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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Vom Buch Daniel 'an kommt nun dazu noch die dem Parsismus entlehnte
Vorstellung von einer Auferstehung, der Todten zum Gericht und zur Theilnahme
an den Freuden des künftigen Reichs, und, wie phantastisch sie ist, so liegt doch
auch hierin ein bedeutsames Moment der Verallgemeinerung. Die Katastrophe
wird weit über das äußere historische Ereigniß hinausgehoben, wenn nicht blos
die zufällig damals Lebenden davon betroffen werden. Indem den Gestorbenen
ein zweites Leben eröffnet wird, dämmert der Begriff des Jenseits auf, das
Gericht wird in eine höhere ideale Form gerückt, es bekommt welthistorische,
ja kosmische Bedeutung, und wenn gleichwohl die politischen Erwartungen nicht
aufgegeben werden, so ist die Folge, daß beides getrennt und schließlich das
Messiasreich als eine Episode des gegenwärtigen Weltverlaufs betrachtet und
das Gericht an das Ende verlegt wird. Eben dies ist die tiefere Bedeutung
jener chronologischen Umwälzung. Selbst das Zurücktreten der messianischen
Persönlichkeit ist nur ein Beweis, wie der ganze Vorstcllungskeis sich erweiterte
und vergeistigte. Bei Philo sehen wir die politischen Vorstellungen nahezu
überwunden. Die Pharisäer, welche so start den theokratischen Charakter des
künftigen Reichs betonen und zu den politischen Bewegungen vor und nach
Jesus wesentlich den Anstoß geben, bilden gleichwohl die ethischen Bestimmun¬
gen des Reiches Gottes als einer Herrschaft der Gerechtigkeit Aller vor Gott,
als eines allgemeinen Priesterthums besonders aus. Und in der Vorstellung,
daß jede Seele gleich nach dem Tode an einen Ort der Wonne oder der Qual
verseht werde, die wir nicht blos bei den Essäern finden, sondern welche bereits
allgemeiner Volksglaube gewesen zu sein scheint, wie aus dem Gleichnis; vom
reichen Mann und vom armen Lazarus zu schließen ist, tritt eine Idee auf,
welche nur consequent gedacht zu werden brauchte, um die ganze Symbolik der
Eschatologie über den Haufen zu werfen. Denn was kann ein Schlußgericht
hinzufügen zu der Seligkeit, deren die Einen, zu der Qual, deren die Anderen
schon mit dem Eintritt des Todes theilhaftig werden?

Hieraus erhellt nun, mit welchem Recht Colani sein Schlußurtheil dahin
fällt, daß die Messiasidee nur Ausdruck des exclusiver Patriotismus des jüdi¬
schen Volkes war, daß Jesus mit diesem Messias nicht das Mindeste gemein
hatte, und daß folglich diese Idee gar keinen Einfluß auf das Werk Jesu ge¬
habt habe. Es ist wahr, der Messias war den Juden nichts anderes, als ein
theokratischer König, und insbesondere ist alles, was von einem leidenden,
sterbenden, sich opfernden Messias im alten Testamente stehen soll, erst durch
die christliche Auslegung in dasselbe hineingetragen worden. Aber es ist nicht
minder wahr, daß gerade die Idee eines persönliche" Messias sehr in den
Hintergrund gedrängt war durch andere Vorstellungen, die in enger Verbindung
mit ihr standen, und deren allmälige Ausbildung über den exclusiver Natio¬
nalismus weit hinausführte und die spätere Umdeutung des ganzen Messias-


Vom Buch Daniel 'an kommt nun dazu noch die dem Parsismus entlehnte
Vorstellung von einer Auferstehung, der Todten zum Gericht und zur Theilnahme
an den Freuden des künftigen Reichs, und, wie phantastisch sie ist, so liegt doch
auch hierin ein bedeutsames Moment der Verallgemeinerung. Die Katastrophe
wird weit über das äußere historische Ereigniß hinausgehoben, wenn nicht blos
die zufällig damals Lebenden davon betroffen werden. Indem den Gestorbenen
ein zweites Leben eröffnet wird, dämmert der Begriff des Jenseits auf, das
Gericht wird in eine höhere ideale Form gerückt, es bekommt welthistorische,
ja kosmische Bedeutung, und wenn gleichwohl die politischen Erwartungen nicht
aufgegeben werden, so ist die Folge, daß beides getrennt und schließlich das
Messiasreich als eine Episode des gegenwärtigen Weltverlaufs betrachtet und
das Gericht an das Ende verlegt wird. Eben dies ist die tiefere Bedeutung
jener chronologischen Umwälzung. Selbst das Zurücktreten der messianischen
Persönlichkeit ist nur ein Beweis, wie der ganze Vorstcllungskeis sich erweiterte
und vergeistigte. Bei Philo sehen wir die politischen Vorstellungen nahezu
überwunden. Die Pharisäer, welche so start den theokratischen Charakter des
künftigen Reichs betonen und zu den politischen Bewegungen vor und nach
Jesus wesentlich den Anstoß geben, bilden gleichwohl die ethischen Bestimmun¬
gen des Reiches Gottes als einer Herrschaft der Gerechtigkeit Aller vor Gott,
als eines allgemeinen Priesterthums besonders aus. Und in der Vorstellung,
daß jede Seele gleich nach dem Tode an einen Ort der Wonne oder der Qual
verseht werde, die wir nicht blos bei den Essäern finden, sondern welche bereits
allgemeiner Volksglaube gewesen zu sein scheint, wie aus dem Gleichnis; vom
reichen Mann und vom armen Lazarus zu schließen ist, tritt eine Idee auf,
welche nur consequent gedacht zu werden brauchte, um die ganze Symbolik der
Eschatologie über den Haufen zu werfen. Denn was kann ein Schlußgericht
hinzufügen zu der Seligkeit, deren die Einen, zu der Qual, deren die Anderen
schon mit dem Eintritt des Todes theilhaftig werden?

Hieraus erhellt nun, mit welchem Recht Colani sein Schlußurtheil dahin
fällt, daß die Messiasidee nur Ausdruck des exclusiver Patriotismus des jüdi¬
schen Volkes war, daß Jesus mit diesem Messias nicht das Mindeste gemein
hatte, und daß folglich diese Idee gar keinen Einfluß auf das Werk Jesu ge¬
habt habe. Es ist wahr, der Messias war den Juden nichts anderes, als ein
theokratischer König, und insbesondere ist alles, was von einem leidenden,
sterbenden, sich opfernden Messias im alten Testamente stehen soll, erst durch
die christliche Auslegung in dasselbe hineingetragen worden. Aber es ist nicht
minder wahr, daß gerade die Idee eines persönliche» Messias sehr in den
Hintergrund gedrängt war durch andere Vorstellungen, die in enger Verbindung
mit ihr standen, und deren allmälige Ausbildung über den exclusiver Natio¬
nalismus weit hinausführte und die spätere Umdeutung des ganzen Messias-


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[0144] Vom Buch Daniel 'an kommt nun dazu noch die dem Parsismus entlehnte Vorstellung von einer Auferstehung, der Todten zum Gericht und zur Theilnahme an den Freuden des künftigen Reichs, und, wie phantastisch sie ist, so liegt doch auch hierin ein bedeutsames Moment der Verallgemeinerung. Die Katastrophe wird weit über das äußere historische Ereigniß hinausgehoben, wenn nicht blos die zufällig damals Lebenden davon betroffen werden. Indem den Gestorbenen ein zweites Leben eröffnet wird, dämmert der Begriff des Jenseits auf, das Gericht wird in eine höhere ideale Form gerückt, es bekommt welthistorische, ja kosmische Bedeutung, und wenn gleichwohl die politischen Erwartungen nicht aufgegeben werden, so ist die Folge, daß beides getrennt und schließlich das Messiasreich als eine Episode des gegenwärtigen Weltverlaufs betrachtet und das Gericht an das Ende verlegt wird. Eben dies ist die tiefere Bedeutung jener chronologischen Umwälzung. Selbst das Zurücktreten der messianischen Persönlichkeit ist nur ein Beweis, wie der ganze Vorstcllungskeis sich erweiterte und vergeistigte. Bei Philo sehen wir die politischen Vorstellungen nahezu überwunden. Die Pharisäer, welche so start den theokratischen Charakter des künftigen Reichs betonen und zu den politischen Bewegungen vor und nach Jesus wesentlich den Anstoß geben, bilden gleichwohl die ethischen Bestimmun¬ gen des Reiches Gottes als einer Herrschaft der Gerechtigkeit Aller vor Gott, als eines allgemeinen Priesterthums besonders aus. Und in der Vorstellung, daß jede Seele gleich nach dem Tode an einen Ort der Wonne oder der Qual verseht werde, die wir nicht blos bei den Essäern finden, sondern welche bereits allgemeiner Volksglaube gewesen zu sein scheint, wie aus dem Gleichnis; vom reichen Mann und vom armen Lazarus zu schließen ist, tritt eine Idee auf, welche nur consequent gedacht zu werden brauchte, um die ganze Symbolik der Eschatologie über den Haufen zu werfen. Denn was kann ein Schlußgericht hinzufügen zu der Seligkeit, deren die Einen, zu der Qual, deren die Anderen schon mit dem Eintritt des Todes theilhaftig werden? Hieraus erhellt nun, mit welchem Recht Colani sein Schlußurtheil dahin fällt, daß die Messiasidee nur Ausdruck des exclusiver Patriotismus des jüdi¬ schen Volkes war, daß Jesus mit diesem Messias nicht das Mindeste gemein hatte, und daß folglich diese Idee gar keinen Einfluß auf das Werk Jesu ge¬ habt habe. Es ist wahr, der Messias war den Juden nichts anderes, als ein theokratischer König, und insbesondere ist alles, was von einem leidenden, sterbenden, sich opfernden Messias im alten Testamente stehen soll, erst durch die christliche Auslegung in dasselbe hineingetragen worden. Aber es ist nicht minder wahr, daß gerade die Idee eines persönliche» Messias sehr in den Hintergrund gedrängt war durch andere Vorstellungen, die in enger Verbindung mit ihr standen, und deren allmälige Ausbildung über den exclusiver Natio¬ nalismus weit hinausführte und die spätere Umdeutung des ganzen Messias-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/144>, abgerufen am 23.07.2024.