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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Hofstaate auf Steinen und Moosbetten sich lagerte, bald der ausgelassene Prob¬
stein in Hecken und auf Baumstämmen sitzend seine neue Schäfercompagnie
verspottete. Zur Kleidung war die malerische Tracht des dreizehnten und des
vierzehnten Jahrhunderts gewählt, die wie keine andere geeignet ist , die Charak¬
tere zu sondern und Alter und Stand zu bezeichnen: der Hofstaat im langen
Mantelgewande, die jugendlichen Rittergestalten im knappen anliegenden Kleid
die Jäger in der geschürzten Kutte, mit dem Kragen und der verbrämten Mütze,
die Frauen im angeschmiegten Schlepprock mit dem Schooßmieder. der Narr im
getheilten Kleide, das mit seinen Festons und Schellen die Falkoniere und Valets
jener Zeit lächerlich macht, die Diener und Schäfer in der schlichten Kutte.

Der bedenkliche Ringkampf im Anfange war dem Auge entzogen und
ging scheinbar hinter einer Veranda vor sich, von der in malerischer Grup-
pirung der Usurpator mit seinem Hofstaat, die Prinzessinnen und der Narr
hinabsahen, indeß das Volk sich zur Seite drängte und durch seine Rufe den
Fortgang des Kampfes kundgab.

Das Erscheinen des zweiten Bruders Oliviers. Jakob, war vermieden und
seine Meldung von Olivier gebracht. Es wäre für die Bühnenwirkung von
Nachtheil noch am Schluß eine Figur erscheinen zu lassen, die Interesse wecken
müßte, ohne es befriedigen zu können. Auch Oliviers und Celias Liebe blieb
aus; genug, daß man an seine Besserung glauben soll.

Rosalindens Kerzloses Begegnen mit ihrem Vater im Walde war uns er¬
spart und dem neckischen, heißblütigen Mädchen, dem Musterbilde aller reizenden
Koketten, dadurch die Sympathien gewahrt. Ohne Mißstimmung sah man sie
die Gluth ihrer Leidenschaft in neckendem Spiele mit ihrer und ihres Liebsten
Neigung verbergen und verrathen; man wußte, was sie übermüthig that, ent¬
sprang heißem Gefühle und die Qual, welche sie dem Geliebten bereitete, würde
durch Kuß und Umarmung in der Erkennungsscene gesühnt werden. Eine
Tochter, die den Vater in Elend wiedersieht und mit derbem Spaß davon läuft,
hätte eine moderne Empfindung schwerer vergeben.

Auch ihren schnellen Entschluß, den Knaben zu spiele", nahm man bei
der Darstellung willig hin. Zu Shakespeares Zeiten war es so sehr Brauch
der Damen, wenn sie incognno reisen wollten, sich als Pagen in Männer¬
kleidung zu hüllen, daß ihm leicht erlaubt war, was uns mißlicher erscheint.
Auch Viola reist als Mann, selbst die feinfühlende Julia in den "beiden
Edelleuten von Verona" ist nur um das Wie bange, das Ob macht ihr keine
Sorgen. Ein Publikum, das viele shakesvearesche Stücke gesehn hat. ist in
diesen Gebrauch so eingeweiht, daß es nichts mehr darin findet.

Aber die Bühne jener Zeit benutzte besonders gern die Verkleidung der
Heldinnen in Männertracht, um die armen Knaben, welche in den Weiberrollen
ihr Geschlecht verläugnen mußten, für den größten Theil der Aufführung in


Hofstaate auf Steinen und Moosbetten sich lagerte, bald der ausgelassene Prob¬
stein in Hecken und auf Baumstämmen sitzend seine neue Schäfercompagnie
verspottete. Zur Kleidung war die malerische Tracht des dreizehnten und des
vierzehnten Jahrhunderts gewählt, die wie keine andere geeignet ist , die Charak¬
tere zu sondern und Alter und Stand zu bezeichnen: der Hofstaat im langen
Mantelgewande, die jugendlichen Rittergestalten im knappen anliegenden Kleid
die Jäger in der geschürzten Kutte, mit dem Kragen und der verbrämten Mütze,
die Frauen im angeschmiegten Schlepprock mit dem Schooßmieder. der Narr im
getheilten Kleide, das mit seinen Festons und Schellen die Falkoniere und Valets
jener Zeit lächerlich macht, die Diener und Schäfer in der schlichten Kutte.

Der bedenkliche Ringkampf im Anfange war dem Auge entzogen und
ging scheinbar hinter einer Veranda vor sich, von der in malerischer Grup-
pirung der Usurpator mit seinem Hofstaat, die Prinzessinnen und der Narr
hinabsahen, indeß das Volk sich zur Seite drängte und durch seine Rufe den
Fortgang des Kampfes kundgab.

Das Erscheinen des zweiten Bruders Oliviers. Jakob, war vermieden und
seine Meldung von Olivier gebracht. Es wäre für die Bühnenwirkung von
Nachtheil noch am Schluß eine Figur erscheinen zu lassen, die Interesse wecken
müßte, ohne es befriedigen zu können. Auch Oliviers und Celias Liebe blieb
aus; genug, daß man an seine Besserung glauben soll.

Rosalindens Kerzloses Begegnen mit ihrem Vater im Walde war uns er¬
spart und dem neckischen, heißblütigen Mädchen, dem Musterbilde aller reizenden
Koketten, dadurch die Sympathien gewahrt. Ohne Mißstimmung sah man sie
die Gluth ihrer Leidenschaft in neckendem Spiele mit ihrer und ihres Liebsten
Neigung verbergen und verrathen; man wußte, was sie übermüthig that, ent¬
sprang heißem Gefühle und die Qual, welche sie dem Geliebten bereitete, würde
durch Kuß und Umarmung in der Erkennungsscene gesühnt werden. Eine
Tochter, die den Vater in Elend wiedersieht und mit derbem Spaß davon läuft,
hätte eine moderne Empfindung schwerer vergeben.

Auch ihren schnellen Entschluß, den Knaben zu spiele», nahm man bei
der Darstellung willig hin. Zu Shakespeares Zeiten war es so sehr Brauch
der Damen, wenn sie incognno reisen wollten, sich als Pagen in Männer¬
kleidung zu hüllen, daß ihm leicht erlaubt war, was uns mißlicher erscheint.
Auch Viola reist als Mann, selbst die feinfühlende Julia in den „beiden
Edelleuten von Verona" ist nur um das Wie bange, das Ob macht ihr keine
Sorgen. Ein Publikum, das viele shakesvearesche Stücke gesehn hat. ist in
diesen Gebrauch so eingeweiht, daß es nichts mehr darin findet.

Aber die Bühne jener Zeit benutzte besonders gern die Verkleidung der
Heldinnen in Männertracht, um die armen Knaben, welche in den Weiberrollen
ihr Geschlecht verläugnen mußten, für den größten Theil der Aufführung in


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[0264] Hofstaate auf Steinen und Moosbetten sich lagerte, bald der ausgelassene Prob¬ stein in Hecken und auf Baumstämmen sitzend seine neue Schäfercompagnie verspottete. Zur Kleidung war die malerische Tracht des dreizehnten und des vierzehnten Jahrhunderts gewählt, die wie keine andere geeignet ist , die Charak¬ tere zu sondern und Alter und Stand zu bezeichnen: der Hofstaat im langen Mantelgewande, die jugendlichen Rittergestalten im knappen anliegenden Kleid die Jäger in der geschürzten Kutte, mit dem Kragen und der verbrämten Mütze, die Frauen im angeschmiegten Schlepprock mit dem Schooßmieder. der Narr im getheilten Kleide, das mit seinen Festons und Schellen die Falkoniere und Valets jener Zeit lächerlich macht, die Diener und Schäfer in der schlichten Kutte. Der bedenkliche Ringkampf im Anfange war dem Auge entzogen und ging scheinbar hinter einer Veranda vor sich, von der in malerischer Grup- pirung der Usurpator mit seinem Hofstaat, die Prinzessinnen und der Narr hinabsahen, indeß das Volk sich zur Seite drängte und durch seine Rufe den Fortgang des Kampfes kundgab. Das Erscheinen des zweiten Bruders Oliviers. Jakob, war vermieden und seine Meldung von Olivier gebracht. Es wäre für die Bühnenwirkung von Nachtheil noch am Schluß eine Figur erscheinen zu lassen, die Interesse wecken müßte, ohne es befriedigen zu können. Auch Oliviers und Celias Liebe blieb aus; genug, daß man an seine Besserung glauben soll. Rosalindens Kerzloses Begegnen mit ihrem Vater im Walde war uns er¬ spart und dem neckischen, heißblütigen Mädchen, dem Musterbilde aller reizenden Koketten, dadurch die Sympathien gewahrt. Ohne Mißstimmung sah man sie die Gluth ihrer Leidenschaft in neckendem Spiele mit ihrer und ihres Liebsten Neigung verbergen und verrathen; man wußte, was sie übermüthig that, ent¬ sprang heißem Gefühle und die Qual, welche sie dem Geliebten bereitete, würde durch Kuß und Umarmung in der Erkennungsscene gesühnt werden. Eine Tochter, die den Vater in Elend wiedersieht und mit derbem Spaß davon läuft, hätte eine moderne Empfindung schwerer vergeben. Auch ihren schnellen Entschluß, den Knaben zu spiele», nahm man bei der Darstellung willig hin. Zu Shakespeares Zeiten war es so sehr Brauch der Damen, wenn sie incognno reisen wollten, sich als Pagen in Männer¬ kleidung zu hüllen, daß ihm leicht erlaubt war, was uns mißlicher erscheint. Auch Viola reist als Mann, selbst die feinfühlende Julia in den „beiden Edelleuten von Verona" ist nur um das Wie bange, das Ob macht ihr keine Sorgen. Ein Publikum, das viele shakesvearesche Stücke gesehn hat. ist in diesen Gebrauch so eingeweiht, daß es nichts mehr darin findet. Aber die Bühne jener Zeit benutzte besonders gern die Verkleidung der Heldinnen in Männertracht, um die armen Knaben, welche in den Weiberrollen ihr Geschlecht verläugnen mußten, für den größten Theil der Aufführung in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/264>, abgerufen am 23.07.2024.