule. Sie suchte die großen Menschen der nationalen Geschichte und Poesie
in gewaltige Umrisse zu fassen, ihre Kraft in kolossalen Zügen wiederzugeben.
So ungefähr mochte sich die noch ungebildete Anschauung des Volkes seine
Helden vorgestellt haben, und die Kunst gab ihr eben das, was sie verlangte:
in wuchtiger Form verkörperte Erzählungen, Schilderungen poetischer oder
dramatischer Scenen, von einer recht greifbaren Bewegtheit des Ausdrucks und


so war es dieser selbst vorab um die Schilderung eines die Seele rührenden
Inhaltes zu thun, und dazu genügten ihr ungewisse Formen, wenn sie nur
das Gemüth in Schwingung versetzten. Auf ti^se Weise war eine ganze Rich¬
tung der düsseldorfer Schule, sowie das Nazarenerthum, mit dem
in der Architektur die Erneuerung des gothischen Kirchenstils Hand in
Hand ging, zu allgemeiner Anerkennung gekommen.

Inzwischen hatte sich der reale Trieb der Zeit, da mit der Gegenwart so
wenig anzufangen war, an die geschichtliche Erforschung der Vergangenheit
gemacht: hier nicht blos spielend und nach Belieben auswählend, sondern mit
gründlichem, dem festen Zusammenhang der Thatsachen nachspürenden Ernst.
Diese Richtung traf zusammen mit dem durch die Noth und Rettung des Vater¬
landes wiedererwachten nationalen Sinn, der gleichfalls, da sich ihm die Wirk¬
lichkeit nicht fügen wollte, an der Geschichte zu wachsen und zu erstarken suchte.
Als dann die Forschung in bisher dunkle und unzugängliche Gebiete Licht
gebracht und nun das frühere Leben der Völker, der reiche Schatz ihrer Tha¬
ten und Schicksale vor'Augen lag, da erfüllte sich auch die Phantasie mit
diesen Stoffen und es erwachte das Bedürfniß, sich von ihnen eine Vorstellung,
ein Bild zu machen.

Der Gang der Geschichte zog in lebendiger Folge an ihr vorüber; aber
natürlich schwebten die Gestalten nur wie Schatten vor dem inneren Auge und
die Anschauung verlangte, sie im Raume festgehalten, in sicherer Zeichnung aus¬
geprägt zu sehen. Von seiner Seite empfand das sich ausbreitende philosophische
Bewußtsein, welches das Jenseits zertrümmert hatte und in dem Diesseits als
der wahren Welt sich einzurichten suchte, denselben Trieb. Und wenn endlich
das nationale Streben von der drückenden Schmach, mit welcher das politische
Elend der Zeit auf ihm lastete, an der besseren Vergangenheit sich aufzurichten
meinte: so war es auch ihm ein Trost, an dem Schein dieser schöneren Welt
sich über das wirkliche Unglück zu täuschen. So war die Phantasie, zudem
von der Schlaffheit der thatenloser Zeit abgestoßen, auf den Anblick großer
Ereignisse und heldenmäßiger Menschen begie.rig; wie sie andrerseits von der
Prosa der neu geregelten Zustände in den von der literarischen Forschung aus¬
geschlossenen Kreis der früheren Dichtungen geflüchtet, auch diese neuentdeckten
poetischen Gestalten versinnlicht haben wollte. Auch diesen neuen Bedürfnissen
fügte sich die Kunst, namentlich wie wir früher gesehen, die Münchener
Schule. Sie suchte die großen Menschen der nationalen Geschichte und Poesie
in gewaltige Umrisse zu fassen, ihre Kraft in kolossalen Zügen wiederzugeben.
So ungefähr mochte sich die noch ungebildete Anschauung des Volkes seine
Helden vorgestellt haben, und die Kunst gab ihr eben das, was sie verlangte:
in wuchtiger Form verkörperte Erzählungen, Schilderungen poetischer oder
dramatischer Scenen, von einer recht greifbaren Bewegtheit des Ausdrucks und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/308>, abgerufen am 23.07.2024.