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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Nachbargebiete eigneten sich für den Betrieb des Handwechselns vornehm¬
lich die deutschen und Judenwechsler. Der Gewinn bei demselben mußte nach
den oben dargelegte" Münzverhältnissen bedeutend sein; als Ersatz der Arbeit
und der Vor- und Auslagen der Wechsler fiel er nicht unter das kirchliche, noch
weniger unter das weltliche Wucherverbot.

Viele Wechsler begnügten sich hiermit zweifellos neben ihren kaufmännischen
Privatgeschäften. Andere hielten, was sich damit trefflich verbinden ließ, außer¬
dem Darlehn gegen Zinsen und Sicherheit jederzeit bereit. Wie ver¬
einte sich dies mit dem im Mittelalter so mächtigen Zinscnverbote der Gesetze?

Die Juden zunächst standen außerhalb der Christenheit und ihrer specifisch
christlichen Gesetze, deren eines das Wuchergesctz war. Das alte Testament ge¬
startete ihnen sogar, Zinsen für Capitalsnutzung von Nichtjuden zu fordern.
Und wenn einzelne Päpste wie Innocenz der Dritte in besonders heiligem Eifer
die weltlichen Behörden aufforderten, die Zinsen der Juden zu behindern, widri¬
genfalls aller Verkehr zwischen Juden und Christen aufhören müsse, so fand
dieses Vorgehen mit geringen Ausnahmen bei Klerus und Laien in Deutsch¬
land wenig Folge. Man gestattete ihnen hier ganz allgemein, Zinsen und Dar¬
lehn straflos zu fordern, damit sie, sonst vielfach beschränkt, hierin eine Erwerbs¬
quelle hätten und umso ununterbrochener und ergiebiger ihre Judenabgaben
an große und kleine Obrigkeiten entrichteten. Einzelne und selbst geistliche
Machthaber sprachen sogar unverhohlen dem kirchlichen Zinsverbote gegenüber
aus. der Judenwucher sei nöthig, da den Christen Zinsen verboten würden;
auch thäten jene damit nichts sündliches; denn Juden hätten in diesem Punkte
kein Gewissen. Selbst in den Gesetzen des Kaisers Friedrich des Zweiten, des
Freigeists, für Sicilien liest man diese Begründung.

Hiermit hatten die Kirche, der Kaiser und die ihnen untergebenen Ge¬
walthaber zuvörderst mittelbar die Wechsler und deren zinsbare Darlehen
bereits anerkannt. Sie sahen ihre Stellung und ihre Geschäfte ganz wie die¬
jenigen der Juden an. Am klarsten drückt dies der eiscnacher Stadtschreiber Pur-
goldt, der ganz auf Seiten des Zinsverbvtes steht, am Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts aus: "Es sind auch etzlichc Christenleute offenbare Wuchrer, die
heißen Kawcrzancr (italienische Wechsler und Wechsler allgemein, s. oben) und
haben Schutz und Steuer von den Fürsten, unter denen sie gesessen sind,
umb ir gelt.. Diese Kawerzaner nehmen tägliche Zinsen auf Pfänder, Bürgen
oder Briefe, wie die Juden und darum sind sie offenbar Sünder und sind be¬
raubt der heiligen Sacramente, sie haben denn Reue darum und ihre Buße muß
offenbar sein; und darum so sind sie auch rechtlos und ehrlos vor geistlichen
und weltlichem Gerichten. Sie sind der Fürsten Kammerknechte gleich also die
Juden, dieweil sie das Wucher antreiben, an (ohne) das sie mit dem Leibe nicht
Eigne sind." So war die rechtliche, kirchliche und gesellschaftliche Stellung der


Nachbargebiete eigneten sich für den Betrieb des Handwechselns vornehm¬
lich die deutschen und Judenwechsler. Der Gewinn bei demselben mußte nach
den oben dargelegte» Münzverhältnissen bedeutend sein; als Ersatz der Arbeit
und der Vor- und Auslagen der Wechsler fiel er nicht unter das kirchliche, noch
weniger unter das weltliche Wucherverbot.

Viele Wechsler begnügten sich hiermit zweifellos neben ihren kaufmännischen
Privatgeschäften. Andere hielten, was sich damit trefflich verbinden ließ, außer¬
dem Darlehn gegen Zinsen und Sicherheit jederzeit bereit. Wie ver¬
einte sich dies mit dem im Mittelalter so mächtigen Zinscnverbote der Gesetze?

Die Juden zunächst standen außerhalb der Christenheit und ihrer specifisch
christlichen Gesetze, deren eines das Wuchergesctz war. Das alte Testament ge¬
startete ihnen sogar, Zinsen für Capitalsnutzung von Nichtjuden zu fordern.
Und wenn einzelne Päpste wie Innocenz der Dritte in besonders heiligem Eifer
die weltlichen Behörden aufforderten, die Zinsen der Juden zu behindern, widri¬
genfalls aller Verkehr zwischen Juden und Christen aufhören müsse, so fand
dieses Vorgehen mit geringen Ausnahmen bei Klerus und Laien in Deutsch¬
land wenig Folge. Man gestattete ihnen hier ganz allgemein, Zinsen und Dar¬
lehn straflos zu fordern, damit sie, sonst vielfach beschränkt, hierin eine Erwerbs¬
quelle hätten und umso ununterbrochener und ergiebiger ihre Judenabgaben
an große und kleine Obrigkeiten entrichteten. Einzelne und selbst geistliche
Machthaber sprachen sogar unverhohlen dem kirchlichen Zinsverbote gegenüber
aus. der Judenwucher sei nöthig, da den Christen Zinsen verboten würden;
auch thäten jene damit nichts sündliches; denn Juden hätten in diesem Punkte
kein Gewissen. Selbst in den Gesetzen des Kaisers Friedrich des Zweiten, des
Freigeists, für Sicilien liest man diese Begründung.

Hiermit hatten die Kirche, der Kaiser und die ihnen untergebenen Ge¬
walthaber zuvörderst mittelbar die Wechsler und deren zinsbare Darlehen
bereits anerkannt. Sie sahen ihre Stellung und ihre Geschäfte ganz wie die¬
jenigen der Juden an. Am klarsten drückt dies der eiscnacher Stadtschreiber Pur-
goldt, der ganz auf Seiten des Zinsverbvtes steht, am Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts aus: „Es sind auch etzlichc Christenleute offenbare Wuchrer, die
heißen Kawcrzancr (italienische Wechsler und Wechsler allgemein, s. oben) und
haben Schutz und Steuer von den Fürsten, unter denen sie gesessen sind,
umb ir gelt.. Diese Kawerzaner nehmen tägliche Zinsen auf Pfänder, Bürgen
oder Briefe, wie die Juden und darum sind sie offenbar Sünder und sind be¬
raubt der heiligen Sacramente, sie haben denn Reue darum und ihre Buße muß
offenbar sein; und darum so sind sie auch rechtlos und ehrlos vor geistlichen
und weltlichem Gerichten. Sie sind der Fürsten Kammerknechte gleich also die
Juden, dieweil sie das Wucher antreiben, an (ohne) das sie mit dem Leibe nicht
Eigne sind." So war die rechtliche, kirchliche und gesellschaftliche Stellung der


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[0182] Nachbargebiete eigneten sich für den Betrieb des Handwechselns vornehm¬ lich die deutschen und Judenwechsler. Der Gewinn bei demselben mußte nach den oben dargelegte» Münzverhältnissen bedeutend sein; als Ersatz der Arbeit und der Vor- und Auslagen der Wechsler fiel er nicht unter das kirchliche, noch weniger unter das weltliche Wucherverbot. Viele Wechsler begnügten sich hiermit zweifellos neben ihren kaufmännischen Privatgeschäften. Andere hielten, was sich damit trefflich verbinden ließ, außer¬ dem Darlehn gegen Zinsen und Sicherheit jederzeit bereit. Wie ver¬ einte sich dies mit dem im Mittelalter so mächtigen Zinscnverbote der Gesetze? Die Juden zunächst standen außerhalb der Christenheit und ihrer specifisch christlichen Gesetze, deren eines das Wuchergesctz war. Das alte Testament ge¬ startete ihnen sogar, Zinsen für Capitalsnutzung von Nichtjuden zu fordern. Und wenn einzelne Päpste wie Innocenz der Dritte in besonders heiligem Eifer die weltlichen Behörden aufforderten, die Zinsen der Juden zu behindern, widri¬ genfalls aller Verkehr zwischen Juden und Christen aufhören müsse, so fand dieses Vorgehen mit geringen Ausnahmen bei Klerus und Laien in Deutsch¬ land wenig Folge. Man gestattete ihnen hier ganz allgemein, Zinsen und Dar¬ lehn straflos zu fordern, damit sie, sonst vielfach beschränkt, hierin eine Erwerbs¬ quelle hätten und umso ununterbrochener und ergiebiger ihre Judenabgaben an große und kleine Obrigkeiten entrichteten. Einzelne und selbst geistliche Machthaber sprachen sogar unverhohlen dem kirchlichen Zinsverbote gegenüber aus. der Judenwucher sei nöthig, da den Christen Zinsen verboten würden; auch thäten jene damit nichts sündliches; denn Juden hätten in diesem Punkte kein Gewissen. Selbst in den Gesetzen des Kaisers Friedrich des Zweiten, des Freigeists, für Sicilien liest man diese Begründung. Hiermit hatten die Kirche, der Kaiser und die ihnen untergebenen Ge¬ walthaber zuvörderst mittelbar die Wechsler und deren zinsbare Darlehen bereits anerkannt. Sie sahen ihre Stellung und ihre Geschäfte ganz wie die¬ jenigen der Juden an. Am klarsten drückt dies der eiscnacher Stadtschreiber Pur- goldt, der ganz auf Seiten des Zinsverbvtes steht, am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts aus: „Es sind auch etzlichc Christenleute offenbare Wuchrer, die heißen Kawcrzancr (italienische Wechsler und Wechsler allgemein, s. oben) und haben Schutz und Steuer von den Fürsten, unter denen sie gesessen sind, umb ir gelt.. Diese Kawerzaner nehmen tägliche Zinsen auf Pfänder, Bürgen oder Briefe, wie die Juden und darum sind sie offenbar Sünder und sind be¬ raubt der heiligen Sacramente, sie haben denn Reue darum und ihre Buße muß offenbar sein; und darum so sind sie auch rechtlos und ehrlos vor geistlichen und weltlichem Gerichten. Sie sind der Fürsten Kammerknechte gleich also die Juden, dieweil sie das Wucher antreiben, an (ohne) das sie mit dem Leibe nicht Eigne sind." So war die rechtliche, kirchliche und gesellschaftliche Stellung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/182>, abgerufen am 23.07.2024.