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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Und als sie nun frisch und voll drängender Hoffnungen ihre ersten Schritte
in die Welt gethan, da traf sie, wie im Märchen, auf den jungen Königssohn,
der, von ihrem jugendlichen und großen Reiz gefangen, sie in sein Reich
führte und dort mit ihr ein herrliches Fest der Vermählung feierte. Der Leser
lächelt über diese wundersame Einkleidung des mit dem Jahrhundert neu er¬
wachenden Kunstlebens, aber er wird, wenn er näher zusieht, das Märchen
vollständig finden. Denn an der Wiege fehlte, zwar verhüllt und versteckt noch
hinter den guten Geistern, auch die böse Fee nicht, die dem Kind das verhäng-
nißvolle Geschenk der romantischen Gelüste mitgab und die Einbildung einpflanzte,
daß es auch ohne jene spielend und tändelnd das Größte vollbringen könne.
Wie es später seine Beschützer mit diesen unheimlichen Reizen berückte, dessen
wollen wir nicht wieder und dafür lieber noch einmal seiner Jugend gedenken,
da noch alle guten Geister mit ihm waren.

Es war ein wunderbares Zusammenwirken der bildenden Künste, als Klenze
den Bau herstellte. Cornelius seine Wände schmückte, um zur Aufnahme der
alten Bildwerke den passenden Raum zu bereiten. Und wahrlich, seit ihr
Reich zu Ende gegangen, ist es diesen, selbst in der Zeit der Renaissance, kaum
je so gut geworden. Was man auch in Nebendingen an dem Bau von Klenze
rügen mag, sein Haften am Boden, von dem es sich nicht energisch genug los"
ringt, die unkannelirten Säulen, die Nüchternheit der inneren ornamentalen
Ausschmückung: es ist ein Bau, der für seinen Zweck ausdrucksvoller kaum
hätte ersonnen und durchgeführt werden tonnen, und zu einer Zeit, da sonst
die Antike noch in den schweren Fesseln der kaiserlichen Auffassung lag, von
ihrem echten Geiste umweht, von ihrer Phantasie getragen und gehoben. So¬
weit Klenze in ihm nachbildend zu Werke ging, war das hier ganz am Platze,
wo es galt, der classischen Kunst ihren Palast zu errichten. Zugleich aber zeigte
sich schon hier sein lebendiges Verständniß der Antike, indem er den vollen Ein¬
klang und Rhythmus der Verhältnisse traf, die sich ja schon deshalb nicht nachahmen
lassen, weil sie in allen Werken der griechischen Architektur unberechenbar, in
ihrem steten lebendigen Wechsel unfaßbar, nur auf der feinen Eigenthümlichkeit
ästhetischer Empfindung und architektonischen Sinnes beruhen. Doch auch da,
Wo er für den modernen Zweck eine Fortbildung der Antike versuchte, zeigte
sich die Freiheit seiner von den Alten durchdrungenen Phantasie, indem er in
organischer Gliederung an den beherrschenden Mittelkörper die einfachen, aber
in demselben Charakter gehaltenen Seitenflügel anschloß und in der Belebung
ihrer Flächen die Bestimmung des Baues architektonisch Versinnlichte. Dasselbe
lebendige Gepräge des Zweckes trägt die innere Eintheilung. Durch die hellen,
großen, im Kreislauf sich aneinander reisenden Säle, die von innen ein ge-
schlossenes Licht empfangen, von der Außenwelt aber keinen Strahl und keinen
Laut des Tages aufnehmen, ergießt sich gleichsam die stille, gesammelte, in sich
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Und als sie nun frisch und voll drängender Hoffnungen ihre ersten Schritte
in die Welt gethan, da traf sie, wie im Märchen, auf den jungen Königssohn,
der, von ihrem jugendlichen und großen Reiz gefangen, sie in sein Reich
führte und dort mit ihr ein herrliches Fest der Vermählung feierte. Der Leser
lächelt über diese wundersame Einkleidung des mit dem Jahrhundert neu er¬
wachenden Kunstlebens, aber er wird, wenn er näher zusieht, das Märchen
vollständig finden. Denn an der Wiege fehlte, zwar verhüllt und versteckt noch
hinter den guten Geistern, auch die böse Fee nicht, die dem Kind das verhäng-
nißvolle Geschenk der romantischen Gelüste mitgab und die Einbildung einpflanzte,
daß es auch ohne jene spielend und tändelnd das Größte vollbringen könne.
Wie es später seine Beschützer mit diesen unheimlichen Reizen berückte, dessen
wollen wir nicht wieder und dafür lieber noch einmal seiner Jugend gedenken,
da noch alle guten Geister mit ihm waren.

Es war ein wunderbares Zusammenwirken der bildenden Künste, als Klenze
den Bau herstellte. Cornelius seine Wände schmückte, um zur Aufnahme der
alten Bildwerke den passenden Raum zu bereiten. Und wahrlich, seit ihr
Reich zu Ende gegangen, ist es diesen, selbst in der Zeit der Renaissance, kaum
je so gut geworden. Was man auch in Nebendingen an dem Bau von Klenze
rügen mag, sein Haften am Boden, von dem es sich nicht energisch genug los»
ringt, die unkannelirten Säulen, die Nüchternheit der inneren ornamentalen
Ausschmückung: es ist ein Bau, der für seinen Zweck ausdrucksvoller kaum
hätte ersonnen und durchgeführt werden tonnen, und zu einer Zeit, da sonst
die Antike noch in den schweren Fesseln der kaiserlichen Auffassung lag, von
ihrem echten Geiste umweht, von ihrer Phantasie getragen und gehoben. So¬
weit Klenze in ihm nachbildend zu Werke ging, war das hier ganz am Platze,
wo es galt, der classischen Kunst ihren Palast zu errichten. Zugleich aber zeigte
sich schon hier sein lebendiges Verständniß der Antike, indem er den vollen Ein¬
klang und Rhythmus der Verhältnisse traf, die sich ja schon deshalb nicht nachahmen
lassen, weil sie in allen Werken der griechischen Architektur unberechenbar, in
ihrem steten lebendigen Wechsel unfaßbar, nur auf der feinen Eigenthümlichkeit
ästhetischer Empfindung und architektonischen Sinnes beruhen. Doch auch da,
Wo er für den modernen Zweck eine Fortbildung der Antike versuchte, zeigte
sich die Freiheit seiner von den Alten durchdrungenen Phantasie, indem er in
organischer Gliederung an den beherrschenden Mittelkörper die einfachen, aber
in demselben Charakter gehaltenen Seitenflügel anschloß und in der Belebung
ihrer Flächen die Bestimmung des Baues architektonisch Versinnlichte. Dasselbe
lebendige Gepräge des Zweckes trägt die innere Eintheilung. Durch die hellen,
großen, im Kreislauf sich aneinander reisenden Säle, die von innen ein ge-
schlossenes Licht empfangen, von der Außenwelt aber keinen Strahl und keinen
Laut des Tages aufnehmen, ergießt sich gleichsam die stille, gesammelte, in sich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/227>, abgerufen am 23.07.2024.