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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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ins Geistige vorbereitet. Allerdings hatten der Messiaserwartung niemals
ideale Momente gefehlt. Es war ja ein thevkratisches, ein Gottesreich, welches
die Geschicke des Volkes vollenden sollte, und die alten Propheten hatten die
geistige Umwandlung, welche dann mit dem Volte vorgehen werde, in beredter
Weise geschildert. Allein jene siegreiche Schlacht gegen die Heiden bildete doch
die Voraussetzung dieses Reichs. Der Triumph über die fremden Völker, unter
deren Herrschaft man seufzte, blieb der dominirende Gesichtspunkt; auch die
Bekehrung der Heiden, welche schon einige der älteren Propheten nach der Ka¬
tastrophe eintreten ließen, wurde als eine Unterwerfung unter Jehova als den
Gott der Juden gedacht. Während der Verbannung erlitt dieses einseitig par
ticularistische Bewußtsein einen ersten Stoß. Die Juden waren in vielfache"
Berührung mit den Heiden gekommen, hatten von ihnen Sitten und Kennt¬
nisse, selbst religiöse Vorstellungen angenommen; ihr Horizont erweiterte sich,
ein universalgcschichtliches Interesse begann den starren Nationalismus zu durch¬
brechen. Konnten sie sich auch die Zukunft nicht anders als den definitiven
Sieg und die Vollendung ihrer Sache denken, so wurde doch auch der Verlauf
des Heidenthums als ein nothwendiges, im göttlichen Heilsplan vorherbestimm¬
tes Glied des Weltganzen anerkannt. Es waren eben die Apokalypsen der
Makkabäerzeit, in welchen dieser erste Schritt gegen den Universalismus hin
geschah. ,

Jene Umänderung vollzog sich aber ganz besonders an dem Begriff des
Gerichts. War das Gericht ursprünglich nichts andres als der letzte Entschei¬
dungskampf mit der Heioenwclt. so wurde zwar diese Bedeutung fortan fest¬
gehalten, aber es entwickelten sich daran bald auch diejenigen Momente, welche
im Begriff eines Gerichtes liegen. Die Scene wurde ein wirklicher Gerichtsact,
eine Entscheidung zwischen Guten und Bösen, und es beweist schon ein Nach¬
lassen des schroffen Particulansmus, wenn dieses Gericht zu einer Scheidung
der Guten und Bösen innerhalb des erwählten Volks selbst wird. Indem
ein Theil der Juden als abtrünnig verworfen wird und andrerseits ein Theil
der Heiden sich zur wahren Gottesverehrung beugt, kommen die nationalen An¬
schauungen in einen Conflict mit den moralischen, oder vielmehr die letzteren
beginnen als die höheren anerkannt zu werden. Die weitere Folge ist die,
daß die Schlacht und der Genchtsact, welche ursprünglich identisch sind, nun
auch zeitlich auseinanbertreten. So sehen wir im Buche Henoch eine Folge
von verschiedenen Schlachtscenen sowohl als von Gerichtssccnen. Die ursprüng¬
liche Bedeutung des Gerichts hat sich jetzt verloren, das politisch-nationale Er-
eigniß wird zum Finale des Weltdramas, und es beweist nur, wie ungeschickt
noch die Verfasser sind, diese kolossale Idee zu bemeistern, wenn sie in der Schil¬
derung desselben immer wieder neue Ansätze machen und Scene auf Scene
häufen, um den Inhalt möglichst zu erschöpfen.


ins Geistige vorbereitet. Allerdings hatten der Messiaserwartung niemals
ideale Momente gefehlt. Es war ja ein thevkratisches, ein Gottesreich, welches
die Geschicke des Volkes vollenden sollte, und die alten Propheten hatten die
geistige Umwandlung, welche dann mit dem Volte vorgehen werde, in beredter
Weise geschildert. Allein jene siegreiche Schlacht gegen die Heiden bildete doch
die Voraussetzung dieses Reichs. Der Triumph über die fremden Völker, unter
deren Herrschaft man seufzte, blieb der dominirende Gesichtspunkt; auch die
Bekehrung der Heiden, welche schon einige der älteren Propheten nach der Ka¬
tastrophe eintreten ließen, wurde als eine Unterwerfung unter Jehova als den
Gott der Juden gedacht. Während der Verbannung erlitt dieses einseitig par
ticularistische Bewußtsein einen ersten Stoß. Die Juden waren in vielfache"
Berührung mit den Heiden gekommen, hatten von ihnen Sitten und Kennt¬
nisse, selbst religiöse Vorstellungen angenommen; ihr Horizont erweiterte sich,
ein universalgcschichtliches Interesse begann den starren Nationalismus zu durch¬
brechen. Konnten sie sich auch die Zukunft nicht anders als den definitiven
Sieg und die Vollendung ihrer Sache denken, so wurde doch auch der Verlauf
des Heidenthums als ein nothwendiges, im göttlichen Heilsplan vorherbestimm¬
tes Glied des Weltganzen anerkannt. Es waren eben die Apokalypsen der
Makkabäerzeit, in welchen dieser erste Schritt gegen den Universalismus hin
geschah. ,

Jene Umänderung vollzog sich aber ganz besonders an dem Begriff des
Gerichts. War das Gericht ursprünglich nichts andres als der letzte Entschei¬
dungskampf mit der Heioenwclt. so wurde zwar diese Bedeutung fortan fest¬
gehalten, aber es entwickelten sich daran bald auch diejenigen Momente, welche
im Begriff eines Gerichtes liegen. Die Scene wurde ein wirklicher Gerichtsact,
eine Entscheidung zwischen Guten und Bösen, und es beweist schon ein Nach¬
lassen des schroffen Particulansmus, wenn dieses Gericht zu einer Scheidung
der Guten und Bösen innerhalb des erwählten Volks selbst wird. Indem
ein Theil der Juden als abtrünnig verworfen wird und andrerseits ein Theil
der Heiden sich zur wahren Gottesverehrung beugt, kommen die nationalen An¬
schauungen in einen Conflict mit den moralischen, oder vielmehr die letzteren
beginnen als die höheren anerkannt zu werden. Die weitere Folge ist die,
daß die Schlacht und der Genchtsact, welche ursprünglich identisch sind, nun
auch zeitlich auseinanbertreten. So sehen wir im Buche Henoch eine Folge
von verschiedenen Schlachtscenen sowohl als von Gerichtssccnen. Die ursprüng¬
liche Bedeutung des Gerichts hat sich jetzt verloren, das politisch-nationale Er-
eigniß wird zum Finale des Weltdramas, und es beweist nur, wie ungeschickt
noch die Verfasser sind, diese kolossale Idee zu bemeistern, wenn sie in der Schil¬
derung desselben immer wieder neue Ansätze machen und Scene auf Scene
häufen, um den Inhalt möglichst zu erschöpfen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/143>, abgerufen am 23.07.2024.