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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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wieder auseinander, Nur daran sind wir erst, uns die Mittel zu den neuen
Lebensformen zu verschaffen. Mit rastlosen Rädern durchfliegen wir die Weit
des Geistes, um sie, in ihre Elemente aufgelöst, uns nutzbar zu machen, das
Gebiet der Natur, um ihre Stoffe in dem unermüdlichen Triebwerk des Handels,
der Gewerbe und Industrie für unsern Gebrauch zu verarbeiten. Wie uns
keine überlieferte Form mehr heilig ist. und jedes überkommene feste Gefüge.
sei es Menschen- oder Naturwerk, von der Forschung oder dem praktischen Be¬
trieb zerlegt wird, so wenig ist uns daran gelegen, die Interessen, welche die
Gegenwart in athemloser Bewegung erhalten, in Formen und Gestalten be¬
ruhigt vor uns zu sehen. In dieser ewigen Schwebe, diesem verzehrenden
Wechsel, in welchem das Product von heute schon morgen nur Stoff zu neuer
Verwerthung, flüchtig das erste beste Gewand sich umwirft, die Erscheinung des
sich überstürzende" Lebens in allen Farben schillert, und eben deshalb farblos
ist. flieht die bildende Kunst der Gegenwart unter den Händen weg: sie läßt
sich kaum fassen, am schwersten in da? feste Kleid der monumentalen Leistung,
und indem sie vvrübcrrauscht, aus ihrem Strom nur blindlings und zufällig
das Eine und Andere zu einem gleich ihr flüchtigen und verschwimmenden
Bilde herausgreifen.

Doch die Kunst giebt sich darum nicht auf, so wenig jemals in dem Räder¬
werk des Lebens eine wesentliche Eigenschaft des menschlichen Geistes zu Grunde
gehen kann. So weit ab auch von ihr die Hauptzüge der Zeit laufen, so ist
diese doch auch auf allseitige Ausbildung des menschlichen Wesens gerichtet und
kann daher der Kunst nicht entrathen. Zugleich will sie. wie keine frühere
Epoche, auf dieser Welt heimisch werden und holt daher die Schönheit der
Götter aus dem Himmel herab, um sie dem Diesseits zurückzugeben. Noch hat
sie nicht die Formen gefunden, in denen sie zu ihrem wahren, künstlerischen
Ausdruck käme, aber auch da, wo es nicht den Anschein hat. sucht sie darnach.
Muß man es den Königen nicht Dank wissen, daß sie diesen stillen Trieb un¬
terstützen und die sich regende Kunst unter ihre Obhut nehmen? daß sie ihr
große, zeitgemäße Stoffe bieten, und so gleichsam die flüchtige Geschichte des
Augenblicks festhalten, um sie von den Künstlern packen zu lassen, oder die mäch¬
tigen Gestalten der Vergangenheit als die Borboten der Gegenwart in ihre
Hände liefern? daß die fürstlichen Besteller selber die Anregung zu neue" For¬
men geben, indem sie dem öffentlichen Leben der Zeit seinen architektonischen
Leib bauen lassen und trotz der Ungunst der widerstrebenden Zustände Boden
und Nahrung der monumentalen Kunst verschaffen wollen?

Das alles haben die bayrischen Könige Ludwig der Erste und Maxi¬
milian der Zweite für die Neubelebung der Kunst gethan. Daß diese von
oben herab, von der Staatsgewalt, geschützt und gepflegt wird, ist ganz in der
Ordnung, denn sie ist und soll Ausdruck auch des öffentlichen Lebens sein.


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wieder auseinander, Nur daran sind wir erst, uns die Mittel zu den neuen
Lebensformen zu verschaffen. Mit rastlosen Rädern durchfliegen wir die Weit
des Geistes, um sie, in ihre Elemente aufgelöst, uns nutzbar zu machen, das
Gebiet der Natur, um ihre Stoffe in dem unermüdlichen Triebwerk des Handels,
der Gewerbe und Industrie für unsern Gebrauch zu verarbeiten. Wie uns
keine überlieferte Form mehr heilig ist. und jedes überkommene feste Gefüge.
sei es Menschen- oder Naturwerk, von der Forschung oder dem praktischen Be¬
trieb zerlegt wird, so wenig ist uns daran gelegen, die Interessen, welche die
Gegenwart in athemloser Bewegung erhalten, in Formen und Gestalten be¬
ruhigt vor uns zu sehen. In dieser ewigen Schwebe, diesem verzehrenden
Wechsel, in welchem das Product von heute schon morgen nur Stoff zu neuer
Verwerthung, flüchtig das erste beste Gewand sich umwirft, die Erscheinung des
sich überstürzende» Lebens in allen Farben schillert, und eben deshalb farblos
ist. flieht die bildende Kunst der Gegenwart unter den Händen weg: sie läßt
sich kaum fassen, am schwersten in da? feste Kleid der monumentalen Leistung,
und indem sie vvrübcrrauscht, aus ihrem Strom nur blindlings und zufällig
das Eine und Andere zu einem gleich ihr flüchtigen und verschwimmenden
Bilde herausgreifen.

Doch die Kunst giebt sich darum nicht auf, so wenig jemals in dem Räder¬
werk des Lebens eine wesentliche Eigenschaft des menschlichen Geistes zu Grunde
gehen kann. So weit ab auch von ihr die Hauptzüge der Zeit laufen, so ist
diese doch auch auf allseitige Ausbildung des menschlichen Wesens gerichtet und
kann daher der Kunst nicht entrathen. Zugleich will sie. wie keine frühere
Epoche, auf dieser Welt heimisch werden und holt daher die Schönheit der
Götter aus dem Himmel herab, um sie dem Diesseits zurückzugeben. Noch hat
sie nicht die Formen gefunden, in denen sie zu ihrem wahren, künstlerischen
Ausdruck käme, aber auch da, wo es nicht den Anschein hat. sucht sie darnach.
Muß man es den Königen nicht Dank wissen, daß sie diesen stillen Trieb un¬
terstützen und die sich regende Kunst unter ihre Obhut nehmen? daß sie ihr
große, zeitgemäße Stoffe bieten, und so gleichsam die flüchtige Geschichte des
Augenblicks festhalten, um sie von den Künstlern packen zu lassen, oder die mäch¬
tigen Gestalten der Vergangenheit als die Borboten der Gegenwart in ihre
Hände liefern? daß die fürstlichen Besteller selber die Anregung zu neue» For¬
men geben, indem sie dem öffentlichen Leben der Zeit seinen architektonischen
Leib bauen lassen und trotz der Ungunst der widerstrebenden Zustände Boden
und Nahrung der monumentalen Kunst verschaffen wollen?

Das alles haben die bayrischen Könige Ludwig der Erste und Maxi¬
milian der Zweite für die Neubelebung der Kunst gethan. Daß diese von
oben herab, von der Staatsgewalt, geschützt und gepflegt wird, ist ganz in der
Ordnung, denn sie ist und soll Ausdruck auch des öffentlichen Lebens sein.


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[0017] wieder auseinander, Nur daran sind wir erst, uns die Mittel zu den neuen Lebensformen zu verschaffen. Mit rastlosen Rädern durchfliegen wir die Weit des Geistes, um sie, in ihre Elemente aufgelöst, uns nutzbar zu machen, das Gebiet der Natur, um ihre Stoffe in dem unermüdlichen Triebwerk des Handels, der Gewerbe und Industrie für unsern Gebrauch zu verarbeiten. Wie uns keine überlieferte Form mehr heilig ist. und jedes überkommene feste Gefüge. sei es Menschen- oder Naturwerk, von der Forschung oder dem praktischen Be¬ trieb zerlegt wird, so wenig ist uns daran gelegen, die Interessen, welche die Gegenwart in athemloser Bewegung erhalten, in Formen und Gestalten be¬ ruhigt vor uns zu sehen. In dieser ewigen Schwebe, diesem verzehrenden Wechsel, in welchem das Product von heute schon morgen nur Stoff zu neuer Verwerthung, flüchtig das erste beste Gewand sich umwirft, die Erscheinung des sich überstürzende» Lebens in allen Farben schillert, und eben deshalb farblos ist. flieht die bildende Kunst der Gegenwart unter den Händen weg: sie läßt sich kaum fassen, am schwersten in da? feste Kleid der monumentalen Leistung, und indem sie vvrübcrrauscht, aus ihrem Strom nur blindlings und zufällig das Eine und Andere zu einem gleich ihr flüchtigen und verschwimmenden Bilde herausgreifen. Doch die Kunst giebt sich darum nicht auf, so wenig jemals in dem Räder¬ werk des Lebens eine wesentliche Eigenschaft des menschlichen Geistes zu Grunde gehen kann. So weit ab auch von ihr die Hauptzüge der Zeit laufen, so ist diese doch auch auf allseitige Ausbildung des menschlichen Wesens gerichtet und kann daher der Kunst nicht entrathen. Zugleich will sie. wie keine frühere Epoche, auf dieser Welt heimisch werden und holt daher die Schönheit der Götter aus dem Himmel herab, um sie dem Diesseits zurückzugeben. Noch hat sie nicht die Formen gefunden, in denen sie zu ihrem wahren, künstlerischen Ausdruck käme, aber auch da, wo es nicht den Anschein hat. sucht sie darnach. Muß man es den Königen nicht Dank wissen, daß sie diesen stillen Trieb un¬ terstützen und die sich regende Kunst unter ihre Obhut nehmen? daß sie ihr große, zeitgemäße Stoffe bieten, und so gleichsam die flüchtige Geschichte des Augenblicks festhalten, um sie von den Künstlern packen zu lassen, oder die mäch¬ tigen Gestalten der Vergangenheit als die Borboten der Gegenwart in ihre Hände liefern? daß die fürstlichen Besteller selber die Anregung zu neue» For¬ men geben, indem sie dem öffentlichen Leben der Zeit seinen architektonischen Leib bauen lassen und trotz der Ungunst der widerstrebenden Zustände Boden und Nahrung der monumentalen Kunst verschaffen wollen? Das alles haben die bayrischen Könige Ludwig der Erste und Maxi¬ milian der Zweite für die Neubelebung der Kunst gethan. Daß diese von oben herab, von der Staatsgewalt, geschützt und gepflegt wird, ist ganz in der Ordnung, denn sie ist und soll Ausdruck auch des öffentlichen Lebens sein. 2'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/17>, abgerufen am 23.07.2024.