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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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In einem dritten Abschnitt des Buches Henoch erscheint allerdings ein
sehr ausgebildeter Messiastypus, zugleich schon ganz in das Uebernatürliche
erhoben, aber auch bereits mit so unverkennbaren Anklängen an den Messias
der christlichen Lehre, daß man diesen Abschnitt allgemein für ein Erzeugnis;
des Christenthums hält. Aus einer merkwürdigen Stelle, welche auf das
wollüstige Badeleben einer westlichen Gegend deutet, "am Fuße eines Berges
mit flüssigen Metallen, über einem unterirdischen, mit Flammen erfüllten
Thale, welches der Aufenthalt der gefallenen Engel ist und woraus Fcuerbäche
ausströmen," aus dieser Stelle, welche Hilgcnfeld auf Baja am Fuße des
Vesuvs gedeutet hat, darf man mit Sicherheit schließen, daß dieser Abschnitt
nach dem ersten Ausbruch dieses Vulkans im Jahre 79 nach Christus ge¬
schrieben ist. Eben dieser Theil des Buches war es aber, auf welchen sich die
Christe" besonders stützten. Apologeten wie Tertullian nahmen dessen Echtheit
gegen die Zweifler eifrigst in Schutz. Dciucbt es doch diesem gelehrte" Kirchen¬
vater ganz natürlich, daß Noa dieses Wert seines Urgroßvaters mit i" die
Arche nahm, oder wenn es etwa in der Sündfluth untergegangen sein sollte,
so sei es ja Gott ein Leichtes gewesen, es durch seine Allmacht wieder her¬
zustellen.

Ist schon in dieser Geheimliteratur unsre Ausbeute dürftig genug, so ist
sie es noch mehr in den übrigen Schriften dieser Epoche, in de" sogenannten
Apokryphen des alten Testaments. Die messianischen Erwartungen, so weit sie
überhaupt aufzufinden sind, reduciren sich auf das Allgemeinste, was der ganzen
Idee zu Grunde lag: auf die Erwartung einer künftigen glücklichen Zeit für
das Volk Gottes. Selten nur taucht die Vorstellung auf, daß Gott vor der
großen Entscheidung den Propheten Elias senden werde; dieser erscheint dann
nicht als der Vorläufer eines Messias, sondern als Vorbote des Gottesgerichts,
ebenso wie die persische Rcligionssage den großen Propheten Sosiosch vor dem
Beginn des Reiches Ormnzdö auftreten läßt. Nur in einer einzigen apokry-
Phischen Schrift des Makkabäerzcitaltcrs, in den sogenannten Psalmen des Salomo,
begegnen wir der altprvphetischcn Hinweisung auf den Davidssohn, aber sie ist
einfach eine Reproduction der Schilderungen der großen Propheten, zusammen¬
getragen aus Stellen ihrer Visionen. Bei Philo endlich, dem Vertreter des
alexandrinischen mit griechischer Weisheit gesättigten Judenthums finden wir den
ganzen Vorstellungskreis nur noch in einer sehr vergeistigter Form, die mit der
Idee eines nationalen Fürsten nichts mehr zu thun hat.

Mit einem Mal sehe" wir nun zur Zeit des Herodes in Palästina die
Erwartung eines persönlichen Messias, des Davidssohns wieder aufflammen.
Je überraschender dieses plötzliche Wiederauftauchen ist. um so berechtigter ist
unsre Frage nach den Beweismitteln, auf welche sich diese Annahme stützte.
Und hier zeigt sich denn, daß wir nächst den schon erwähnten Schriften, welche


In einem dritten Abschnitt des Buches Henoch erscheint allerdings ein
sehr ausgebildeter Messiastypus, zugleich schon ganz in das Uebernatürliche
erhoben, aber auch bereits mit so unverkennbaren Anklängen an den Messias
der christlichen Lehre, daß man diesen Abschnitt allgemein für ein Erzeugnis;
des Christenthums hält. Aus einer merkwürdigen Stelle, welche auf das
wollüstige Badeleben einer westlichen Gegend deutet, „am Fuße eines Berges
mit flüssigen Metallen, über einem unterirdischen, mit Flammen erfüllten
Thale, welches der Aufenthalt der gefallenen Engel ist und woraus Fcuerbäche
ausströmen," aus dieser Stelle, welche Hilgcnfeld auf Baja am Fuße des
Vesuvs gedeutet hat, darf man mit Sicherheit schließen, daß dieser Abschnitt
nach dem ersten Ausbruch dieses Vulkans im Jahre 79 nach Christus ge¬
schrieben ist. Eben dieser Theil des Buches war es aber, auf welchen sich die
Christe» besonders stützten. Apologeten wie Tertullian nahmen dessen Echtheit
gegen die Zweifler eifrigst in Schutz. Dciucbt es doch diesem gelehrte» Kirchen¬
vater ganz natürlich, daß Noa dieses Wert seines Urgroßvaters mit i» die
Arche nahm, oder wenn es etwa in der Sündfluth untergegangen sein sollte,
so sei es ja Gott ein Leichtes gewesen, es durch seine Allmacht wieder her¬
zustellen.

Ist schon in dieser Geheimliteratur unsre Ausbeute dürftig genug, so ist
sie es noch mehr in den übrigen Schriften dieser Epoche, in de» sogenannten
Apokryphen des alten Testaments. Die messianischen Erwartungen, so weit sie
überhaupt aufzufinden sind, reduciren sich auf das Allgemeinste, was der ganzen
Idee zu Grunde lag: auf die Erwartung einer künftigen glücklichen Zeit für
das Volk Gottes. Selten nur taucht die Vorstellung auf, daß Gott vor der
großen Entscheidung den Propheten Elias senden werde; dieser erscheint dann
nicht als der Vorläufer eines Messias, sondern als Vorbote des Gottesgerichts,
ebenso wie die persische Rcligionssage den großen Propheten Sosiosch vor dem
Beginn des Reiches Ormnzdö auftreten läßt. Nur in einer einzigen apokry-
Phischen Schrift des Makkabäerzcitaltcrs, in den sogenannten Psalmen des Salomo,
begegnen wir der altprvphetischcn Hinweisung auf den Davidssohn, aber sie ist
einfach eine Reproduction der Schilderungen der großen Propheten, zusammen¬
getragen aus Stellen ihrer Visionen. Bei Philo endlich, dem Vertreter des
alexandrinischen mit griechischer Weisheit gesättigten Judenthums finden wir den
ganzen Vorstellungskreis nur noch in einer sehr vergeistigter Form, die mit der
Idee eines nationalen Fürsten nichts mehr zu thun hat.

Mit einem Mal sehe» wir nun zur Zeit des Herodes in Palästina die
Erwartung eines persönlichen Messias, des Davidssohns wieder aufflammen.
Je überraschender dieses plötzliche Wiederauftauchen ist. um so berechtigter ist
unsre Frage nach den Beweismitteln, auf welche sich diese Annahme stützte.
Und hier zeigt sich denn, daß wir nächst den schon erwähnten Schriften, welche


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[0139] In einem dritten Abschnitt des Buches Henoch erscheint allerdings ein sehr ausgebildeter Messiastypus, zugleich schon ganz in das Uebernatürliche erhoben, aber auch bereits mit so unverkennbaren Anklängen an den Messias der christlichen Lehre, daß man diesen Abschnitt allgemein für ein Erzeugnis; des Christenthums hält. Aus einer merkwürdigen Stelle, welche auf das wollüstige Badeleben einer westlichen Gegend deutet, „am Fuße eines Berges mit flüssigen Metallen, über einem unterirdischen, mit Flammen erfüllten Thale, welches der Aufenthalt der gefallenen Engel ist und woraus Fcuerbäche ausströmen," aus dieser Stelle, welche Hilgcnfeld auf Baja am Fuße des Vesuvs gedeutet hat, darf man mit Sicherheit schließen, daß dieser Abschnitt nach dem ersten Ausbruch dieses Vulkans im Jahre 79 nach Christus ge¬ schrieben ist. Eben dieser Theil des Buches war es aber, auf welchen sich die Christe» besonders stützten. Apologeten wie Tertullian nahmen dessen Echtheit gegen die Zweifler eifrigst in Schutz. Dciucbt es doch diesem gelehrte» Kirchen¬ vater ganz natürlich, daß Noa dieses Wert seines Urgroßvaters mit i» die Arche nahm, oder wenn es etwa in der Sündfluth untergegangen sein sollte, so sei es ja Gott ein Leichtes gewesen, es durch seine Allmacht wieder her¬ zustellen. Ist schon in dieser Geheimliteratur unsre Ausbeute dürftig genug, so ist sie es noch mehr in den übrigen Schriften dieser Epoche, in de» sogenannten Apokryphen des alten Testaments. Die messianischen Erwartungen, so weit sie überhaupt aufzufinden sind, reduciren sich auf das Allgemeinste, was der ganzen Idee zu Grunde lag: auf die Erwartung einer künftigen glücklichen Zeit für das Volk Gottes. Selten nur taucht die Vorstellung auf, daß Gott vor der großen Entscheidung den Propheten Elias senden werde; dieser erscheint dann nicht als der Vorläufer eines Messias, sondern als Vorbote des Gottesgerichts, ebenso wie die persische Rcligionssage den großen Propheten Sosiosch vor dem Beginn des Reiches Ormnzdö auftreten läßt. Nur in einer einzigen apokry- Phischen Schrift des Makkabäerzcitaltcrs, in den sogenannten Psalmen des Salomo, begegnen wir der altprvphetischcn Hinweisung auf den Davidssohn, aber sie ist einfach eine Reproduction der Schilderungen der großen Propheten, zusammen¬ getragen aus Stellen ihrer Visionen. Bei Philo endlich, dem Vertreter des alexandrinischen mit griechischer Weisheit gesättigten Judenthums finden wir den ganzen Vorstellungskreis nur noch in einer sehr vergeistigter Form, die mit der Idee eines nationalen Fürsten nichts mehr zu thun hat. Mit einem Mal sehe» wir nun zur Zeit des Herodes in Palästina die Erwartung eines persönlichen Messias, des Davidssohns wieder aufflammen. Je überraschender dieses plötzliche Wiederauftauchen ist. um so berechtigter ist unsre Frage nach den Beweismitteln, auf welche sich diese Annahme stützte. Und hier zeigt sich denn, daß wir nächst den schon erwähnten Schriften, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/139>, abgerufen am 23.07.2024.