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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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setzte sich der Marschall Mortier in Bewegung, marschirte aber nur 1'//Meile
bis Dörnhagen, machte dort Halt und ließ den Wald und die Anhöhen
zwischen diesem Ort und Cassel militärisch besetzen.

Denselben Morgen langte nun auch der Vortrab der holländischen Armee,
von deren Annäherung man in Cassel nicht das Mindeste geahnt zu haben
scheint, in der Gegend von Ziegenhain an. Nun konnte dem Kurfürsten kein
Zweisel mehr über die nicht friedlichen Absichten der um seine Residenz
sich sammelnden fremden Truppen bleiben; dennoch geschah weiter nichts,
als daß einige Patrouillen ausgeschickt und einige Infanterie-Pikets vor die
Thore postirt wurden, die so wenig wie die ganze Garnison mit scharfen Pa¬
tronen versehen waren. Ja, man versäumte sogar die räthlichsten Sicherheits¬
vorkehrungen, obgleich Zeit genug dazu gewesen wäre.

In dieser Unentschlossenheit und Unthätigkeit wurde verharrt, bis Abends
11 Uhr der französische 01in>og6 ä'aKiiirLS, Mr. Se. Genest, die bekannte
Note überreicht hatte. Nunmehr, da beide feindliche Corps vor Kassel's Thoren
standen, war kein Zusammenziehen der Hessen und keine Vertheidigung mehr
möglich. Die an den Marschall Mortier in der Nacht zum Unterhandeln
abgesendete Deputation wurde mit der Antwort von diesem zurückgewiesen, daß
er hierzu keinen Austrag habe. Obwohl der Kurfürst zum feindlichen Bund zu
treten versprach und seine Truppen zur Disposition dem Kaiser hatte anbieten
lassen, wurde dennoch französischcrseits gefordert, die Waffen niederzulegen
und das ganze hessische Militär aufzulösen. Hierzu erschien in Kassel am
1. November 1806 folgende kurfürstliche Ordre:

"Die kaiscrl. französische Armee wird sämmtliche dessen-lasset'schen Lande
in Besitz nehmen und sollen nach Übereinkunft, gleich Kassel, in allen übrigen
Garnisons den Leuten der Regimenter ihre Gewehre und Armatur abgenommen
und an schickliche Orte zusammengelegt werden, damit keine gewaltsame Ent¬
waffnung geschehe. Die Soldaten und Kavalleristen mit Pferden werden einst¬
weilen nach Hause beurlaubt, bis nach Zurückkunft Jhro Kurfürstl. Durchlaucht
aus.dem Hauptquartier Sr. kcnserl. Majestät von Frankreich andere Einrich¬
tungen getroffen werden. Den Soldaten in Garnisons, welche die Compagnie-
chcfs nicht beurlauben können, sollen ihre Löhnungen ausbezahlt werden, wie
auch Officiers und Civilbeamten ihre Gage behalten. Die gelieferten Pferde
aus dem Lande bei der Kavallerie werden ihren Eigenthümern zurückgegeben."


C. v. W.
Mit höchstem Auftrag.

Auch den Gouverneurs und Commandanten der Festungen Ziegenhain, Ha-
nau und Rinteln wurde die Ordre ertheilt, diese ohne Vertheidigung und ohne
weitere Bedingungen zu übergeben. Der Kurfürst nebst dem seit 14 Tagen


setzte sich der Marschall Mortier in Bewegung, marschirte aber nur 1'//Meile
bis Dörnhagen, machte dort Halt und ließ den Wald und die Anhöhen
zwischen diesem Ort und Cassel militärisch besetzen.

Denselben Morgen langte nun auch der Vortrab der holländischen Armee,
von deren Annäherung man in Cassel nicht das Mindeste geahnt zu haben
scheint, in der Gegend von Ziegenhain an. Nun konnte dem Kurfürsten kein
Zweisel mehr über die nicht friedlichen Absichten der um seine Residenz
sich sammelnden fremden Truppen bleiben; dennoch geschah weiter nichts,
als daß einige Patrouillen ausgeschickt und einige Infanterie-Pikets vor die
Thore postirt wurden, die so wenig wie die ganze Garnison mit scharfen Pa¬
tronen versehen waren. Ja, man versäumte sogar die räthlichsten Sicherheits¬
vorkehrungen, obgleich Zeit genug dazu gewesen wäre.

In dieser Unentschlossenheit und Unthätigkeit wurde verharrt, bis Abends
11 Uhr der französische 01in>og6 ä'aKiiirLS, Mr. Se. Genest, die bekannte
Note überreicht hatte. Nunmehr, da beide feindliche Corps vor Kassel's Thoren
standen, war kein Zusammenziehen der Hessen und keine Vertheidigung mehr
möglich. Die an den Marschall Mortier in der Nacht zum Unterhandeln
abgesendete Deputation wurde mit der Antwort von diesem zurückgewiesen, daß
er hierzu keinen Austrag habe. Obwohl der Kurfürst zum feindlichen Bund zu
treten versprach und seine Truppen zur Disposition dem Kaiser hatte anbieten
lassen, wurde dennoch französischcrseits gefordert, die Waffen niederzulegen
und das ganze hessische Militär aufzulösen. Hierzu erschien in Kassel am
1. November 1806 folgende kurfürstliche Ordre:

„Die kaiscrl. französische Armee wird sämmtliche dessen-lasset'schen Lande
in Besitz nehmen und sollen nach Übereinkunft, gleich Kassel, in allen übrigen
Garnisons den Leuten der Regimenter ihre Gewehre und Armatur abgenommen
und an schickliche Orte zusammengelegt werden, damit keine gewaltsame Ent¬
waffnung geschehe. Die Soldaten und Kavalleristen mit Pferden werden einst¬
weilen nach Hause beurlaubt, bis nach Zurückkunft Jhro Kurfürstl. Durchlaucht
aus.dem Hauptquartier Sr. kcnserl. Majestät von Frankreich andere Einrich¬
tungen getroffen werden. Den Soldaten in Garnisons, welche die Compagnie-
chcfs nicht beurlauben können, sollen ihre Löhnungen ausbezahlt werden, wie
auch Officiers und Civilbeamten ihre Gage behalten. Die gelieferten Pferde
aus dem Lande bei der Kavallerie werden ihren Eigenthümern zurückgegeben."


C. v. W.
Mit höchstem Auftrag.

Auch den Gouverneurs und Commandanten der Festungen Ziegenhain, Ha-
nau und Rinteln wurde die Ordre ertheilt, diese ohne Vertheidigung und ohne
weitere Bedingungen zu übergeben. Der Kurfürst nebst dem seit 14 Tagen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/154>, abgerufen am 23.07.2024.