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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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man zum Theil noch ein befangenes, halb romantisches Verhältniß zur ver¬
gangenen Kunst: man stand ihr nicht mit dem sachlichen Sinn und Verständniß
gegenüber, das jedes Werk als eine in sich berechtigte Welt betrachtet, sondern
suchte noch allerlei besondere Empfindungen, besondere Gesichtspunkte, mit denen
man an die alten Gemälde herantrat. Nur so läßt sich erklären, wie der
frühere Galeriedirector Dillis auf das sonderbare Princip kommen konnte, in
der Zusammenstellung der Gemälde nach einer gewissen Farbenharmonie zu
streben. Hat dieses dann auch in der Anwendung, wie natürlich, mancherlei
Beschränkung erfahren, so scheint es doch die jetzt ungenügende Anordnung
mit verschuldet zu haben. Doch was auch hierzu sonst noch mitgewirkt haben
Mag, wie etwa die allzu patriotische Gesinnung, mit der man der untergeord¬
neten späteren deutschen Schule auf Kosten besserer Gemälde einen allzubreiten
und trefflichen Raum überließ, oder die noch lückenhafte Kunstforschung und
Kennerschaft jener Tage: genug, es finden sich nicht wenige Meisterwerke in
ungünstigem Lichte, an dem Auge weniger zugänglichen Plätzen, während
manches Mittelmäßige sich vordrängt und den Blick in Anspruch nimmt. Das
Nähere hierüber, wie die Angabe der bezüglichen Bilder kann der Leser in den
unten angeführten Aufsätzen finden: hier sei nur das Eine erwähnt, daß eine
nicht unbeträchtliche Anzahl unechter Bilder, welche im Katalog die stolzesten
Namen der ansteigenden italienischen Malerei tragen (Cimabue, mehre Giotto
-- zwei echte -- Simone Memmi, P. Uccello, Masaccio. M. Basaiti, Polla-
juolo, Verocchio; dazu kommen noch einige Namen aus der Blüthezeit, einige
sogenannte Lionardo da Vinci. Raphael und Correggio). sich aber dem un¬
befangenen Blick sofort zum geringeren Theil als unbedeutende Schulbilder, zum
größeren als Machwerke einer späteren fabrikmäßigen Nachahmung zu erkennen
geben, daß gerade diese günstige Plätze einnehmen, dagegen nicht wenige mei¬
sterliche und höchst anziehende Holländer in eine Höhe zurückgedrängt sind, in
der sie nur das bewaffnete Auge zu erreichen vermag. Jene willkürliche Taufe
der Bilder läßt uns im Vorbeigehen eines andern Uebelstandes gedenken, der
w seiner Art einzig ist: des Katalogs, welcher mit einer unerhörten Naivetät


der ganzen Verhandlung über die Pinakothek 'nicht näher betheiligt !und nur darauf kam
^ ihm an, die Schäden derselben in ihrer ganzen Ausdehnung aufzudecken, damit ihnen viel-
^icht desto eher und besser als bis daher abgeholfen würde. Uebrigens hat Fr. Pacht das
^"dienst, als der Erste die verschiedenen Mängel der Galerie zur Sprache gebracht und, indem
^ mit rein sachlichen Interesse und gründlicher Kenntniß seine Untersuchung führte, die be-
iugliche Behörde wenigstens zu dem Versuch einer Abhilfe angeregt zu haben: wie er denn
^'es. als sich über diesen selber eine heftige Polemik entspann, seine Sache in'einer Weise
weiter, und durchführte, die, wie uns scheint, alle Unbefangenen und Vorurtheilsloscn, welche
°er Debatte gefolgt sind, auf seine Seite gebracht hat.

man zum Theil noch ein befangenes, halb romantisches Verhältniß zur ver¬
gangenen Kunst: man stand ihr nicht mit dem sachlichen Sinn und Verständniß
gegenüber, das jedes Werk als eine in sich berechtigte Welt betrachtet, sondern
suchte noch allerlei besondere Empfindungen, besondere Gesichtspunkte, mit denen
man an die alten Gemälde herantrat. Nur so läßt sich erklären, wie der
frühere Galeriedirector Dillis auf das sonderbare Princip kommen konnte, in
der Zusammenstellung der Gemälde nach einer gewissen Farbenharmonie zu
streben. Hat dieses dann auch in der Anwendung, wie natürlich, mancherlei
Beschränkung erfahren, so scheint es doch die jetzt ungenügende Anordnung
mit verschuldet zu haben. Doch was auch hierzu sonst noch mitgewirkt haben
Mag, wie etwa die allzu patriotische Gesinnung, mit der man der untergeord¬
neten späteren deutschen Schule auf Kosten besserer Gemälde einen allzubreiten
und trefflichen Raum überließ, oder die noch lückenhafte Kunstforschung und
Kennerschaft jener Tage: genug, es finden sich nicht wenige Meisterwerke in
ungünstigem Lichte, an dem Auge weniger zugänglichen Plätzen, während
manches Mittelmäßige sich vordrängt und den Blick in Anspruch nimmt. Das
Nähere hierüber, wie die Angabe der bezüglichen Bilder kann der Leser in den
unten angeführten Aufsätzen finden: hier sei nur das Eine erwähnt, daß eine
nicht unbeträchtliche Anzahl unechter Bilder, welche im Katalog die stolzesten
Namen der ansteigenden italienischen Malerei tragen (Cimabue, mehre Giotto
— zwei echte — Simone Memmi, P. Uccello, Masaccio. M. Basaiti, Polla-
juolo, Verocchio; dazu kommen noch einige Namen aus der Blüthezeit, einige
sogenannte Lionardo da Vinci. Raphael und Correggio). sich aber dem un¬
befangenen Blick sofort zum geringeren Theil als unbedeutende Schulbilder, zum
größeren als Machwerke einer späteren fabrikmäßigen Nachahmung zu erkennen
geben, daß gerade diese günstige Plätze einnehmen, dagegen nicht wenige mei¬
sterliche und höchst anziehende Holländer in eine Höhe zurückgedrängt sind, in
der sie nur das bewaffnete Auge zu erreichen vermag. Jene willkürliche Taufe
der Bilder läßt uns im Vorbeigehen eines andern Uebelstandes gedenken, der
w seiner Art einzig ist: des Katalogs, welcher mit einer unerhörten Naivetät


der ganzen Verhandlung über die Pinakothek 'nicht näher betheiligt !und nur darauf kam
^ ihm an, die Schäden derselben in ihrer ganzen Ausdehnung aufzudecken, damit ihnen viel-
^icht desto eher und besser als bis daher abgeholfen würde. Uebrigens hat Fr. Pacht das
^»dienst, als der Erste die verschiedenen Mängel der Galerie zur Sprache gebracht und, indem
^ mit rein sachlichen Interesse und gründlicher Kenntniß seine Untersuchung führte, die be-
iugliche Behörde wenigstens zu dem Versuch einer Abhilfe angeregt zu haben: wie er denn
^'es. als sich über diesen selber eine heftige Polemik entspann, seine Sache in'einer Weise
weiter, und durchführte, die, wie uns scheint, alle Unbefangenen und Vorurtheilsloscn, welche
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/237>, abgerufen am 23.07.2024.