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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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glaubens ins Geistige einleitete. Auch von dieser Seite her ist die Vorbereitung
welche das Christenthum in den vorausgegangenen Neligionsbildungcn fand,
nicht zu verkennen, und es ist nur das natürliche Seitenstück dazu, das; wir
auch das christliche Mcsfiasideal keineswegs mit einem Mal fix und fertig, viel¬
mehr auch nach Jesus in einen geschichtlichen Proceß gestellt finden, in welchem
es sich von verhältnißmäßig gröberen, sinnlicheren und particnlaristiscberen For¬
men erst loszuringen hat zu höheren und geistigeren Anschauungen. Die Offen¬
barung des Johannes, welche den Standpunkt des ältesten Christenglaubens
repräsentirt, fleht unstreitig den jüdischen Büchern Henoch und Esra nicht ferner,
als dem vierten Evangelium.

Aber in welchem Verhältniß stand nun Jesus persönlich zur Messiasidee?
Offenbar ist durch die Uebersicht über ihre historische Entwickelung für diese
Hauptfrage wenig genug gewonnen. Wir haben allerdings zwei Grenzpunkte.
Unsere sichere geschichtliche Kenntniß hört auf in der Zeit des Herodes. und
sie beginnt wieder mit dem schon festgcbildcten Glauben der Jünger an die
Messianität Jesu. In die durch diese Endpunkte bezeichnete Lücke fällt aber
nicht blos die Erscheinung Jesu, sondern auch die Bildung des Messiasglau¬
bens der Jünger, und die Frage ist eben, ob wir noch-im Stande sind, mit
Sicherheit zu unterscheiden, was wir Jesus selbst zuzuschreiben und was wir erst
auf Rechnung des Jüngerglaubens zu bringen haben.

Colcmis Ansicht kennen wir bereits. Es Ist im Wesentlichen dasselbe Re¬
sultat, zu welchem auch die neuere deutsche Wissenschaft fiel, neigt. Aber er
gelangt dazu auf einem eigenthümlichen Wege. Anstatt, wie z. B. Strauß,
vorsichtig aus den vermuthlich ältesten Bestandtheilen der Evangelien das reli¬
giöse Bewußtsein Jesu herzustellen und daraus dann auch sein Verhältniß zur
Messiasidee abzuleiten, geht er sofort mitten in die Sache, hält sich an eine
Erzählung, der er unbedingt geschichtliche Autorität vindicirt, und macht sie
zum Mittelpunkt seiner Schlußfolgerungen. Es ist die Erzählung von dem
Bekenntniß des Petrus, in welcher allerdings die drei ersten Evangelien auch
in den Orts- und Zeitbestimmungen auffallend zusammentreffen. Es ist kurz
vor dem Ausdruck) Jesu zu schien entscheidenden Gange nach Jerusalem; da
richtet er an seine Jünger die Frage: wer sagen die Leute, daß ich sei? Sie
antworten: Einige sagen, du seiest Johannes der Täufer, Andere, d" seiest
Elias oder ein anderer der Propheten. Jesus fährt fort: und was saget ihr,
daß ich sei? Petrus antwortet: Du bist der Messias (Christos), der Sohn
des lebendigen Gottes, ein Bekenntniß, das Infus unter Seligpreisung des
Petrus annimmt, aber weiterzuverbreiten verbittet. Von dieser Zeit beginnt er
dann auch von seinem bevorstehenden Leiden zu sprechen. -- Auch Baur hat
in dieser Erzählung wiederholt die Spur eines geschichtlichen Vorganges an¬
erkannt, der einen Wendepunkt in dem messianischen Bewußtsein Jesu bezeichne.


glaubens ins Geistige einleitete. Auch von dieser Seite her ist die Vorbereitung
welche das Christenthum in den vorausgegangenen Neligionsbildungcn fand,
nicht zu verkennen, und es ist nur das natürliche Seitenstück dazu, das; wir
auch das christliche Mcsfiasideal keineswegs mit einem Mal fix und fertig, viel¬
mehr auch nach Jesus in einen geschichtlichen Proceß gestellt finden, in welchem
es sich von verhältnißmäßig gröberen, sinnlicheren und particnlaristiscberen For¬
men erst loszuringen hat zu höheren und geistigeren Anschauungen. Die Offen¬
barung des Johannes, welche den Standpunkt des ältesten Christenglaubens
repräsentirt, fleht unstreitig den jüdischen Büchern Henoch und Esra nicht ferner,
als dem vierten Evangelium.

Aber in welchem Verhältniß stand nun Jesus persönlich zur Messiasidee?
Offenbar ist durch die Uebersicht über ihre historische Entwickelung für diese
Hauptfrage wenig genug gewonnen. Wir haben allerdings zwei Grenzpunkte.
Unsere sichere geschichtliche Kenntniß hört auf in der Zeit des Herodes. und
sie beginnt wieder mit dem schon festgcbildcten Glauben der Jünger an die
Messianität Jesu. In die durch diese Endpunkte bezeichnete Lücke fällt aber
nicht blos die Erscheinung Jesu, sondern auch die Bildung des Messiasglau¬
bens der Jünger, und die Frage ist eben, ob wir noch-im Stande sind, mit
Sicherheit zu unterscheiden, was wir Jesus selbst zuzuschreiben und was wir erst
auf Rechnung des Jüngerglaubens zu bringen haben.

Colcmis Ansicht kennen wir bereits. Es Ist im Wesentlichen dasselbe Re¬
sultat, zu welchem auch die neuere deutsche Wissenschaft fiel, neigt. Aber er
gelangt dazu auf einem eigenthümlichen Wege. Anstatt, wie z. B. Strauß,
vorsichtig aus den vermuthlich ältesten Bestandtheilen der Evangelien das reli¬
giöse Bewußtsein Jesu herzustellen und daraus dann auch sein Verhältniß zur
Messiasidee abzuleiten, geht er sofort mitten in die Sache, hält sich an eine
Erzählung, der er unbedingt geschichtliche Autorität vindicirt, und macht sie
zum Mittelpunkt seiner Schlußfolgerungen. Es ist die Erzählung von dem
Bekenntniß des Petrus, in welcher allerdings die drei ersten Evangelien auch
in den Orts- und Zeitbestimmungen auffallend zusammentreffen. Es ist kurz
vor dem Ausdruck) Jesu zu schien entscheidenden Gange nach Jerusalem; da
richtet er an seine Jünger die Frage: wer sagen die Leute, daß ich sei? Sie
antworten: Einige sagen, du seiest Johannes der Täufer, Andere, d» seiest
Elias oder ein anderer der Propheten. Jesus fährt fort: und was saget ihr,
daß ich sei? Petrus antwortet: Du bist der Messias (Christos), der Sohn
des lebendigen Gottes, ein Bekenntniß, das Infus unter Seligpreisung des
Petrus annimmt, aber weiterzuverbreiten verbittet. Von dieser Zeit beginnt er
dann auch von seinem bevorstehenden Leiden zu sprechen. — Auch Baur hat
in dieser Erzählung wiederholt die Spur eines geschichtlichen Vorganges an¬
erkannt, der einen Wendepunkt in dem messianischen Bewußtsein Jesu bezeichne.


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[0145] glaubens ins Geistige einleitete. Auch von dieser Seite her ist die Vorbereitung welche das Christenthum in den vorausgegangenen Neligionsbildungcn fand, nicht zu verkennen, und es ist nur das natürliche Seitenstück dazu, das; wir auch das christliche Mcsfiasideal keineswegs mit einem Mal fix und fertig, viel¬ mehr auch nach Jesus in einen geschichtlichen Proceß gestellt finden, in welchem es sich von verhältnißmäßig gröberen, sinnlicheren und particnlaristiscberen For¬ men erst loszuringen hat zu höheren und geistigeren Anschauungen. Die Offen¬ barung des Johannes, welche den Standpunkt des ältesten Christenglaubens repräsentirt, fleht unstreitig den jüdischen Büchern Henoch und Esra nicht ferner, als dem vierten Evangelium. Aber in welchem Verhältniß stand nun Jesus persönlich zur Messiasidee? Offenbar ist durch die Uebersicht über ihre historische Entwickelung für diese Hauptfrage wenig genug gewonnen. Wir haben allerdings zwei Grenzpunkte. Unsere sichere geschichtliche Kenntniß hört auf in der Zeit des Herodes. und sie beginnt wieder mit dem schon festgcbildcten Glauben der Jünger an die Messianität Jesu. In die durch diese Endpunkte bezeichnete Lücke fällt aber nicht blos die Erscheinung Jesu, sondern auch die Bildung des Messiasglau¬ bens der Jünger, und die Frage ist eben, ob wir noch-im Stande sind, mit Sicherheit zu unterscheiden, was wir Jesus selbst zuzuschreiben und was wir erst auf Rechnung des Jüngerglaubens zu bringen haben. Colcmis Ansicht kennen wir bereits. Es Ist im Wesentlichen dasselbe Re¬ sultat, zu welchem auch die neuere deutsche Wissenschaft fiel, neigt. Aber er gelangt dazu auf einem eigenthümlichen Wege. Anstatt, wie z. B. Strauß, vorsichtig aus den vermuthlich ältesten Bestandtheilen der Evangelien das reli¬ giöse Bewußtsein Jesu herzustellen und daraus dann auch sein Verhältniß zur Messiasidee abzuleiten, geht er sofort mitten in die Sache, hält sich an eine Erzählung, der er unbedingt geschichtliche Autorität vindicirt, und macht sie zum Mittelpunkt seiner Schlußfolgerungen. Es ist die Erzählung von dem Bekenntniß des Petrus, in welcher allerdings die drei ersten Evangelien auch in den Orts- und Zeitbestimmungen auffallend zusammentreffen. Es ist kurz vor dem Ausdruck) Jesu zu schien entscheidenden Gange nach Jerusalem; da richtet er an seine Jünger die Frage: wer sagen die Leute, daß ich sei? Sie antworten: Einige sagen, du seiest Johannes der Täufer, Andere, d» seiest Elias oder ein anderer der Propheten. Jesus fährt fort: und was saget ihr, daß ich sei? Petrus antwortet: Du bist der Messias (Christos), der Sohn des lebendigen Gottes, ein Bekenntniß, das Infus unter Seligpreisung des Petrus annimmt, aber weiterzuverbreiten verbittet. Von dieser Zeit beginnt er dann auch von seinem bevorstehenden Leiden zu sprechen. — Auch Baur hat in dieser Erzählung wiederholt die Spur eines geschichtlichen Vorganges an¬ erkannt, der einen Wendepunkt in dem messianischen Bewußtsein Jesu bezeichne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/145>, abgerufen am 23.07.2024.