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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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mit dem Gefühl behaglicher Sicherheit du- aufregende Encyklika sammt Syllabus
von Anfang bis zu Ende lesen. An einer Perlenschnur von achtzig wohlgc-
zählten Sätzen vergewisserte man sich des Fortschritts der Jahrhunderte und gab
sich dem erfreuenden Gefühle hin, wie weit die Zeiten der Gregore und der
Jnnoccnze hinter uns liegen.

Aber selbst dieser Eindruck hätte in unsrer abgestumpften Zeit, in welcher
auch das Ueberraschende und Seltene rasch sich vvrübcrdrängt, die Bulle nicht
vor dem gewöhnlichen Schicksal ihrer Schwestern bewahrt, in acht Tagen wieder
vergessen zu sein, wenn sie nicht außer der Kreuzzeitung noch einen andern
wirksameren, obwohl gleichfalls unerwarteten Bundesgenossen gefunden hätte:
die Verlegenheit und das Ungeschick der französischen Regierung.

Frankreich war die eigentliche Adresse der Encyklika, denn sie war die Ant¬
wort des päpstlichen Stuhls auf die Convention vom 15. Sept. Ist es wahr,
daß das Actenstück seit zwei Jahren auf Lager war und der Papst bisher nur
keine schickliche Gelegenheit zur Veröffentlichung fand, vielleicht auch von be¬
sonneneren Rathgebern bisher zur Zurückhaltung bewogen worden war, so ist der
Umstand, daß gerade jetzt der Veröffentlichung alle Rücksichten weichen mußten,
entscheidend für den eigentlichen Sinn der Kundgebung. Die Anklage des fran¬
zösischen Ministers, daß die Regierungsweise des Kirchenstaates zu wünschen
übrig lasse und zuweilen im Widerspruch mit den Grundsätzen der französischen
Negierung stehe, erwiedert der Papst mit einer Anklageacte gegen den gesamm-
ten modernen-Staat, den Vertrag über die Räumung Roms mit einer feier¬
lichen Verdammung des Grundsatzes, daß weltliche und geistliche Gewalt zu
trennen seien, die Hoffnungen der liberalen Katholiken mit einer kategorischen
Weigerung, jemals "mit dem Fortschritt, mit dem Liberalismus und der mo¬
dernen Civilisation sich zu versöhnen und zu vertragen."

Die Convention selbst hatte den französischen Klerus nur mäßig aufgeregt.
So lange die französische" Truppen vor der Engelsburg Wache halten, stünde
es auch dem Klerus übel an, diejenige Regierung anzugreifen, welche die ein¬
zige Stütze für das weltliche Papstthum ist. Auch für die Zukunft war ja noch
nicht alle Hoffnung verloren, und an wen konnte sich diese knüpfen als an den
gute" Willen des französischen Kaisers? In der That hatte Drouyn de Lhuys
die Convention im Licht einer unschädlichen, für das Papstthum sogar vortheil¬
haften Maßregel darzustellen gewußt, der Klerus war beruhigt, er schien es
wenigstens. Mit dieser Harmlosigkeit der Convention wollte es freilich nicht
ganz stimmen, daß gleichzeitig mit ihr die gallikanischen Tendenzen da und dort
wieder auftauchten und von der Regierung offenbar begünstigt wurden. Aber
sie schienen doch wenig mehr zu bedeuten, als ein unschuldiges Geplänkel;
denn an eine Rückkehr zu der Kirche Ludwigs des Vierzehnten konnte doch im
Ernste niemand denken. Es verrieth sich darin wohl eine gewisse Unruhe, ein


mit dem Gefühl behaglicher Sicherheit du- aufregende Encyklika sammt Syllabus
von Anfang bis zu Ende lesen. An einer Perlenschnur von achtzig wohlgc-
zählten Sätzen vergewisserte man sich des Fortschritts der Jahrhunderte und gab
sich dem erfreuenden Gefühle hin, wie weit die Zeiten der Gregore und der
Jnnoccnze hinter uns liegen.

Aber selbst dieser Eindruck hätte in unsrer abgestumpften Zeit, in welcher
auch das Ueberraschende und Seltene rasch sich vvrübcrdrängt, die Bulle nicht
vor dem gewöhnlichen Schicksal ihrer Schwestern bewahrt, in acht Tagen wieder
vergessen zu sein, wenn sie nicht außer der Kreuzzeitung noch einen andern
wirksameren, obwohl gleichfalls unerwarteten Bundesgenossen gefunden hätte:
die Verlegenheit und das Ungeschick der französischen Regierung.

Frankreich war die eigentliche Adresse der Encyklika, denn sie war die Ant¬
wort des päpstlichen Stuhls auf die Convention vom 15. Sept. Ist es wahr,
daß das Actenstück seit zwei Jahren auf Lager war und der Papst bisher nur
keine schickliche Gelegenheit zur Veröffentlichung fand, vielleicht auch von be¬
sonneneren Rathgebern bisher zur Zurückhaltung bewogen worden war, so ist der
Umstand, daß gerade jetzt der Veröffentlichung alle Rücksichten weichen mußten,
entscheidend für den eigentlichen Sinn der Kundgebung. Die Anklage des fran¬
zösischen Ministers, daß die Regierungsweise des Kirchenstaates zu wünschen
übrig lasse und zuweilen im Widerspruch mit den Grundsätzen der französischen
Negierung stehe, erwiedert der Papst mit einer Anklageacte gegen den gesamm-
ten modernen-Staat, den Vertrag über die Räumung Roms mit einer feier¬
lichen Verdammung des Grundsatzes, daß weltliche und geistliche Gewalt zu
trennen seien, die Hoffnungen der liberalen Katholiken mit einer kategorischen
Weigerung, jemals „mit dem Fortschritt, mit dem Liberalismus und der mo¬
dernen Civilisation sich zu versöhnen und zu vertragen."

Die Convention selbst hatte den französischen Klerus nur mäßig aufgeregt.
So lange die französische» Truppen vor der Engelsburg Wache halten, stünde
es auch dem Klerus übel an, diejenige Regierung anzugreifen, welche die ein¬
zige Stütze für das weltliche Papstthum ist. Auch für die Zukunft war ja noch
nicht alle Hoffnung verloren, und an wen konnte sich diese knüpfen als an den
gute» Willen des französischen Kaisers? In der That hatte Drouyn de Lhuys
die Convention im Licht einer unschädlichen, für das Papstthum sogar vortheil¬
haften Maßregel darzustellen gewußt, der Klerus war beruhigt, er schien es
wenigstens. Mit dieser Harmlosigkeit der Convention wollte es freilich nicht
ganz stimmen, daß gleichzeitig mit ihr die gallikanischen Tendenzen da und dort
wieder auftauchten und von der Regierung offenbar begünstigt wurden. Aber
sie schienen doch wenig mehr zu bedeuten, als ein unschuldiges Geplänkel;
denn an eine Rückkehr zu der Kirche Ludwigs des Vierzehnten konnte doch im
Ernste niemand denken. Es verrieth sich darin wohl eine gewisse Unruhe, ein


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[0205] mit dem Gefühl behaglicher Sicherheit du- aufregende Encyklika sammt Syllabus von Anfang bis zu Ende lesen. An einer Perlenschnur von achtzig wohlgc- zählten Sätzen vergewisserte man sich des Fortschritts der Jahrhunderte und gab sich dem erfreuenden Gefühle hin, wie weit die Zeiten der Gregore und der Jnnoccnze hinter uns liegen. Aber selbst dieser Eindruck hätte in unsrer abgestumpften Zeit, in welcher auch das Ueberraschende und Seltene rasch sich vvrübcrdrängt, die Bulle nicht vor dem gewöhnlichen Schicksal ihrer Schwestern bewahrt, in acht Tagen wieder vergessen zu sein, wenn sie nicht außer der Kreuzzeitung noch einen andern wirksameren, obwohl gleichfalls unerwarteten Bundesgenossen gefunden hätte: die Verlegenheit und das Ungeschick der französischen Regierung. Frankreich war die eigentliche Adresse der Encyklika, denn sie war die Ant¬ wort des päpstlichen Stuhls auf die Convention vom 15. Sept. Ist es wahr, daß das Actenstück seit zwei Jahren auf Lager war und der Papst bisher nur keine schickliche Gelegenheit zur Veröffentlichung fand, vielleicht auch von be¬ sonneneren Rathgebern bisher zur Zurückhaltung bewogen worden war, so ist der Umstand, daß gerade jetzt der Veröffentlichung alle Rücksichten weichen mußten, entscheidend für den eigentlichen Sinn der Kundgebung. Die Anklage des fran¬ zösischen Ministers, daß die Regierungsweise des Kirchenstaates zu wünschen übrig lasse und zuweilen im Widerspruch mit den Grundsätzen der französischen Negierung stehe, erwiedert der Papst mit einer Anklageacte gegen den gesamm- ten modernen-Staat, den Vertrag über die Räumung Roms mit einer feier¬ lichen Verdammung des Grundsatzes, daß weltliche und geistliche Gewalt zu trennen seien, die Hoffnungen der liberalen Katholiken mit einer kategorischen Weigerung, jemals „mit dem Fortschritt, mit dem Liberalismus und der mo¬ dernen Civilisation sich zu versöhnen und zu vertragen." Die Convention selbst hatte den französischen Klerus nur mäßig aufgeregt. So lange die französische» Truppen vor der Engelsburg Wache halten, stünde es auch dem Klerus übel an, diejenige Regierung anzugreifen, welche die ein¬ zige Stütze für das weltliche Papstthum ist. Auch für die Zukunft war ja noch nicht alle Hoffnung verloren, und an wen konnte sich diese knüpfen als an den gute» Willen des französischen Kaisers? In der That hatte Drouyn de Lhuys die Convention im Licht einer unschädlichen, für das Papstthum sogar vortheil¬ haften Maßregel darzustellen gewußt, der Klerus war beruhigt, er schien es wenigstens. Mit dieser Harmlosigkeit der Convention wollte es freilich nicht ganz stimmen, daß gleichzeitig mit ihr die gallikanischen Tendenzen da und dort wieder auftauchten und von der Regierung offenbar begünstigt wurden. Aber sie schienen doch wenig mehr zu bedeuten, als ein unschuldiges Geplänkel; denn an eine Rückkehr zu der Kirche Ludwigs des Vierzehnten konnte doch im Ernste niemand denken. Es verrieth sich darin wohl eine gewisse Unruhe, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/205>, abgerufen am 23.07.2024.