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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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in der weit zurückliegenden traumhaften Kindheit der modernen Kunstforschung
stecken geblieben ist. Die neue Ausgabe hat zwar dem Schlimmsten einiger¬
maßen abzuhelfen versucht, indem sie stellenweise das neue Handbuch der Ge¬
schichte der Malerei von Waagen zu Rathe zog! aber dabei ist sie über die
ersten Bogen, die flandrische Schule -- bei der zudem noch die neuesten bel¬
gischen Untersuchungen hätten beachtet werden müssen -- nicht hinausgekommen
und bietet so den bejammernswürdigen Anblick eines Menschen, bei dem es eben
gereicht hat, um ein nothdürftiges neues Schuhwerk anzuschaffen, sonst aber die zer¬
setzten Kleider nach wie vor die traurigen Blößen seines Leibes durchblicken lassen.
Die Zeiten, da es noch Brauch der Galerien war, sich in ihren Katalogen mit
seltenen Namen aus den dunklen Anfängen der großen Kunstepochen zu brüsten,
sind vorüber. Wie in der Kunstbetrachtung an die Stelle einer unterschiedslosen
Bewunderung ein ernst eingehendes Verständniß getreten ist, so haben jetzt die
Kataloge die Aufgabe, dieses zu unterstützen, das Studium zu erleichtern und
die Ergebnisse der vorgeschrittenen Kunstforschung aufzunehmen, um sie in den
weiteren Kreis aller Gebildeten überzuleiten.

Ebenso schlimm wie mit der Aufstellung der Gemälde stand es bis vor
Kurzem mit ihrer Pflege und Erhaltung, ja steht es trotz der eingeleiteten Ver¬
besserungen im Grunde noch. Bekanntlich ist ein Uebel aller Galerien das
Restaurationswesen. Aerger noch als die allmälige Zerstörung durch die atmo¬
sphärischen Einflüsse ist die Verwüstung durch die handwerksmäßige Faust der
meisten Restauratoren, welche nur darauf bedacht, eine glänzende Oberfläche
herzustellen, ohne Sinn sowohl für den eigentlichen Reiz des Kunstwerkes als
die Eigenthümlichkeit des Meisters, fast jedesmal den Schimmer der farbigen
Erscheinung, das harmonische Spiel der Töne, die zarten Abstufungen von
Licht und Schatten geradezu vernichten: wenn sie nicht gar durch eigene Pfuscher¬
zuthat das ganze Bild bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Dieses "Herrichten"
der Gemälde, so weit es auch in der Pinakothek Brauch war/ hat Fr. Pecht
mit echter Kennerschaft -- deren sich heutzutage so Viele rühmen und die doch
so Wenige besitzen -- so gründlich beleuchtet, daß es überflüssig ist, daraus
zurückzukommen. Auch legte er das Uebel so offen zu Tage, daß sich nicht
länger darüber wegsehen ließ: es wurde eine Commission ernannt, welche alle
Restaurationen sowie die Erhaltung der Bilder überwachen sollte. Aber diese
Commission hat bis jetzt nicht leisten können, was sie sollte, denn ihre Zu¬
sammensetzung war -- ein Irrthum. Man bildete sie größtentheils aus an¬
erkannten ausübenden Künstlern, ohne zu bedenken, daß moderne Kunstübung
und Kennerschaft der alten Kunst zwei ganz verschiedene Dinge sind. So wenig
war diese Aufsichtsbehörde ihrer Aufgabe gewachsen, daß sie eine -- vor ihrer
Ernennung begonnene -- Restauration guthieß, welche durch stellenweises Ab¬
putzen der Lasuren die harmonische Gesammtwirkung des Bildes und seinen


in der weit zurückliegenden traumhaften Kindheit der modernen Kunstforschung
stecken geblieben ist. Die neue Ausgabe hat zwar dem Schlimmsten einiger¬
maßen abzuhelfen versucht, indem sie stellenweise das neue Handbuch der Ge¬
schichte der Malerei von Waagen zu Rathe zog! aber dabei ist sie über die
ersten Bogen, die flandrische Schule — bei der zudem noch die neuesten bel¬
gischen Untersuchungen hätten beachtet werden müssen — nicht hinausgekommen
und bietet so den bejammernswürdigen Anblick eines Menschen, bei dem es eben
gereicht hat, um ein nothdürftiges neues Schuhwerk anzuschaffen, sonst aber die zer¬
setzten Kleider nach wie vor die traurigen Blößen seines Leibes durchblicken lassen.
Die Zeiten, da es noch Brauch der Galerien war, sich in ihren Katalogen mit
seltenen Namen aus den dunklen Anfängen der großen Kunstepochen zu brüsten,
sind vorüber. Wie in der Kunstbetrachtung an die Stelle einer unterschiedslosen
Bewunderung ein ernst eingehendes Verständniß getreten ist, so haben jetzt die
Kataloge die Aufgabe, dieses zu unterstützen, das Studium zu erleichtern und
die Ergebnisse der vorgeschrittenen Kunstforschung aufzunehmen, um sie in den
weiteren Kreis aller Gebildeten überzuleiten.

Ebenso schlimm wie mit der Aufstellung der Gemälde stand es bis vor
Kurzem mit ihrer Pflege und Erhaltung, ja steht es trotz der eingeleiteten Ver¬
besserungen im Grunde noch. Bekanntlich ist ein Uebel aller Galerien das
Restaurationswesen. Aerger noch als die allmälige Zerstörung durch die atmo¬
sphärischen Einflüsse ist die Verwüstung durch die handwerksmäßige Faust der
meisten Restauratoren, welche nur darauf bedacht, eine glänzende Oberfläche
herzustellen, ohne Sinn sowohl für den eigentlichen Reiz des Kunstwerkes als
die Eigenthümlichkeit des Meisters, fast jedesmal den Schimmer der farbigen
Erscheinung, das harmonische Spiel der Töne, die zarten Abstufungen von
Licht und Schatten geradezu vernichten: wenn sie nicht gar durch eigene Pfuscher¬
zuthat das ganze Bild bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Dieses „Herrichten"
der Gemälde, so weit es auch in der Pinakothek Brauch war/ hat Fr. Pecht
mit echter Kennerschaft — deren sich heutzutage so Viele rühmen und die doch
so Wenige besitzen — so gründlich beleuchtet, daß es überflüssig ist, daraus
zurückzukommen. Auch legte er das Uebel so offen zu Tage, daß sich nicht
länger darüber wegsehen ließ: es wurde eine Commission ernannt, welche alle
Restaurationen sowie die Erhaltung der Bilder überwachen sollte. Aber diese
Commission hat bis jetzt nicht leisten können, was sie sollte, denn ihre Zu¬
sammensetzung war — ein Irrthum. Man bildete sie größtentheils aus an¬
erkannten ausübenden Künstlern, ohne zu bedenken, daß moderne Kunstübung
und Kennerschaft der alten Kunst zwei ganz verschiedene Dinge sind. So wenig
war diese Aufsichtsbehörde ihrer Aufgabe gewachsen, daß sie eine — vor ihrer
Ernennung begonnene — Restauration guthieß, welche durch stellenweises Ab¬
putzen der Lasuren die harmonische Gesammtwirkung des Bildes und seinen


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[0238] in der weit zurückliegenden traumhaften Kindheit der modernen Kunstforschung stecken geblieben ist. Die neue Ausgabe hat zwar dem Schlimmsten einiger¬ maßen abzuhelfen versucht, indem sie stellenweise das neue Handbuch der Ge¬ schichte der Malerei von Waagen zu Rathe zog! aber dabei ist sie über die ersten Bogen, die flandrische Schule — bei der zudem noch die neuesten bel¬ gischen Untersuchungen hätten beachtet werden müssen — nicht hinausgekommen und bietet so den bejammernswürdigen Anblick eines Menschen, bei dem es eben gereicht hat, um ein nothdürftiges neues Schuhwerk anzuschaffen, sonst aber die zer¬ setzten Kleider nach wie vor die traurigen Blößen seines Leibes durchblicken lassen. Die Zeiten, da es noch Brauch der Galerien war, sich in ihren Katalogen mit seltenen Namen aus den dunklen Anfängen der großen Kunstepochen zu brüsten, sind vorüber. Wie in der Kunstbetrachtung an die Stelle einer unterschiedslosen Bewunderung ein ernst eingehendes Verständniß getreten ist, so haben jetzt die Kataloge die Aufgabe, dieses zu unterstützen, das Studium zu erleichtern und die Ergebnisse der vorgeschrittenen Kunstforschung aufzunehmen, um sie in den weiteren Kreis aller Gebildeten überzuleiten. Ebenso schlimm wie mit der Aufstellung der Gemälde stand es bis vor Kurzem mit ihrer Pflege und Erhaltung, ja steht es trotz der eingeleiteten Ver¬ besserungen im Grunde noch. Bekanntlich ist ein Uebel aller Galerien das Restaurationswesen. Aerger noch als die allmälige Zerstörung durch die atmo¬ sphärischen Einflüsse ist die Verwüstung durch die handwerksmäßige Faust der meisten Restauratoren, welche nur darauf bedacht, eine glänzende Oberfläche herzustellen, ohne Sinn sowohl für den eigentlichen Reiz des Kunstwerkes als die Eigenthümlichkeit des Meisters, fast jedesmal den Schimmer der farbigen Erscheinung, das harmonische Spiel der Töne, die zarten Abstufungen von Licht und Schatten geradezu vernichten: wenn sie nicht gar durch eigene Pfuscher¬ zuthat das ganze Bild bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Dieses „Herrichten" der Gemälde, so weit es auch in der Pinakothek Brauch war/ hat Fr. Pecht mit echter Kennerschaft — deren sich heutzutage so Viele rühmen und die doch so Wenige besitzen — so gründlich beleuchtet, daß es überflüssig ist, daraus zurückzukommen. Auch legte er das Uebel so offen zu Tage, daß sich nicht länger darüber wegsehen ließ: es wurde eine Commission ernannt, welche alle Restaurationen sowie die Erhaltung der Bilder überwachen sollte. Aber diese Commission hat bis jetzt nicht leisten können, was sie sollte, denn ihre Zu¬ sammensetzung war — ein Irrthum. Man bildete sie größtentheils aus an¬ erkannten ausübenden Künstlern, ohne zu bedenken, daß moderne Kunstübung und Kennerschaft der alten Kunst zwei ganz verschiedene Dinge sind. So wenig war diese Aufsichtsbehörde ihrer Aufgabe gewachsen, daß sie eine — vor ihrer Ernennung begonnene — Restauration guthieß, welche durch stellenweises Ab¬ putzen der Lasuren die harmonische Gesammtwirkung des Bildes und seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/238>, abgerufen am 23.07.2024.