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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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für ein Darlehn Von 3 Livres 2 Sous (173°/<> jährlich) zahlen ließen und
doch damit ein so brennendes Bedürfniß der unteren Volksschichten erfüllten,
daß die Schuldner für sie baten, wenn sie wegen Wuchers bestraft werden
sollten.

Eben weil diese Wechsler auch im Mittelalter -- ja bier wegen des allem
Geldumlauf entgegentretenden Wucberverbotes und der geringen wirthschaft¬
lichen Entwicklung noch viel mehr -- die so überaus zahlreichen unbemittelteren,
doch sicheren Glieder der Gesellschaft von einem Hauptübel, dein Geldmangel,
zu befreien vermochten, festigte sich allmälig die Stellung der Wechsler zunähst
thatsächlich der Art, daß die Inhaber der Wechselbänke und Darlehntisch?
jederzeit unter bestimmten Bedingungen der Sicherheit und Zinsen Darlehen
verabreichten. Seitdem wußten die Geldsuchenden, daß sie, sobald sie nur
jene Bedingungen erfüllten, stets baare Darlehn hier vorfinden mußten.

So erstand die Darlehnsbank neben der Wechselbank für Schuldner
und Gläubiger. Ein besonderer Hinweis auf dieselbe liegt in dem sogenannten
"Schadennchmen". Wenn nämlich bei Darlehen der Gläubiger zur Zablungs-
zeit vergebens die Zahlung Seitens des Schuldners erwartete und des Geldes
so dringend bedürfte, daß er die endliche Zahlung des Darlehns und des Ver¬
zugsschadens nicht abwarten konnte, so gestatteten ihm die weltlichen Gesetze
im Anschlusse an das kirchliche Recht, sich das Darlehnscapital von den nach
obiger Ausführung eben stets geld- und leihfcrtigen Wechslern gegen Zinsen
und Sicherheit zu leihen, und der Schuldner war verpflichtet, diese Beträge,
welche der Gläubiger "auf des Schuldners Schaden" vom Wechsler geliehen
hatte, nebst Zinsen und allen Unkosten dem Gläubiger zu erstatten. Es mag
hier sogleich darauf verwiesen werden, daß dieses Institut des "Sckadennehmcns"
ganz besonders das Zinsverbvt illusorisch machte, da der Gläubiger, gesetzlich
befugt, die ihm sonst untersagten Zinsen (der darin privilegirten Juden und
Wechsler) gegen den Schuldner einklagen durfte. Daß das Rechtsgeschäft nicht
blos in Süddeutschland, wo die Stadtrechte genaue Vorschriften darüber ent¬
hielten , sondern seit dem dreizehnten Jahrhundert auch in Norddeutschland und
gerade von den oben genannten unbemitteltern Handwerkern und Kleinhändlern
üblich war, läßt sich vielfach nachweisen. In allen hierher gehörigen Fällen
gestatteten die weltlichen Gesetze also den Wechslern wenigstens stillschweigend,
für die Darlehen ihrer offnen Darlehnsbänke Zinsen zu fordern.

Aber in weiterem Verlauf des Verkehrs erwies die Darlehnsbank sich trotz
des kirchlichen Zinsenverbots oder auch durch dessen Ausschluß gesunder Dar-
lehnsconcurrenz so nöthig und nickt selten heilsam für das Geldbedürfniß zu¬
nächst der niederen Stände, daß die Gesetze nickt blos die zinsbaren Darlehn
der Wechsler wie ein nothwendiges Uebel anerkannten, sondern sogar die bis¬
her nur freiwilligen Darlehnsgeber nöthigten, unter bestimmten Bedingungen
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für ein Darlehn Von 3 Livres 2 Sous (173°/<> jährlich) zahlen ließen und
doch damit ein so brennendes Bedürfniß der unteren Volksschichten erfüllten,
daß die Schuldner für sie baten, wenn sie wegen Wuchers bestraft werden
sollten.

Eben weil diese Wechsler auch im Mittelalter — ja bier wegen des allem
Geldumlauf entgegentretenden Wucberverbotes und der geringen wirthschaft¬
lichen Entwicklung noch viel mehr — die so überaus zahlreichen unbemittelteren,
doch sicheren Glieder der Gesellschaft von einem Hauptübel, dein Geldmangel,
zu befreien vermochten, festigte sich allmälig die Stellung der Wechsler zunähst
thatsächlich der Art, daß die Inhaber der Wechselbänke und Darlehntisch?
jederzeit unter bestimmten Bedingungen der Sicherheit und Zinsen Darlehen
verabreichten. Seitdem wußten die Geldsuchenden, daß sie, sobald sie nur
jene Bedingungen erfüllten, stets baare Darlehn hier vorfinden mußten.

So erstand die Darlehnsbank neben der Wechselbank für Schuldner
und Gläubiger. Ein besonderer Hinweis auf dieselbe liegt in dem sogenannten
„Schadennchmen". Wenn nämlich bei Darlehen der Gläubiger zur Zablungs-
zeit vergebens die Zahlung Seitens des Schuldners erwartete und des Geldes
so dringend bedürfte, daß er die endliche Zahlung des Darlehns und des Ver¬
zugsschadens nicht abwarten konnte, so gestatteten ihm die weltlichen Gesetze
im Anschlusse an das kirchliche Recht, sich das Darlehnscapital von den nach
obiger Ausführung eben stets geld- und leihfcrtigen Wechslern gegen Zinsen
und Sicherheit zu leihen, und der Schuldner war verpflichtet, diese Beträge,
welche der Gläubiger „auf des Schuldners Schaden" vom Wechsler geliehen
hatte, nebst Zinsen und allen Unkosten dem Gläubiger zu erstatten. Es mag
hier sogleich darauf verwiesen werden, daß dieses Institut des „Sckadennehmcns"
ganz besonders das Zinsverbvt illusorisch machte, da der Gläubiger, gesetzlich
befugt, die ihm sonst untersagten Zinsen (der darin privilegirten Juden und
Wechsler) gegen den Schuldner einklagen durfte. Daß das Rechtsgeschäft nicht
blos in Süddeutschland, wo die Stadtrechte genaue Vorschriften darüber ent¬
hielten , sondern seit dem dreizehnten Jahrhundert auch in Norddeutschland und
gerade von den oben genannten unbemitteltern Handwerkern und Kleinhändlern
üblich war, läßt sich vielfach nachweisen. In allen hierher gehörigen Fällen
gestatteten die weltlichen Gesetze also den Wechslern wenigstens stillschweigend,
für die Darlehen ihrer offnen Darlehnsbänke Zinsen zu fordern.

Aber in weiterem Verlauf des Verkehrs erwies die Darlehnsbank sich trotz
des kirchlichen Zinsenverbots oder auch durch dessen Ausschluß gesunder Dar-
lehnsconcurrenz so nöthig und nickt selten heilsam für das Geldbedürfniß zu¬
nächst der niederen Stände, daß die Gesetze nickt blos die zinsbaren Darlehn
der Wechsler wie ein nothwendiges Uebel anerkannten, sondern sogar die bis¬
her nur freiwilligen Darlehnsgeber nöthigten, unter bestimmten Bedingungen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/185>, abgerufen am 23.07.2024.