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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Bald trifft Rosader den scheinbaren Knaben Ganymed im Walde, der
ihm vorschlägt, um seinen Liebesseufzern Nahrung zu geben, seine Rosalinde
vorzustellen.

Indeß hat den bösen Bruder Saladynn die gerechte Strafe ereilt. Denn
der Usurpator Torismond legt ihm die Flucht Nosaders zur Last und jagt auch
ihn in die Ardennen. Dort rettet ihm der schwergekränkte Bruder das Leben,
indem er den Löwen erlegt, der sich den Saladynn zum Fraße ausersehen. Da
erwacht des Bösewichts Reue) und mit ihr sanftere Gefühle. Er verliebt sich beim
ersten Begegnen in Alinda (Cella). Jetzt kommen die zwölf Pairs von Frankreich,
um Gerismond wieder in seine Rechte einzusetzen. Torismond fällt in der
Schlacht und mit allgemeiner Heirath und allgemeiner Versorgung der Bethei¬
ligten schließt die Novelle.

Es ist ersichtlich, daß Shakespeare hier mit noch größerer Genauig¬
keit als irgend sonst, oft bis in den Wortlaut getreu, seinem Originale ge¬
folgt ist.

Seiner Erfindung verdanken wir nur den melancholischen Jacques, der
dem Herzog in die Verbannung folgte, einen rabenschwarzen, gallsüchtigem
Spötter, dessen Geist von Welt- und Hofleben übersättigt, sich in giftigen
Scherzen gegen das Menschenvolk ergeht; dann den munteren Gegensatz desselben,
den scheckigen, geschickten, behäbig satten Narren Probstein, bei dem die Nahrung
des Hofes zu fröhlicher Laune anschlägt, und den Cella sich vom Hofe in die
Wildniß mitnimmt: serner den plumpen Schatz des Narren, den dieser sich im
Walde gesucht, die einfältige Käthe sammt ihrem Anhang; zuletzt als Aenderung
in der Fabel die freiwillige Entsagung des Usurpators und des Herzogs fried¬
liche Wiedereinsetzung.

Der seltsame Titel: 70U lites it" gab Anlaß zu mannigfachen Aus¬
legungen. Man wollte ihn ironisch nehmen und Shakespeare zumuthen, ein ganzes
Lustspiel gewissermaßen als Persiflage aus den Geschmack seiner Zeit geschrieben
zu haben. Eine flüchtige Prüfung des Stückes widerlegt diese Anschauung. Der
Dichter geißelt in jeder Scene den Unfug und die üblen Gebräuche seiner Zeit,
wie war denkbar, daß er für solche Wirkungen ein mit Absicht caricirtes Stück
benutzt habe? Auch liegt diese Art. Talent und Bühnenkraft zu vergeuden,
gar nicht in Shakespeares gesundem Wesen. Das Stück ist durchaus für
die Aufführung geschrieben. Eine parodirende Caricatur mögen blasirte Leser
gähnend bewundern, auf die Bretter dürste man sie nicht bringen, vollends nicht
in einer Zeit, welche mit faulen Orangen freigebig war und in der die
Schauspieler selbst ein pecuniäres Interesse an dem guten Erfolge hatten. Die
Vermuthung liegt nahe, er habe es auf Wunsch oder "zu Gefallen" eines seiner
Gönner, vielleicht jenes Lord Hunsdon selbst bearbeitet, dem Lodge seine Novelle
gewidmet. Es sieht ganz so aus, als ob es zu irgendeiner Festfeier aus dem


Bald trifft Rosader den scheinbaren Knaben Ganymed im Walde, der
ihm vorschlägt, um seinen Liebesseufzern Nahrung zu geben, seine Rosalinde
vorzustellen.

Indeß hat den bösen Bruder Saladynn die gerechte Strafe ereilt. Denn
der Usurpator Torismond legt ihm die Flucht Nosaders zur Last und jagt auch
ihn in die Ardennen. Dort rettet ihm der schwergekränkte Bruder das Leben,
indem er den Löwen erlegt, der sich den Saladynn zum Fraße ausersehen. Da
erwacht des Bösewichts Reue) und mit ihr sanftere Gefühle. Er verliebt sich beim
ersten Begegnen in Alinda (Cella). Jetzt kommen die zwölf Pairs von Frankreich,
um Gerismond wieder in seine Rechte einzusetzen. Torismond fällt in der
Schlacht und mit allgemeiner Heirath und allgemeiner Versorgung der Bethei¬
ligten schließt die Novelle.

Es ist ersichtlich, daß Shakespeare hier mit noch größerer Genauig¬
keit als irgend sonst, oft bis in den Wortlaut getreu, seinem Originale ge¬
folgt ist.

Seiner Erfindung verdanken wir nur den melancholischen Jacques, der
dem Herzog in die Verbannung folgte, einen rabenschwarzen, gallsüchtigem
Spötter, dessen Geist von Welt- und Hofleben übersättigt, sich in giftigen
Scherzen gegen das Menschenvolk ergeht; dann den munteren Gegensatz desselben,
den scheckigen, geschickten, behäbig satten Narren Probstein, bei dem die Nahrung
des Hofes zu fröhlicher Laune anschlägt, und den Cella sich vom Hofe in die
Wildniß mitnimmt: serner den plumpen Schatz des Narren, den dieser sich im
Walde gesucht, die einfältige Käthe sammt ihrem Anhang; zuletzt als Aenderung
in der Fabel die freiwillige Entsagung des Usurpators und des Herzogs fried¬
liche Wiedereinsetzung.

Der seltsame Titel: 70U lites it" gab Anlaß zu mannigfachen Aus¬
legungen. Man wollte ihn ironisch nehmen und Shakespeare zumuthen, ein ganzes
Lustspiel gewissermaßen als Persiflage aus den Geschmack seiner Zeit geschrieben
zu haben. Eine flüchtige Prüfung des Stückes widerlegt diese Anschauung. Der
Dichter geißelt in jeder Scene den Unfug und die üblen Gebräuche seiner Zeit,
wie war denkbar, daß er für solche Wirkungen ein mit Absicht caricirtes Stück
benutzt habe? Auch liegt diese Art. Talent und Bühnenkraft zu vergeuden,
gar nicht in Shakespeares gesundem Wesen. Das Stück ist durchaus für
die Aufführung geschrieben. Eine parodirende Caricatur mögen blasirte Leser
gähnend bewundern, auf die Bretter dürste man sie nicht bringen, vollends nicht
in einer Zeit, welche mit faulen Orangen freigebig war und in der die
Schauspieler selbst ein pecuniäres Interesse an dem guten Erfolge hatten. Die
Vermuthung liegt nahe, er habe es auf Wunsch oder „zu Gefallen" eines seiner
Gönner, vielleicht jenes Lord Hunsdon selbst bearbeitet, dem Lodge seine Novelle
gewidmet. Es sieht ganz so aus, als ob es zu irgendeiner Festfeier aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/262>, abgerufen am 23.07.2024.