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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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muß sich der Beschauer an den geistvollen Zug der Phantasie, an die Anord¬
nung und Komposition hallen; und da im Grunde hierauf die Hauptwirkung
des Ganzen beruht, so wird ihm trotz ihrer Mangel diese ideale Welt bei ern¬
ster und eingehender Betrachtung einen großen Eindruck zurücklassen.

Indem auf diese Weise durch das Gebäude und seine Ausschmückung eine
Passende und vom Geist der Antike belebte Umgebung für die alten Bildwerke
hergestellt ist, hat die Glyptothek das Museenhafte glücklich vermieden. Sie
führt den Besucher gleichsam in die Stimmung des plastischen Lebens der Alten
zurück und bringt ihre Götter und Helden seinem Verständniß entgegen. Hierzu
trägt auch die Aufstellung der Statuen bei. welche nicht wie gewöhnlich in ver¬
wirrender Menge und zu einem bunten Durcheinander die Kunstwerke zusammen¬
drängt, sondern soviel wie möglich der geschichtlichen Entwicklung folgt, den
Beschauer in den inneren Zusammenhang einführt und zugleich jedes Bald wie
ein Individuum für sich hinstellt, das für sich betrachtet und verstanden sein will.

Hat sich König Ludwig durch diese Sammlung classischer Kunstwerke und
die ideale Wohnstätte, welche er ihnen angewiesen hat, ein unvergängliches
Denkmal gesetzt, so hat sich seinerseits König Max um die deutsche Kunst der
Vergangenheit ein ähnliches, nicht minder großes Verdienst erworben. Die
Errichtung des Na ti on a l in uscums beruhte auf dem glücklichen Gedanken,
von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage alle Ueberreste des deutschen Cul¬
turlebens zu sammeln, in denen eine künstlerische Hand mit thätig war oder
doch der künstlerische Sinn der verschiedenen Zeiten sich ausspuckt. Man ging
hierbei von dem engeren vaterländischen Kreise, den bayrischen Denkmälern aus,
nahm aber mit richtigem Verständniß für das Ineinandergreifen der ganzen
deutschen Kunstthätigkeit die Producte anderer Länder mit auf. Zum Leiter
des ganzen Unternehmens hatte Maximilian einen Mann -- Baron Arelim --
berufen. wie er sich zu diesem Zweck nicht besser hätte finden können; der voll
Lust und Liebe zur Sache, mit gründlicher Kenntniß, freiem künstlerischen Blick
und unermüdlichem Eifer in wenigen Jahren eine in ihrer Art einzige Sammlung
Zu Stande brachte. Vom Altarwerk, das sich über das niedere Gebiet des
bloßen Nutzens in das höhere der reinen Kunst erhebt, bis zum geringsten
Werkzeuge des täglichen Daseins herab, sind alle Geräthe vertreten. deren der
Mensch sowohl zu den höheren als zu den gewöhnlichen Zwecken in den ver¬
schiedenen Zweigen seines äußeren Lebens bedarf und denen er das Gepräge
seiner freien spielenden Phantasie aufgedrückt hat, um ihnen den prosaischen
Schein der zwingenden Nothdurft zu nehmen. Ein vollständiges Bild der
deutschen Gesittung in allen früheren Perioden und zugleich des deutschen
Kunstlebens, das auch das Product des Bedürfnisses durch die künstlerische
Form und Zierde zu veredeln und wie ein selbständiges Merkmal des innern Lebens
Zu behandeln wußte. Als mit der Sammlung begonnen wurde, war es just


muß sich der Beschauer an den geistvollen Zug der Phantasie, an die Anord¬
nung und Komposition hallen; und da im Grunde hierauf die Hauptwirkung
des Ganzen beruht, so wird ihm trotz ihrer Mangel diese ideale Welt bei ern¬
ster und eingehender Betrachtung einen großen Eindruck zurücklassen.

Indem auf diese Weise durch das Gebäude und seine Ausschmückung eine
Passende und vom Geist der Antike belebte Umgebung für die alten Bildwerke
hergestellt ist, hat die Glyptothek das Museenhafte glücklich vermieden. Sie
führt den Besucher gleichsam in die Stimmung des plastischen Lebens der Alten
zurück und bringt ihre Götter und Helden seinem Verständniß entgegen. Hierzu
trägt auch die Aufstellung der Statuen bei. welche nicht wie gewöhnlich in ver¬
wirrender Menge und zu einem bunten Durcheinander die Kunstwerke zusammen¬
drängt, sondern soviel wie möglich der geschichtlichen Entwicklung folgt, den
Beschauer in den inneren Zusammenhang einführt und zugleich jedes Bald wie
ein Individuum für sich hinstellt, das für sich betrachtet und verstanden sein will.

Hat sich König Ludwig durch diese Sammlung classischer Kunstwerke und
die ideale Wohnstätte, welche er ihnen angewiesen hat, ein unvergängliches
Denkmal gesetzt, so hat sich seinerseits König Max um die deutsche Kunst der
Vergangenheit ein ähnliches, nicht minder großes Verdienst erworben. Die
Errichtung des Na ti on a l in uscums beruhte auf dem glücklichen Gedanken,
von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage alle Ueberreste des deutschen Cul¬
turlebens zu sammeln, in denen eine künstlerische Hand mit thätig war oder
doch der künstlerische Sinn der verschiedenen Zeiten sich ausspuckt. Man ging
hierbei von dem engeren vaterländischen Kreise, den bayrischen Denkmälern aus,
nahm aber mit richtigem Verständniß für das Ineinandergreifen der ganzen
deutschen Kunstthätigkeit die Producte anderer Länder mit auf. Zum Leiter
des ganzen Unternehmens hatte Maximilian einen Mann — Baron Arelim —
berufen. wie er sich zu diesem Zweck nicht besser hätte finden können; der voll
Lust und Liebe zur Sache, mit gründlicher Kenntniß, freiem künstlerischen Blick
und unermüdlichem Eifer in wenigen Jahren eine in ihrer Art einzige Sammlung
Zu Stande brachte. Vom Altarwerk, das sich über das niedere Gebiet des
bloßen Nutzens in das höhere der reinen Kunst erhebt, bis zum geringsten
Werkzeuge des täglichen Daseins herab, sind alle Geräthe vertreten. deren der
Mensch sowohl zu den höheren als zu den gewöhnlichen Zwecken in den ver¬
schiedenen Zweigen seines äußeren Lebens bedarf und denen er das Gepräge
seiner freien spielenden Phantasie aufgedrückt hat, um ihnen den prosaischen
Schein der zwingenden Nothdurft zu nehmen. Ein vollständiges Bild der
deutschen Gesittung in allen früheren Perioden und zugleich des deutschen
Kunstlebens, das auch das Product des Bedürfnisses durch die künstlerische
Form und Zierde zu veredeln und wie ein selbständiges Merkmal des innern Lebens
Zu behandeln wußte. Als mit der Sammlung begonnen wurde, war es just


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/229>, abgerufen am 23.07.2024.