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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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welches dann die messianische Periode folgt, mit besonderem Nachdruck verweilt.
Dies hing nun zunächst ganz mit den damaligen politischen Verhältnissen zu¬
sammen, welche den Gedanken nahelegten, daß die Wiederaufrichtung des po¬
litischen Fürstenthums die Einleitung zu der großen Entscheidung bilde. Aber
es führte bald weiter. Man begann eine glückliche Zeit vor dem Gericht zu
hoffen. Je mehr das letztere allmälig ins Wunderbare ausgemalt wurde, wäh¬
rend man doch die politische Idee festhielt, um so mehr trat beides auseinander,
das Messiasreich und das Gottesgericht, und es war schließlich nur consequent,
wenn jenes vor das letztere gestellt wurde. Zunächst aber war ein unsicheres
Schwanken in den chronologischen Bestimmungen die Folge. Neue Vorstellun¬
gen wie die von der künftigen Auferstehung der Todten, später die von einem
Ort der Seligkeit und der Verdammniß, an welche die Seele sofort nach dem
Tod gelange, reißen das alte prophetische Schema aus den Fugen, die Grenzen
zwischen der gegenwärtigen und der künstigen Weltepoche werden unsicher. Als
Jesus auftritt, können ihn -- den Evangelien zufolge -- Einige bereits als
den Messias anerkennen, während die Mehrzahl, der älteren Lorstellung getreu,
ihn nur für einen der Propheten hält, die als Lorläufer vor dem Gericht kom¬
men sollten. Noch während des jüdischen Kriegs unter Titus scheint die ältere
Vorstellung dominirt zu haben, da wenigstens von keiner Seite ein Messias
auftrat. Erst im vierten Buch Esra, welches in der christlichen Aera, etwa
96 bis 98 unsrer Zeitrechnung, von einem frommen Pharisäer verfaßt rst, aber
schon mannigfache christliche Einflüsse verräth, kommt der Messias bestimmt vor
der großen Katastrophe. Er kommt auf den Wolken vom Himmel herab, denn
so wurde jetzt die bekannte danielsche Stelle ausgelegt. Aber er ist ein irdischer
König, sein Reich hat eine begrenzte Dauer, und die Vorstellung, daß der
Messias der Weltrichter sei (die wir aber auch in der Offenbarung des Jo¬
hannes noch nicht finden), wird ausdrücklich unter deutlichem Protest gegen die
christliche Lehre zurückgewiesen. Während der letzten Erhebung der Juden gegen
die Römer im Jahre 132 n. Chr. war die neue Idee von dem Kommen des
Messias vor der Katastrophe schon so weit durchgedrungen, daß Bar-Kochba
als der Messias anerkannt werben konnte, Es brauchte jetzt nicht mehr erst
der Katastrophe des Gerichts, damit der Messias, der nationale Heros erscheinen
konnte. Diese letzte Lebensciußerung des nationalen Judenthums beweist am
besten, wie eng der Messiasbegriff bei den Juden an ihre politischen Hoffnungen
gebunden blieb. Dennoch ist unverkennbar, daß die messianischen Vorstellungen,
wenn wir sie im weiteren Sinne fassen, im Lauf der Zeit mehr und mehr ngch
der geistigen Seite ausgebildet und ihrer schroffen sinnlich-nationalen Bestandtheile
entkleidet wurden. Hierdurch wird eben die Auflösung des alten bei aller Frei¬
heit der dichterischen Phantasie doch in den Grundzügen geschlossenen Messias-
typus herbeigeführt und die spätere Umdeutung des ganzen Vorstellungskreises


welches dann die messianische Periode folgt, mit besonderem Nachdruck verweilt.
Dies hing nun zunächst ganz mit den damaligen politischen Verhältnissen zu¬
sammen, welche den Gedanken nahelegten, daß die Wiederaufrichtung des po¬
litischen Fürstenthums die Einleitung zu der großen Entscheidung bilde. Aber
es führte bald weiter. Man begann eine glückliche Zeit vor dem Gericht zu
hoffen. Je mehr das letztere allmälig ins Wunderbare ausgemalt wurde, wäh¬
rend man doch die politische Idee festhielt, um so mehr trat beides auseinander,
das Messiasreich und das Gottesgericht, und es war schließlich nur consequent,
wenn jenes vor das letztere gestellt wurde. Zunächst aber war ein unsicheres
Schwanken in den chronologischen Bestimmungen die Folge. Neue Vorstellun¬
gen wie die von der künftigen Auferstehung der Todten, später die von einem
Ort der Seligkeit und der Verdammniß, an welche die Seele sofort nach dem
Tod gelange, reißen das alte prophetische Schema aus den Fugen, die Grenzen
zwischen der gegenwärtigen und der künstigen Weltepoche werden unsicher. Als
Jesus auftritt, können ihn — den Evangelien zufolge — Einige bereits als
den Messias anerkennen, während die Mehrzahl, der älteren Lorstellung getreu,
ihn nur für einen der Propheten hält, die als Lorläufer vor dem Gericht kom¬
men sollten. Noch während des jüdischen Kriegs unter Titus scheint die ältere
Vorstellung dominirt zu haben, da wenigstens von keiner Seite ein Messias
auftrat. Erst im vierten Buch Esra, welches in der christlichen Aera, etwa
96 bis 98 unsrer Zeitrechnung, von einem frommen Pharisäer verfaßt rst, aber
schon mannigfache christliche Einflüsse verräth, kommt der Messias bestimmt vor
der großen Katastrophe. Er kommt auf den Wolken vom Himmel herab, denn
so wurde jetzt die bekannte danielsche Stelle ausgelegt. Aber er ist ein irdischer
König, sein Reich hat eine begrenzte Dauer, und die Vorstellung, daß der
Messias der Weltrichter sei (die wir aber auch in der Offenbarung des Jo¬
hannes noch nicht finden), wird ausdrücklich unter deutlichem Protest gegen die
christliche Lehre zurückgewiesen. Während der letzten Erhebung der Juden gegen
die Römer im Jahre 132 n. Chr. war die neue Idee von dem Kommen des
Messias vor der Katastrophe schon so weit durchgedrungen, daß Bar-Kochba
als der Messias anerkannt werben konnte, Es brauchte jetzt nicht mehr erst
der Katastrophe des Gerichts, damit der Messias, der nationale Heros erscheinen
konnte. Diese letzte Lebensciußerung des nationalen Judenthums beweist am
besten, wie eng der Messiasbegriff bei den Juden an ihre politischen Hoffnungen
gebunden blieb. Dennoch ist unverkennbar, daß die messianischen Vorstellungen,
wenn wir sie im weiteren Sinne fassen, im Lauf der Zeit mehr und mehr ngch
der geistigen Seite ausgebildet und ihrer schroffen sinnlich-nationalen Bestandtheile
entkleidet wurden. Hierdurch wird eben die Auflösung des alten bei aller Frei¬
heit der dichterischen Phantasie doch in den Grundzügen geschlossenen Messias-
typus herbeigeführt und die spätere Umdeutung des ganzen Vorstellungskreises


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/142>, abgerufen am 23.07.2024.