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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Jahr 1789 erschüttert worden sind. Die freie Forschung ist verdammt, die
Wissenschaft unter die Autorität der Kirche gesprochen. Der Katholicismus für
die einzige legitime Kirche erklärt, für ihn allein der Schutz des Staates, für
ihn die Disposition über die weltlichen Machtmittel in Anspruch genommen.
Verdammt ist der Grundsatz, daß der Staat auf eigenen Füßen stehen und die
bürgerliche Gesellschaft sich von der Kirche emancipiren solle; verdammt ist die
Lehre, daß das Papstthum auf weltlichen Besitz verzichten und sich mit den
modernen Ideen verständigen solle. Dies ist deutlich geredet. Niemand hat
das Recht, über mißverständliche Dunkelheit zu klagen.

Wenn nun das Papstthum sich daraus beschränkte, an seinen historischen
Reckten festzuhalten, oder die Grundsätze zu proclamiren. von welchen es jetzt
und in Zukunft sich leiten zu lassen gedenkt, so wäre auch hiergegen nichts
einzuwenden. Allein es sind zum Theil anerkannte, zu Recht bestehende Ver¬
hältnisse, es sind Verträge, zu welchen sich das Papstthum selbst im Laufe der
schlimmen Zeit hat bequemen müssen, für nichtig erklärt, freilich unter der
schützenden indirecten Form einer Verdammung der Grundsätze, auf welchen sie
beruhen. Daß der Vatican dem Protestantismus die Legitimität abspricht,
dies versteht sich ohnedies von selbst, und wir verdienen es auch nicht besser.
Aber dazu gehörte doch angesichts so zahlreicher Concordate einige Kühnheit,
gegen das Recht der Staatsgewalt zur Ertheilung des Exeqnatur zu Protestiren,
und Sätze wie den, daß die bürgerliche Gewalt den freien wechselseitigen Ver¬
kehr der Bischöfe und Gläubigen mit dem Papste hindern dürfe, als Irrthümer
zu verdammen. Der reichhaltige Paragraph, welcher die Irrthümer im Bezug
auf die Kirche und ihre Rechte enthält, stellt das bestehende Verhältniß des
modernen Staats zur Kirche geradezu auf den Kopf. Es sind recht eigentlich
destructive Tendenzen, welche der Vatican proclamirt hat. Den Vorwurf der
Untergrabung der menschlichen Gesellschaft wird derjenige gegen niemand mehr
schleudern können, der selbst die Grundlagen der Gesellschaft angreift, wie sie
thatsächlich bestehen und in Geltung sind. Und die Sache wird nur um so
schlimmer, wenn es eine officielle Autorität ist, ausgestattet mit einem wohl-
disciplinirten Apparat einflußreicher Werkzeuge, welche ein solches Manifest er¬
gehen läßt. Der einzelne Jdcolvge, der mit keinen andern Waffen als mit
denen des Wortes das Bestehende angreift, wird als Friedensstörer von den
Gewalten unschädlich gemacht. Welcher Sturm, so sollte man denken, müßte
eine Kriegserklärung, von solcher Stelle ausgesprochen, überall hervorrufen!
Welcher Aufruhr in protestantischen und katholischen Ländern, welche Bestürzung
in der Familie, in den Kreisen der Wissenschaft, in den Spitzen des Staats!
Wie wird sich alles rüsten, mit Aufgebot aller Kräfte den Angriff des gefähr¬
lichen Gegners abzuschlagen!'-- Nichts von alledem. Mit Staunen vernahm
die Welt die Stimme eines vergangenen Zeitalters und ging ruhig wieder ihren


Jahr 1789 erschüttert worden sind. Die freie Forschung ist verdammt, die
Wissenschaft unter die Autorität der Kirche gesprochen. Der Katholicismus für
die einzige legitime Kirche erklärt, für ihn allein der Schutz des Staates, für
ihn die Disposition über die weltlichen Machtmittel in Anspruch genommen.
Verdammt ist der Grundsatz, daß der Staat auf eigenen Füßen stehen und die
bürgerliche Gesellschaft sich von der Kirche emancipiren solle; verdammt ist die
Lehre, daß das Papstthum auf weltlichen Besitz verzichten und sich mit den
modernen Ideen verständigen solle. Dies ist deutlich geredet. Niemand hat
das Recht, über mißverständliche Dunkelheit zu klagen.

Wenn nun das Papstthum sich daraus beschränkte, an seinen historischen
Reckten festzuhalten, oder die Grundsätze zu proclamiren. von welchen es jetzt
und in Zukunft sich leiten zu lassen gedenkt, so wäre auch hiergegen nichts
einzuwenden. Allein es sind zum Theil anerkannte, zu Recht bestehende Ver¬
hältnisse, es sind Verträge, zu welchen sich das Papstthum selbst im Laufe der
schlimmen Zeit hat bequemen müssen, für nichtig erklärt, freilich unter der
schützenden indirecten Form einer Verdammung der Grundsätze, auf welchen sie
beruhen. Daß der Vatican dem Protestantismus die Legitimität abspricht,
dies versteht sich ohnedies von selbst, und wir verdienen es auch nicht besser.
Aber dazu gehörte doch angesichts so zahlreicher Concordate einige Kühnheit,
gegen das Recht der Staatsgewalt zur Ertheilung des Exeqnatur zu Protestiren,
und Sätze wie den, daß die bürgerliche Gewalt den freien wechselseitigen Ver¬
kehr der Bischöfe und Gläubigen mit dem Papste hindern dürfe, als Irrthümer
zu verdammen. Der reichhaltige Paragraph, welcher die Irrthümer im Bezug
auf die Kirche und ihre Rechte enthält, stellt das bestehende Verhältniß des
modernen Staats zur Kirche geradezu auf den Kopf. Es sind recht eigentlich
destructive Tendenzen, welche der Vatican proclamirt hat. Den Vorwurf der
Untergrabung der menschlichen Gesellschaft wird derjenige gegen niemand mehr
schleudern können, der selbst die Grundlagen der Gesellschaft angreift, wie sie
thatsächlich bestehen und in Geltung sind. Und die Sache wird nur um so
schlimmer, wenn es eine officielle Autorität ist, ausgestattet mit einem wohl-
disciplinirten Apparat einflußreicher Werkzeuge, welche ein solches Manifest er¬
gehen läßt. Der einzelne Jdcolvge, der mit keinen andern Waffen als mit
denen des Wortes das Bestehende angreift, wird als Friedensstörer von den
Gewalten unschädlich gemacht. Welcher Sturm, so sollte man denken, müßte
eine Kriegserklärung, von solcher Stelle ausgesprochen, überall hervorrufen!
Welcher Aufruhr in protestantischen und katholischen Ländern, welche Bestürzung
in der Familie, in den Kreisen der Wissenschaft, in den Spitzen des Staats!
Wie wird sich alles rüsten, mit Aufgebot aller Kräfte den Angriff des gefähr¬
lichen Gegners abzuschlagen!'— Nichts von alledem. Mit Staunen vernahm
die Welt die Stimme eines vergangenen Zeitalters und ging ruhig wieder ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/203>, abgerufen am 23.07.2024.