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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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pagne bei der preußischen Armee ein vernünftiger Operationsplan für den
Angriff entworfen gewesen ist. bleibt ziemlich zweifelhaft. Der Schreiber dieser
Mittheilungen befand sich Ende des Monats August am unteren Main, als
Einer seiner Bekannten ihm folgende Stelle aus dem soeben erhaltenen Briefe
eines nicht unbedeutenden preußischen Offiziers, von Gotha geschrieben, vorlas:
"Der Krieg gegen Frankreich ist beschlossen; zwischen hier und Jena werden
die ersten Schläge ausgetheilt werden." Das Letztere war mir zu unwahr¬
scheinlich, als daß ich nicht darüber hätte lächeln sollen, und doch hat der Er¬
folg alles bewahrheitet. --

Am 16. October erklärte Mr. B ignon, kaiserlich französischer Gesandter
zu Kassel, die Neutralität des Kurfürsten sür treulos (por-Lele). weil die Truppen
zum Theil noch versammelt und die auf den Kriegsfuß gesetzten nicht wieder
demobilisirt wären. Hätte sich nach dieser Erklärung der Kurfürst entschließen
können, sogleich zum Kaiser zu reisen, um sich mit ihm zu verständigen, er
würde wahrscheinlich sich und sein Land gerettet haben; so aber wurden von
diesem Augenblick an, Gott weiß auf wessen Rath, die widersprechendsten
Maßregeln getroffen. Von dem bei Ziegenhain zusammengezogenen Corps
marschirten nun nach und nach S Bataillone und 20 Schwadronen in ihre
Garnisonen zurück, mußten auch die von den Bauern erhaltenen Pack- und
Wagenpferde an dieselben wieder zurückgeben; aber zu eben der Zeit wurde
auch die Mobilmachung von noch 5 Bataillonen und einer Batterie schwerer
Artillerie anbefohlen. -- Diese auf so ganz entgegengesetzte Zwecke abzielenden
Befehle mußten natürlich bei jedermann Mißtrauen und Verwunderung er¬
regen. In und um Ziegenhaiu blieben nur noch 7 Bataillone, 3 Schwa¬
dronen Husaren und 130 Jäger, in allem kaum 3000 Mann stehen.

Vom 7. October an sammelte der Marschall Mortier das 8. Corps der
großen französischen Armee in der Gegend von Frankfurt, die kurhessische Grenze
deS Fürstenthums Hanau wurde jedoch, wie bisher, genau respectirt. Den
22. October setzte sich dieses Corps in Marsch und schien, der eingeschlagenen
Direktion nach, der großen Armee durch Sachsen folgen zu wollen; am 29.
rückte dasselbe jedoch ganz unerwartet über Fulda, ungefähr 6000 Man" stark,
in Herschfeld ein. Der Marschall äußerte noch immer die friedlichsten und
freundschaftlichsten Gesinnungen, vorgebend, daß er vom Kaiser Befehl erhalten
habe, über Münden ins Hannöversche zu mcirschiren. Den 30. ging dieses
Corps bis Melsungen und es wurde befohlen, den andern Tag weiter bis Mün¬
den zu marschiren, dieser Befehl aber den 31. October Morgens unter dem Vor¬
wand abgeändert, daß die Truppen zu sehr ermüdet wären und einen Rasttag
bedürften, im Grunde aber wohl nur, weil man hier auf Nachricht warten mußte,
wie früh der König von Holland mit seiner Armee auf der andern Seite von
Kassel erscheinen könne. Als man Morgens 9 Uhr darüber im Klaren war,


pagne bei der preußischen Armee ein vernünftiger Operationsplan für den
Angriff entworfen gewesen ist. bleibt ziemlich zweifelhaft. Der Schreiber dieser
Mittheilungen befand sich Ende des Monats August am unteren Main, als
Einer seiner Bekannten ihm folgende Stelle aus dem soeben erhaltenen Briefe
eines nicht unbedeutenden preußischen Offiziers, von Gotha geschrieben, vorlas:
„Der Krieg gegen Frankreich ist beschlossen; zwischen hier und Jena werden
die ersten Schläge ausgetheilt werden." Das Letztere war mir zu unwahr¬
scheinlich, als daß ich nicht darüber hätte lächeln sollen, und doch hat der Er¬
folg alles bewahrheitet. —

Am 16. October erklärte Mr. B ignon, kaiserlich französischer Gesandter
zu Kassel, die Neutralität des Kurfürsten sür treulos (por-Lele). weil die Truppen
zum Theil noch versammelt und die auf den Kriegsfuß gesetzten nicht wieder
demobilisirt wären. Hätte sich nach dieser Erklärung der Kurfürst entschließen
können, sogleich zum Kaiser zu reisen, um sich mit ihm zu verständigen, er
würde wahrscheinlich sich und sein Land gerettet haben; so aber wurden von
diesem Augenblick an, Gott weiß auf wessen Rath, die widersprechendsten
Maßregeln getroffen. Von dem bei Ziegenhain zusammengezogenen Corps
marschirten nun nach und nach S Bataillone und 20 Schwadronen in ihre
Garnisonen zurück, mußten auch die von den Bauern erhaltenen Pack- und
Wagenpferde an dieselben wieder zurückgeben; aber zu eben der Zeit wurde
auch die Mobilmachung von noch 5 Bataillonen und einer Batterie schwerer
Artillerie anbefohlen. — Diese auf so ganz entgegengesetzte Zwecke abzielenden
Befehle mußten natürlich bei jedermann Mißtrauen und Verwunderung er¬
regen. In und um Ziegenhaiu blieben nur noch 7 Bataillone, 3 Schwa¬
dronen Husaren und 130 Jäger, in allem kaum 3000 Mann stehen.

Vom 7. October an sammelte der Marschall Mortier das 8. Corps der
großen französischen Armee in der Gegend von Frankfurt, die kurhessische Grenze
deS Fürstenthums Hanau wurde jedoch, wie bisher, genau respectirt. Den
22. October setzte sich dieses Corps in Marsch und schien, der eingeschlagenen
Direktion nach, der großen Armee durch Sachsen folgen zu wollen; am 29.
rückte dasselbe jedoch ganz unerwartet über Fulda, ungefähr 6000 Man» stark,
in Herschfeld ein. Der Marschall äußerte noch immer die friedlichsten und
freundschaftlichsten Gesinnungen, vorgebend, daß er vom Kaiser Befehl erhalten
habe, über Münden ins Hannöversche zu mcirschiren. Den 30. ging dieses
Corps bis Melsungen und es wurde befohlen, den andern Tag weiter bis Mün¬
den zu marschiren, dieser Befehl aber den 31. October Morgens unter dem Vor¬
wand abgeändert, daß die Truppen zu sehr ermüdet wären und einen Rasttag
bedürften, im Grunde aber wohl nur, weil man hier auf Nachricht warten mußte,
wie früh der König von Holland mit seiner Armee auf der andern Seite von
Kassel erscheinen könne. Als man Morgens 9 Uhr darüber im Klaren war,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/153>, abgerufen am 23.07.2024.