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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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noch Zeit, die noch erhaltenen Denkmäler zu retten, um sie als öffentliches
Gut dem Volke zu übergeben. Was durch die verheerenden Kriegszüge der
vergangenen Jahrhunderte oder durch die Unkenntniß der zufälligen Besitzer
nicht zu Grunde gegangen war, davon hatten Alterthümer und kunstsinnige
Private schon ein gut Theil für sich gesammelt; es stand zu fürchten, daß auch
der Rest entweder in staubigen Winkeln unbeachtet zerfallen oder von diesen
noch aufgespürt würde. Glücklicherweise fand sich, da die Sammlung mit
Eifer und Verständniß betrieben wurde, namentlich in Bayern noch ein reicher
Schatz von Erzeugnissen des vergangenen Kunsthandwerks. Diese, nach den ver¬
schiedenen Epochen übersichtlich geordnet, führen uns von Stufe zu Stufe durch
das ganze deutsche Culturleben, anhebend von seiner ersten Kindheit, da sich
der Gestaltungstrieb an überlieferten und schon ausgelebten Formen, namentlich
den byzantischen. unbeholfen abarbeitete, dann durch die phantastisch spielende,
im Schmuck des Kirchengeräthes unerschöpfliche Gothik, die lebendige, schwung¬
volle Pracht der Renaissance hindurch in die wildbewegte ausgelassene Ueppig¬
keit des Zopfes auslaufend, endlich wie versiegend in dem nüchternen und
schwerfälligen, die Antike äußerlich nachäffenden Spiel der Kaiserzeit. Da sich für
alle Epochen fast alle Arten des Kunsthandwerks von dem niedrigsten bis zum
höchsten, das sich dem selbständigen Kunstwerk ebenbürtig an die Seite stellt,
in vortrefflichen Beispielen finden, so sehen wir zugleich, wie der Charakter
jeder Periode das ganze menschliche Leben durchdringt, und erhalten ein leben¬
diges Bild von der Arbeit der vergangenen Geschlechter, in der sich ihre Be¬
dürfnisse und ihre Empfindungen, ja ihre Triebe und ihre Schicksale wieder
spiegeln. Denn das ist den Zeiten, die hinter uns liegen, eigenthümlich, daß
sie sowohl im geschnitzten Heiligcnbilde als in dem Teppich, in dessen bunte
Fäden ein Stück Geschichte gewirkt ist, sowohl in dem verzierten Stahl der
blanken Waffen als im heimlichen Hausgeräth mit bestimmten Zügen einen
Theil ihres inneren Wesens ausprägen.

Wie abgeschnitten erscheint auf einmal mit dem Eintritt des neunzehnten
Jahrhunderts diese fortlaufende Verkörperung des Zeitcharakters durch die kunst¬
reiche Arbeit des Handwerkers. Wenn später unsere Nachkommen einer solchen
Sammlung von Geräthschaften die Erzeugnisse unserer Industrie hinzufügen
wollen, so wird es ihnen zur Auswahl an einer mannigfaltigen Menge nicht
fehlen, aber sie werden in Verlegenheit sein, das Bezeichnende und mit künst¬
lerischem Sinne Gestaltete herauszufinden. Die Armuth unseres Zeitalters an
eigenthümlichen Formen im Geräthe des täglichen Lebens ist ja so offenbar zu
Tage getreten, daß sie auch der nicht bestreitet, der von unserer Kunst noch
eine große und selbständige Entwicklung hofft. Auf der einen Seite der kahle
und maschinenartige Ausdruck des bloßen Bedürfnisses, so einfach und so reiz¬
los als möglich, wo dann wie bei den englischen Arbeiten eine nüchterne


noch Zeit, die noch erhaltenen Denkmäler zu retten, um sie als öffentliches
Gut dem Volke zu übergeben. Was durch die verheerenden Kriegszüge der
vergangenen Jahrhunderte oder durch die Unkenntniß der zufälligen Besitzer
nicht zu Grunde gegangen war, davon hatten Alterthümer und kunstsinnige
Private schon ein gut Theil für sich gesammelt; es stand zu fürchten, daß auch
der Rest entweder in staubigen Winkeln unbeachtet zerfallen oder von diesen
noch aufgespürt würde. Glücklicherweise fand sich, da die Sammlung mit
Eifer und Verständniß betrieben wurde, namentlich in Bayern noch ein reicher
Schatz von Erzeugnissen des vergangenen Kunsthandwerks. Diese, nach den ver¬
schiedenen Epochen übersichtlich geordnet, führen uns von Stufe zu Stufe durch
das ganze deutsche Culturleben, anhebend von seiner ersten Kindheit, da sich
der Gestaltungstrieb an überlieferten und schon ausgelebten Formen, namentlich
den byzantischen. unbeholfen abarbeitete, dann durch die phantastisch spielende,
im Schmuck des Kirchengeräthes unerschöpfliche Gothik, die lebendige, schwung¬
volle Pracht der Renaissance hindurch in die wildbewegte ausgelassene Ueppig¬
keit des Zopfes auslaufend, endlich wie versiegend in dem nüchternen und
schwerfälligen, die Antike äußerlich nachäffenden Spiel der Kaiserzeit. Da sich für
alle Epochen fast alle Arten des Kunsthandwerks von dem niedrigsten bis zum
höchsten, das sich dem selbständigen Kunstwerk ebenbürtig an die Seite stellt,
in vortrefflichen Beispielen finden, so sehen wir zugleich, wie der Charakter
jeder Periode das ganze menschliche Leben durchdringt, und erhalten ein leben¬
diges Bild von der Arbeit der vergangenen Geschlechter, in der sich ihre Be¬
dürfnisse und ihre Empfindungen, ja ihre Triebe und ihre Schicksale wieder
spiegeln. Denn das ist den Zeiten, die hinter uns liegen, eigenthümlich, daß
sie sowohl im geschnitzten Heiligcnbilde als in dem Teppich, in dessen bunte
Fäden ein Stück Geschichte gewirkt ist, sowohl in dem verzierten Stahl der
blanken Waffen als im heimlichen Hausgeräth mit bestimmten Zügen einen
Theil ihres inneren Wesens ausprägen.

Wie abgeschnitten erscheint auf einmal mit dem Eintritt des neunzehnten
Jahrhunderts diese fortlaufende Verkörperung des Zeitcharakters durch die kunst¬
reiche Arbeit des Handwerkers. Wenn später unsere Nachkommen einer solchen
Sammlung von Geräthschaften die Erzeugnisse unserer Industrie hinzufügen
wollen, so wird es ihnen zur Auswahl an einer mannigfaltigen Menge nicht
fehlen, aber sie werden in Verlegenheit sein, das Bezeichnende und mit künst¬
lerischem Sinne Gestaltete herauszufinden. Die Armuth unseres Zeitalters an
eigenthümlichen Formen im Geräthe des täglichen Lebens ist ja so offenbar zu
Tage getreten, daß sie auch der nicht bestreitet, der von unserer Kunst noch
eine große und selbständige Entwicklung hofft. Auf der einen Seite der kahle
und maschinenartige Ausdruck des bloßen Bedürfnisses, so einfach und so reiz¬
los als möglich, wo dann wie bei den englischen Arbeiten eine nüchterne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/230>, abgerufen am 23.07.2024.