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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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leicht auch auf die preußische Armee gehabt haben. Die nachgesuchte Neu-
tralitätszusichcrung kam aus Paris unter der Bedingung an: daß der Kurfürst
seine Truppen auf dem Friedensfuß lassen und keine Preußen aufnehmen
würde,*). Ferner aber rückte der Vortrab des blücherschcn Corps aus Westphalen
kommend in Hessen ein und marschirte durch Kassel, wahrscheinlich um sich
mit den Hessen zu vereinigen und mit diesen dann gemeinschaftlich gegen den
Main zu operiren. Das war der Moment, wo für den Kurfürst die Alter¬
native eintrat, entweder mit Preußen zu stehen und zu fallen und dann seine
Truppen nach schleunigster Einziehung aller Beurlaubten der Feld- und Gar¬
nisonregimenter, wodurch ein Corps von 18 bis 20,000 Mann anwuchs, mit
denen des Königs zu vereinigen, oder, was das Vernünftigere war, bei der
mangelhaften Verfassung der preußischen Armee die Neutralitätszusicherung
Napoleons anzunehmen und zu proclamiren, und die Truppen zu entlassen.
Leider geschah keines von beiden; der Kurfürst reiste schleunig ins preußische
Hauptquartier nach Erfurt und bewirkte, daß das blüchersche Corps umkehren
und einen anderen Weg einschlagen mußte, wodurch in diesem kritischen Augen¬
blick die Operation des rechten Flügels der preußischen Armee wenigstens ab¬
geändert und eine kostbare Zeit verloren wurde. Das hessische Corps blieb
inzwischen ruhig in den Cantvnnemcntsquartieren bei Ziegenhain liegen, man
fuhr fort zu mobilisircn, ohne jedoch die auf Urlaub befindlichen Mannschaften
einzuziehen. Daß der Kurpünz zur preußischen Armee abging, geschah, wie
man sagte, gegen den Willen seines Vaters.

Die halben Maßregeln hätten wie immer, so auch hier, Verderben zur Folge.
Nach dem späteren Verlauf der Dinge würde das Unglück von Jena allerdings
auch eingetreten sein, wenn das hessische Corps sich mit den Preußen vereinigt hätte;
aber man hätte dann doch einen Entschluß gehabt. Auf diese Weise jedoch konnte
man nur die Ungunst des Geschickes auf sich ziehn. Um einige Tausend Thaler
zu sparen waren die Beurlaubten auch jetzt noch nicht alle eingezogen, es fehlte
noch an vielen zum Kriegführen sehr wesentlichen Dingen, besonders an Pul¬
ver, was auch in der kurzen Zeit nicht wohl mehr zu beschaffen war.

Am 14. October erfolgte nun die Niederlage der Preußen. Das furcht¬
bare Ereigniß ist noch lange nicht befriedigend aufgeklärt. Ob zu dieser Cam-



") Am 2. October 180ti hatte der Fürst von Ben event um den hessischen Botschafter
in Paris, den Minister v, d. Malsburg geschrieben: I,a Hesse emane sein armes 8ur Is piecl or6iua!re <Ze paix se us relevant point as
trouxss xrussisrmes, aura rempli envers la Graues Iss von<Zitions 6'nov voi'itadte neu-
tralits, äavs la Situation on Nils so trouvs xlaess, La Najsstv I'^inpersur se Roi reeovuaitra oetts neutralite, se Is,, rsspeeterg, aveo
uns üäslits xartaits.

leicht auch auf die preußische Armee gehabt haben. Die nachgesuchte Neu-
tralitätszusichcrung kam aus Paris unter der Bedingung an: daß der Kurfürst
seine Truppen auf dem Friedensfuß lassen und keine Preußen aufnehmen
würde,*). Ferner aber rückte der Vortrab des blücherschcn Corps aus Westphalen
kommend in Hessen ein und marschirte durch Kassel, wahrscheinlich um sich
mit den Hessen zu vereinigen und mit diesen dann gemeinschaftlich gegen den
Main zu operiren. Das war der Moment, wo für den Kurfürst die Alter¬
native eintrat, entweder mit Preußen zu stehen und zu fallen und dann seine
Truppen nach schleunigster Einziehung aller Beurlaubten der Feld- und Gar¬
nisonregimenter, wodurch ein Corps von 18 bis 20,000 Mann anwuchs, mit
denen des Königs zu vereinigen, oder, was das Vernünftigere war, bei der
mangelhaften Verfassung der preußischen Armee die Neutralitätszusicherung
Napoleons anzunehmen und zu proclamiren, und die Truppen zu entlassen.
Leider geschah keines von beiden; der Kurfürst reiste schleunig ins preußische
Hauptquartier nach Erfurt und bewirkte, daß das blüchersche Corps umkehren
und einen anderen Weg einschlagen mußte, wodurch in diesem kritischen Augen¬
blick die Operation des rechten Flügels der preußischen Armee wenigstens ab¬
geändert und eine kostbare Zeit verloren wurde. Das hessische Corps blieb
inzwischen ruhig in den Cantvnnemcntsquartieren bei Ziegenhain liegen, man
fuhr fort zu mobilisircn, ohne jedoch die auf Urlaub befindlichen Mannschaften
einzuziehen. Daß der Kurpünz zur preußischen Armee abging, geschah, wie
man sagte, gegen den Willen seines Vaters.

Die halben Maßregeln hätten wie immer, so auch hier, Verderben zur Folge.
Nach dem späteren Verlauf der Dinge würde das Unglück von Jena allerdings
auch eingetreten sein, wenn das hessische Corps sich mit den Preußen vereinigt hätte;
aber man hätte dann doch einen Entschluß gehabt. Auf diese Weise jedoch konnte
man nur die Ungunst des Geschickes auf sich ziehn. Um einige Tausend Thaler
zu sparen waren die Beurlaubten auch jetzt noch nicht alle eingezogen, es fehlte
noch an vielen zum Kriegführen sehr wesentlichen Dingen, besonders an Pul¬
ver, was auch in der kurzen Zeit nicht wohl mehr zu beschaffen war.

Am 14. October erfolgte nun die Niederlage der Preußen. Das furcht¬
bare Ereigniß ist noch lange nicht befriedigend aufgeklärt. Ob zu dieser Cam-



") Am 2. October 180ti hatte der Fürst von Ben event um den hessischen Botschafter
in Paris, den Minister v, d. Malsburg geschrieben: I,a Hesse emane sein armes 8ur Is piecl or6iua!re <Ze paix se us relevant point as
trouxss xrussisrmes, aura rempli envers la Graues Iss von<Zitions 6'nov voi'itadte neu-
tralits, äavs la Situation on Nils so trouvs xlaess, La Najsstv I'^inpersur se Roi reeovuaitra oetts neutralite, se Is,, rsspeeterg, aveo
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/152>, abgerufen am 23.07.2024.