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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Betrachtung gezogen. Der Verfasser sagt darüber in der Vorrede: "Die mo¬
dernen Schriftsprachen sind auf gleiche Weise entstanden. Ein Dialekt liegt zu
Grunde; politische Verhältnisse oder literarische Erscheinungen oder beide heben
denselben und machen ihn zur Gesammtsprache der Nation; aber die in den
verschiedenen Landschaften forlklingenden Dialekte führen dieser Gesammtsprache
stets neue Elemente zu. So ist unsere neue hochdeutsche Sprache ein mittel¬
deutscher Dialekt, der zu officiellen Gebrauche in Sachsen gelangt, im öffent¬
lichen auswärtigen Verkehr Elemente aus anderen oberdeutschen Dialekten zuläßt,
durch die religiösen Kämpfe sich über Deutschland ausbreitet und Schriftsprache
des ganzen Volkes wird, der aber noch heute aus den Dialekten sich bereichert.
Der Dialekt Castiliens, der durch die ganze Mitte der Halbinsel von dem nörd¬
lichen bis zum südlichen Meere erklingt, ist zur Gesammtsprache Spaniens ge¬
worden. Einer der drei nordfranzösischen Dialekte -- ob der pikardische, lo¬
thringische oder burgundische, ist bis jetzt nicht festgestellt -- wird Schriftsprache
Frankreichs. Will man daher eine Schriftsprache historisch begründen, so muß
man mit den Dialekten beginnen. Diese müssen in ihrem historischen Verlaufe
und ihren unterscheidenden Eigenthümlichkeiten dargestellt werden. Erst dann
läßt sich mit Sicherheit bestimmen, von welchem Dialekte die Schriftsprache
ausgeht, welche Schriftsteller zuerst aus den Schranken dieses Dialektes heraus¬
treten, welche Abweichungen sie sich erlauben und wodurch diese veranlaßt sind,
wie der so theilweise umgestaltete Dialekt sich über die anderen Dialekte erhebt
und Gesammtsprache wird. Ob eine solche Darstellung möglich ist, das hängt
freilich von den nothwendigen literarischen Documenten ab. -- Auch die englische
Schriftsprache hat sich so entwickelt, wahrscheinlich aus dem binnenländischen
Dialekte. Auch bei dem Versuche sie historisch zu begründen, wird man von
den Dialekten ausgehen müssen, um Haupt- und Nebencontribuenten mit Sicher¬
heit herausfinden zu können. Allein erst in späterer Zeit wird die reiche Lite¬
ratur die Durchführung eines solchen Versuches ermöglichen. Denn noch fließen
die historischen Quellen, obgleich die englischen Philologen in der Erforschung
ihrer Sprache sehr thätig sind, nicht so reichlich, um eine Geschichte der Haupt-
dialckte schreiben zu können; noch sind die gegenwärtigen Dialekte nicht aus¬
reichend wissenschaftlich bearveitet. um die Eigenthümlichkeiten derselben feststellen
zu können. Die Behandlung, die sie in den zahlreichen Glossaren erfahren, ist
mehr lexikalisch als grammatisch. So lange nicht ein reicheres Material und
eine genaue grammatische Darstellung der Dialekte vorliegt, wird eine historische
Begründung der Schriftsprache unvollständig sein und es wird kein anderer
Weg übrig bleiben, als der, den der Verfasser eingeschlagen und in der Ein¬
leitung dargelegt hat."

Das Keltische wurde bekanntlich nicht nur von den Bewohnern der bri¬
tischen Inseln gesprochen, sondern auch von den Bewohnern Belgiens, Galliens


Betrachtung gezogen. Der Verfasser sagt darüber in der Vorrede: „Die mo¬
dernen Schriftsprachen sind auf gleiche Weise entstanden. Ein Dialekt liegt zu
Grunde; politische Verhältnisse oder literarische Erscheinungen oder beide heben
denselben und machen ihn zur Gesammtsprache der Nation; aber die in den
verschiedenen Landschaften forlklingenden Dialekte führen dieser Gesammtsprache
stets neue Elemente zu. So ist unsere neue hochdeutsche Sprache ein mittel¬
deutscher Dialekt, der zu officiellen Gebrauche in Sachsen gelangt, im öffent¬
lichen auswärtigen Verkehr Elemente aus anderen oberdeutschen Dialekten zuläßt,
durch die religiösen Kämpfe sich über Deutschland ausbreitet und Schriftsprache
des ganzen Volkes wird, der aber noch heute aus den Dialekten sich bereichert.
Der Dialekt Castiliens, der durch die ganze Mitte der Halbinsel von dem nörd¬
lichen bis zum südlichen Meere erklingt, ist zur Gesammtsprache Spaniens ge¬
worden. Einer der drei nordfranzösischen Dialekte — ob der pikardische, lo¬
thringische oder burgundische, ist bis jetzt nicht festgestellt — wird Schriftsprache
Frankreichs. Will man daher eine Schriftsprache historisch begründen, so muß
man mit den Dialekten beginnen. Diese müssen in ihrem historischen Verlaufe
und ihren unterscheidenden Eigenthümlichkeiten dargestellt werden. Erst dann
läßt sich mit Sicherheit bestimmen, von welchem Dialekte die Schriftsprache
ausgeht, welche Schriftsteller zuerst aus den Schranken dieses Dialektes heraus¬
treten, welche Abweichungen sie sich erlauben und wodurch diese veranlaßt sind,
wie der so theilweise umgestaltete Dialekt sich über die anderen Dialekte erhebt
und Gesammtsprache wird. Ob eine solche Darstellung möglich ist, das hängt
freilich von den nothwendigen literarischen Documenten ab. — Auch die englische
Schriftsprache hat sich so entwickelt, wahrscheinlich aus dem binnenländischen
Dialekte. Auch bei dem Versuche sie historisch zu begründen, wird man von
den Dialekten ausgehen müssen, um Haupt- und Nebencontribuenten mit Sicher¬
heit herausfinden zu können. Allein erst in späterer Zeit wird die reiche Lite¬
ratur die Durchführung eines solchen Versuches ermöglichen. Denn noch fließen
die historischen Quellen, obgleich die englischen Philologen in der Erforschung
ihrer Sprache sehr thätig sind, nicht so reichlich, um eine Geschichte der Haupt-
dialckte schreiben zu können; noch sind die gegenwärtigen Dialekte nicht aus¬
reichend wissenschaftlich bearveitet. um die Eigenthümlichkeiten derselben feststellen
zu können. Die Behandlung, die sie in den zahlreichen Glossaren erfahren, ist
mehr lexikalisch als grammatisch. So lange nicht ein reicheres Material und
eine genaue grammatische Darstellung der Dialekte vorliegt, wird eine historische
Begründung der Schriftsprache unvollständig sein und es wird kein anderer
Weg übrig bleiben, als der, den der Verfasser eingeschlagen und in der Ein¬
leitung dargelegt hat."

Das Keltische wurde bekanntlich nicht nur von den Bewohnern der bri¬
tischen Inseln gesprochen, sondern auch von den Bewohnern Belgiens, Galliens


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[0282] Betrachtung gezogen. Der Verfasser sagt darüber in der Vorrede: „Die mo¬ dernen Schriftsprachen sind auf gleiche Weise entstanden. Ein Dialekt liegt zu Grunde; politische Verhältnisse oder literarische Erscheinungen oder beide heben denselben und machen ihn zur Gesammtsprache der Nation; aber die in den verschiedenen Landschaften forlklingenden Dialekte führen dieser Gesammtsprache stets neue Elemente zu. So ist unsere neue hochdeutsche Sprache ein mittel¬ deutscher Dialekt, der zu officiellen Gebrauche in Sachsen gelangt, im öffent¬ lichen auswärtigen Verkehr Elemente aus anderen oberdeutschen Dialekten zuläßt, durch die religiösen Kämpfe sich über Deutschland ausbreitet und Schriftsprache des ganzen Volkes wird, der aber noch heute aus den Dialekten sich bereichert. Der Dialekt Castiliens, der durch die ganze Mitte der Halbinsel von dem nörd¬ lichen bis zum südlichen Meere erklingt, ist zur Gesammtsprache Spaniens ge¬ worden. Einer der drei nordfranzösischen Dialekte — ob der pikardische, lo¬ thringische oder burgundische, ist bis jetzt nicht festgestellt — wird Schriftsprache Frankreichs. Will man daher eine Schriftsprache historisch begründen, so muß man mit den Dialekten beginnen. Diese müssen in ihrem historischen Verlaufe und ihren unterscheidenden Eigenthümlichkeiten dargestellt werden. Erst dann läßt sich mit Sicherheit bestimmen, von welchem Dialekte die Schriftsprache ausgeht, welche Schriftsteller zuerst aus den Schranken dieses Dialektes heraus¬ treten, welche Abweichungen sie sich erlauben und wodurch diese veranlaßt sind, wie der so theilweise umgestaltete Dialekt sich über die anderen Dialekte erhebt und Gesammtsprache wird. Ob eine solche Darstellung möglich ist, das hängt freilich von den nothwendigen literarischen Documenten ab. — Auch die englische Schriftsprache hat sich so entwickelt, wahrscheinlich aus dem binnenländischen Dialekte. Auch bei dem Versuche sie historisch zu begründen, wird man von den Dialekten ausgehen müssen, um Haupt- und Nebencontribuenten mit Sicher¬ heit herausfinden zu können. Allein erst in späterer Zeit wird die reiche Lite¬ ratur die Durchführung eines solchen Versuches ermöglichen. Denn noch fließen die historischen Quellen, obgleich die englischen Philologen in der Erforschung ihrer Sprache sehr thätig sind, nicht so reichlich, um eine Geschichte der Haupt- dialckte schreiben zu können; noch sind die gegenwärtigen Dialekte nicht aus¬ reichend wissenschaftlich bearveitet. um die Eigenthümlichkeiten derselben feststellen zu können. Die Behandlung, die sie in den zahlreichen Glossaren erfahren, ist mehr lexikalisch als grammatisch. So lange nicht ein reicheres Material und eine genaue grammatische Darstellung der Dialekte vorliegt, wird eine historische Begründung der Schriftsprache unvollständig sein und es wird kein anderer Weg übrig bleiben, als der, den der Verfasser eingeschlagen und in der Ein¬ leitung dargelegt hat." Das Keltische wurde bekanntlich nicht nur von den Bewohnern der bri¬ tischen Inseln gesprochen, sondern auch von den Bewohnern Belgiens, Galliens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/282>, abgerufen am 23.07.2024.