Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schwierigsten Aufträge ausgeführt. Wenn dann auch die Erscheinung in Form
und Ausdruck noch unbeholfen, in einer gewissen typischen Steifheit befangen
und zum vollen Schein des Lebens noch nickt aufgeschlossen war, so war doch
das Eis gebrochen und, mit dem ersten Schritt aus der Enge eines überliefer¬
ten und ausgelebten Ideenkreises in die neue Welt, eine neue fruchtbare Ent¬
wicklung eröffnet, welche alsdann die Nachfolger fortführten und vollendeten.
Aber für die moderne Kunst liegen die Verhältnisse ganz anders, als^für die¬
jenige früherer Zeiten. Nicht nur ist ihr das ganze bisherige geschichtliche Le¬
ben als Stoff überliefert, während ihr eine eigene gestaltenvolle Idealwelt
abgeht, sondern sie hat zugleich alle vergangenen Kunstformen überkommen,
und dies, wie jener Mangel, machen es ihr schwer, sich eine eigene Anschauungs¬
weise'zu bilden. So liegt ihr die doppelte Versuchung nahe, sich ebensowohl
in allen jenen Stoffen, als in allen diesen Formen zu versuchen oder auch vor¬
eilig auf dem Wege der Reflexion nach etwas Neuem zu streben. Vor diesen
Gefahren der Zersplitterung, der Verfluchung und des Experimentirens muß sie
behütet werden, und das eben, so scheint uns, haben die bayrischen Könige ver-
säumt. Statt sie aus jenem Labyrinth sich durch eigene Kraft herauswinden
ZU lassen, haben sie vielmehr sie tiefer hineingeführt- der eine, indem er in
allen möglichen Formen und Stilen bauen, ja, soweit das anging, auch malen
ließ, der andere, indem er die Architektur antrieb, sich ihre neue Gestalt, die
des neunzehnten Jahrhunderts, zu suchen, und die ganze Weltgeschichte im Bilde
baden wollte. Dazu kam -- wovon schon die Rede war -- noch das andere,
was allerdings weniger ihre Schuld war. als die der Zeitverhältnisse überhaupt:
daß nämlich der geschichtliche Stoff jetzt weit mehr die Phantasie des Malers
bindet, als in früheren Epochen. Denn wir wolle" die erfüllte Wahrheit des
Diesseits und halten den Schmuck der die Realität umflatterndem Idealgestalten.
welche in die Kunst der Renaissance und des Zopfs so viel Reiz und Heiterkeit
bringen, in unseren Tagen für eine bedenkliche Zugabe; und zudem erwartet
die geschichtskundige Gegenwart, auch das Kleid der Vergangenheit bis zum
alterthümlichen Stiefel und Sporn herab wiedergegeben zu sehen. Auch schien
Maximilian nur für die Darstellung historischer Stoffe Sinn und Neigung zu
haben und gab so der Kunst selten oder nie Gelegenheit, sich mit freiem Flügel¬
schlag in die schöne Welt idealer Gestalten zu erheben, die gerade in monu¬
mentaler Erscheinung von so großer künstlerischen Wirkung find. Endlich konnte
auch hier nicht ausbleiben, was bei fürstlichen Bestellern immer eintritt, wenn
sie nicht von Haus aus einen genialen eindringenden Blick für die ächten Ta¬
lente und eine feine Empfindung für das eigentlich Künstlerische haben: daß
sie. übel berathen, nicht immer die rechten Leute treffen und manche Aufträge
in Hände kommen, die geschickter sind, sich hcrzuzudrängen und die günstige
Gelegenheit zu ergreifen, als eine ernste und tüchtige Arbeit zu liefern.


schwierigsten Aufträge ausgeführt. Wenn dann auch die Erscheinung in Form
und Ausdruck noch unbeholfen, in einer gewissen typischen Steifheit befangen
und zum vollen Schein des Lebens noch nickt aufgeschlossen war, so war doch
das Eis gebrochen und, mit dem ersten Schritt aus der Enge eines überliefer¬
ten und ausgelebten Ideenkreises in die neue Welt, eine neue fruchtbare Ent¬
wicklung eröffnet, welche alsdann die Nachfolger fortführten und vollendeten.
Aber für die moderne Kunst liegen die Verhältnisse ganz anders, als^für die¬
jenige früherer Zeiten. Nicht nur ist ihr das ganze bisherige geschichtliche Le¬
ben als Stoff überliefert, während ihr eine eigene gestaltenvolle Idealwelt
abgeht, sondern sie hat zugleich alle vergangenen Kunstformen überkommen,
und dies, wie jener Mangel, machen es ihr schwer, sich eine eigene Anschauungs¬
weise'zu bilden. So liegt ihr die doppelte Versuchung nahe, sich ebensowohl
in allen jenen Stoffen, als in allen diesen Formen zu versuchen oder auch vor¬
eilig auf dem Wege der Reflexion nach etwas Neuem zu streben. Vor diesen
Gefahren der Zersplitterung, der Verfluchung und des Experimentirens muß sie
behütet werden, und das eben, so scheint uns, haben die bayrischen Könige ver-
säumt. Statt sie aus jenem Labyrinth sich durch eigene Kraft herauswinden
ZU lassen, haben sie vielmehr sie tiefer hineingeführt- der eine, indem er in
allen möglichen Formen und Stilen bauen, ja, soweit das anging, auch malen
ließ, der andere, indem er die Architektur antrieb, sich ihre neue Gestalt, die
des neunzehnten Jahrhunderts, zu suchen, und die ganze Weltgeschichte im Bilde
baden wollte. Dazu kam — wovon schon die Rede war — noch das andere,
was allerdings weniger ihre Schuld war. als die der Zeitverhältnisse überhaupt:
daß nämlich der geschichtliche Stoff jetzt weit mehr die Phantasie des Malers
bindet, als in früheren Epochen. Denn wir wolle» die erfüllte Wahrheit des
Diesseits und halten den Schmuck der die Realität umflatterndem Idealgestalten.
welche in die Kunst der Renaissance und des Zopfs so viel Reiz und Heiterkeit
bringen, in unseren Tagen für eine bedenkliche Zugabe; und zudem erwartet
die geschichtskundige Gegenwart, auch das Kleid der Vergangenheit bis zum
alterthümlichen Stiefel und Sporn herab wiedergegeben zu sehen. Auch schien
Maximilian nur für die Darstellung historischer Stoffe Sinn und Neigung zu
haben und gab so der Kunst selten oder nie Gelegenheit, sich mit freiem Flügel¬
schlag in die schöne Welt idealer Gestalten zu erheben, die gerade in monu¬
mentaler Erscheinung von so großer künstlerischen Wirkung find. Endlich konnte
auch hier nicht ausbleiben, was bei fürstlichen Bestellern immer eintritt, wenn
sie nicht von Haus aus einen genialen eindringenden Blick für die ächten Ta¬
lente und eine feine Empfindung für das eigentlich Künstlerische haben: daß
sie. übel berathen, nicht immer die rechten Leute treffen und manche Aufträge
in Hände kommen, die geschickter sind, sich hcrzuzudrängen und die günstige
Gelegenheit zu ergreifen, als eine ernste und tüchtige Arbeit zu liefern.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282268"/>
          <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59"> schwierigsten Aufträge ausgeführt. Wenn dann auch die Erscheinung in Form<lb/>
und Ausdruck noch unbeholfen, in einer gewissen typischen Steifheit befangen<lb/>
und zum vollen Schein des Lebens noch nickt aufgeschlossen war, so war doch<lb/>
das Eis gebrochen und, mit dem ersten Schritt aus der Enge eines überliefer¬<lb/>
ten und ausgelebten Ideenkreises in die neue Welt, eine neue fruchtbare Ent¬<lb/>
wicklung eröffnet, welche alsdann die Nachfolger fortführten und vollendeten.<lb/>
Aber für die moderne Kunst liegen die Verhältnisse ganz anders, als^für die¬<lb/>
jenige früherer Zeiten.  Nicht nur ist ihr das ganze bisherige geschichtliche Le¬<lb/>
ben als Stoff überliefert, während ihr eine eigene gestaltenvolle Idealwelt<lb/>
abgeht, sondern sie hat zugleich alle vergangenen Kunstformen überkommen,<lb/>
und dies, wie jener Mangel, machen es ihr schwer, sich eine eigene Anschauungs¬<lb/>
weise'zu bilden.  So liegt ihr die doppelte Versuchung nahe, sich ebensowohl<lb/>
in allen jenen Stoffen, als in allen diesen Formen zu versuchen oder auch vor¬<lb/>
eilig auf dem Wege der Reflexion nach etwas Neuem zu streben. Vor diesen<lb/>
Gefahren der Zersplitterung, der Verfluchung und des Experimentirens muß sie<lb/>
behütet werden, und das eben, so scheint uns, haben die bayrischen Könige ver-<lb/>
säumt.  Statt sie aus jenem Labyrinth sich durch eigene Kraft herauswinden<lb/>
ZU lassen, haben sie vielmehr sie tiefer hineingeführt- der eine, indem er in<lb/>
allen möglichen Formen und Stilen bauen, ja, soweit das anging, auch malen<lb/>
ließ, der andere, indem er die Architektur antrieb, sich ihre neue Gestalt, die<lb/>
des neunzehnten Jahrhunderts, zu suchen, und die ganze Weltgeschichte im Bilde<lb/>
baden wollte.  Dazu kam &#x2014; wovon schon die Rede war &#x2014; noch das andere,<lb/>
was allerdings weniger ihre Schuld war. als die der Zeitverhältnisse überhaupt:<lb/>
daß nämlich der geschichtliche Stoff jetzt weit mehr die Phantasie des Malers<lb/>
bindet, als in früheren Epochen.  Denn wir wolle» die erfüllte Wahrheit des<lb/>
Diesseits und halten den Schmuck der die Realität umflatterndem Idealgestalten.<lb/>
welche in die Kunst der Renaissance und des Zopfs so viel Reiz und Heiterkeit<lb/>
bringen, in unseren Tagen für eine bedenkliche Zugabe; und zudem erwartet<lb/>
die geschichtskundige Gegenwart, auch das Kleid der Vergangenheit bis zum<lb/>
alterthümlichen Stiefel und Sporn herab wiedergegeben zu sehen. Auch schien<lb/>
Maximilian nur für die Darstellung historischer Stoffe Sinn und Neigung zu<lb/>
haben und gab so der Kunst selten oder nie Gelegenheit, sich mit freiem Flügel¬<lb/>
schlag in die schöne Welt idealer Gestalten zu erheben, die gerade in monu¬<lb/>
mentaler Erscheinung von so großer künstlerischen Wirkung find. Endlich konnte<lb/>
auch hier nicht ausbleiben, was bei fürstlichen Bestellern immer eintritt, wenn<lb/>
sie nicht von Haus aus einen genialen eindringenden Blick für die ächten Ta¬<lb/>
lente und eine feine Empfindung für das eigentlich Künstlerische haben: daß<lb/>
sie. übel berathen, nicht immer die rechten Leute treffen und manche Aufträge<lb/>
in Hände kommen, die geschickter sind, sich hcrzuzudrängen und die günstige<lb/>
Gelegenheit zu ergreifen, als eine ernste und tüchtige Arbeit zu liefern.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] schwierigsten Aufträge ausgeführt. Wenn dann auch die Erscheinung in Form und Ausdruck noch unbeholfen, in einer gewissen typischen Steifheit befangen und zum vollen Schein des Lebens noch nickt aufgeschlossen war, so war doch das Eis gebrochen und, mit dem ersten Schritt aus der Enge eines überliefer¬ ten und ausgelebten Ideenkreises in die neue Welt, eine neue fruchtbare Ent¬ wicklung eröffnet, welche alsdann die Nachfolger fortführten und vollendeten. Aber für die moderne Kunst liegen die Verhältnisse ganz anders, als^für die¬ jenige früherer Zeiten. Nicht nur ist ihr das ganze bisherige geschichtliche Le¬ ben als Stoff überliefert, während ihr eine eigene gestaltenvolle Idealwelt abgeht, sondern sie hat zugleich alle vergangenen Kunstformen überkommen, und dies, wie jener Mangel, machen es ihr schwer, sich eine eigene Anschauungs¬ weise'zu bilden. So liegt ihr die doppelte Versuchung nahe, sich ebensowohl in allen jenen Stoffen, als in allen diesen Formen zu versuchen oder auch vor¬ eilig auf dem Wege der Reflexion nach etwas Neuem zu streben. Vor diesen Gefahren der Zersplitterung, der Verfluchung und des Experimentirens muß sie behütet werden, und das eben, so scheint uns, haben die bayrischen Könige ver- säumt. Statt sie aus jenem Labyrinth sich durch eigene Kraft herauswinden ZU lassen, haben sie vielmehr sie tiefer hineingeführt- der eine, indem er in allen möglichen Formen und Stilen bauen, ja, soweit das anging, auch malen ließ, der andere, indem er die Architektur antrieb, sich ihre neue Gestalt, die des neunzehnten Jahrhunderts, zu suchen, und die ganze Weltgeschichte im Bilde baden wollte. Dazu kam — wovon schon die Rede war — noch das andere, was allerdings weniger ihre Schuld war. als die der Zeitverhältnisse überhaupt: daß nämlich der geschichtliche Stoff jetzt weit mehr die Phantasie des Malers bindet, als in früheren Epochen. Denn wir wolle» die erfüllte Wahrheit des Diesseits und halten den Schmuck der die Realität umflatterndem Idealgestalten. welche in die Kunst der Renaissance und des Zopfs so viel Reiz und Heiterkeit bringen, in unseren Tagen für eine bedenkliche Zugabe; und zudem erwartet die geschichtskundige Gegenwart, auch das Kleid der Vergangenheit bis zum alterthümlichen Stiefel und Sporn herab wiedergegeben zu sehen. Auch schien Maximilian nur für die Darstellung historischer Stoffe Sinn und Neigung zu haben und gab so der Kunst selten oder nie Gelegenheit, sich mit freiem Flügel¬ schlag in die schöne Welt idealer Gestalten zu erheben, die gerade in monu¬ mentaler Erscheinung von so großer künstlerischen Wirkung find. Endlich konnte auch hier nicht ausbleiben, was bei fürstlichen Bestellern immer eintritt, wenn sie nicht von Haus aus einen genialen eindringenden Blick für die ächten Ta¬ lente und eine feine Empfindung für das eigentlich Künstlerische haben: daß sie. übel berathen, nicht immer die rechten Leute treffen und manche Aufträge in Hände kommen, die geschickter sind, sich hcrzuzudrängen und die günstige Gelegenheit zu ergreifen, als eine ernste und tüchtige Arbeit zu liefern.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/27
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/27>, abgerufen am 23.07.2024.