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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Christen im höchsten Ansehen stand und sogar in einer unserer neutestamentlichen
Schriften, dem Brief des Judas, als eine echte Schrift vom Urgroßvater des
Noa angeführt wird, enthält unter einem Schwall von gesuchten Bildern, in
deren Häufung die ganze Productivität der Zeit sich zusammenzudrängen scheint,
einen prophetischen Ueberblick über die gescmuntc Weltgeschichte von der Schöpfung
bis zum Weltgericht. Ausführlich werden in der Hauptvision die Geschicke des
jüdischen Volkes während der Scleucidenzcit geschildert, unter dem Bild einer
Schafheerde, die von ihren Hirten (den heidnischen Königen) mißhandelt, von
Raden und Geiern (den heidnischen Völkern) verheert wird. Aber es erstehen
muthige Lämmer (die Mal'kabäer), welche die Naben bekämpfen, insbesondere
eines von ihnen (Johannes Hyrkanos) ist mit dem Horn, dem Zeichen der
fürstlichen Würde geschmückt, und die anderen folgen ihm. Die Hirten und
Raubvögel versuchen einen letzten Andrang gegen die Lämmer. D" erscheint
der Herr der Heerde (Gott) zur Hilfe, vernichtet die feindlichen Thiere, dem
Judenthum wird die Weltherrschaft verlieben, ein Thron wird in Palästina
errichtet und Gott spricht das Gericht über die gefallenen Engel, über die
Hirten und über die abtrünnigen Juden aus. Den Treugeblicbenen wird ein
neuer Tempel gebracht, die versprengten Juden und besseren Heiden werden
gesammelt; der Krieg hört auf, und allen Schafen werden die Augen geöffnet,
daß sie daS Gute sehen. Jetzt erst wird ein "weißer Falte" geboren mit
großen Hörnern, welchen alle Heiden fürchten und anflehen; die Schafe aber
werden alle verwandelt und gleichfalls zu weißen Farren, und der Herr der
Heerde hat seine Freude an ihnen. Dieser weiße Farre, der zum Schluß auf¬
tritt, ist die einzige Spur, welche die Idee eines persönlichen Messias in unserem
Buch, das eine so ausführliche Schilderung der künftigen Dinge enthält, zu¬
rückgelassen hat. -- Unmittelbar daran schließt sich eine andere Vision, die sich
gleichfalls über den gesammten Wcltverlauf verbreitet. Aber obwohl hier der
letzte Kampf, die Aufrichtung eines Thrones, das große Gericht, der Welt¬
untergang, noch einmal el" Gericht, endlich die Schaffung eines neuen Himmels
noch viel ausführlicher und scheinbar chronologisch genauer erzählt werden, hat
doch der Messias gar keine Stelle gefunden. Gehören beide Darstellungen dem¬
selben Verfasser an, was allerdings zweifelhaft ist, so liegt auf der Hand,
Welche geringe Bedeutung für ihn die Messiasidee hat. Aber auch in der ersten
Darstellung macht der weiße Farre, der am Ende geboren wird, ganz den Ein¬
druck, als wolle der Verfasser schließlich noch etwas nachholen, was er vergessen,
oder wofür er keinen rechten Platz gesunden. Auch ist nicht zu übersehen, daß
der Messias nicht blos aus dem Volke Gottes selbst hervorgeht, sondern auch
alle anderen gleich ihm weiße Farren werden, er also nur als der Erste unter
Gleichen erscheint. Er ist mehr als Priester, denn als Fürst gezeichnet. Die
alte Idee des Messias, des Davididen, ist kaum zu erkennen.


Christen im höchsten Ansehen stand und sogar in einer unserer neutestamentlichen
Schriften, dem Brief des Judas, als eine echte Schrift vom Urgroßvater des
Noa angeführt wird, enthält unter einem Schwall von gesuchten Bildern, in
deren Häufung die ganze Productivität der Zeit sich zusammenzudrängen scheint,
einen prophetischen Ueberblick über die gescmuntc Weltgeschichte von der Schöpfung
bis zum Weltgericht. Ausführlich werden in der Hauptvision die Geschicke des
jüdischen Volkes während der Scleucidenzcit geschildert, unter dem Bild einer
Schafheerde, die von ihren Hirten (den heidnischen Königen) mißhandelt, von
Raden und Geiern (den heidnischen Völkern) verheert wird. Aber es erstehen
muthige Lämmer (die Mal'kabäer), welche die Naben bekämpfen, insbesondere
eines von ihnen (Johannes Hyrkanos) ist mit dem Horn, dem Zeichen der
fürstlichen Würde geschmückt, und die anderen folgen ihm. Die Hirten und
Raubvögel versuchen einen letzten Andrang gegen die Lämmer. D« erscheint
der Herr der Heerde (Gott) zur Hilfe, vernichtet die feindlichen Thiere, dem
Judenthum wird die Weltherrschaft verlieben, ein Thron wird in Palästina
errichtet und Gott spricht das Gericht über die gefallenen Engel, über die
Hirten und über die abtrünnigen Juden aus. Den Treugeblicbenen wird ein
neuer Tempel gebracht, die versprengten Juden und besseren Heiden werden
gesammelt; der Krieg hört auf, und allen Schafen werden die Augen geöffnet,
daß sie daS Gute sehen. Jetzt erst wird ein „weißer Falte" geboren mit
großen Hörnern, welchen alle Heiden fürchten und anflehen; die Schafe aber
werden alle verwandelt und gleichfalls zu weißen Farren, und der Herr der
Heerde hat seine Freude an ihnen. Dieser weiße Farre, der zum Schluß auf¬
tritt, ist die einzige Spur, welche die Idee eines persönlichen Messias in unserem
Buch, das eine so ausführliche Schilderung der künftigen Dinge enthält, zu¬
rückgelassen hat. — Unmittelbar daran schließt sich eine andere Vision, die sich
gleichfalls über den gesammten Wcltverlauf verbreitet. Aber obwohl hier der
letzte Kampf, die Aufrichtung eines Thrones, das große Gericht, der Welt¬
untergang, noch einmal el» Gericht, endlich die Schaffung eines neuen Himmels
noch viel ausführlicher und scheinbar chronologisch genauer erzählt werden, hat
doch der Messias gar keine Stelle gefunden. Gehören beide Darstellungen dem¬
selben Verfasser an, was allerdings zweifelhaft ist, so liegt auf der Hand,
Welche geringe Bedeutung für ihn die Messiasidee hat. Aber auch in der ersten
Darstellung macht der weiße Farre, der am Ende geboren wird, ganz den Ein¬
druck, als wolle der Verfasser schließlich noch etwas nachholen, was er vergessen,
oder wofür er keinen rechten Platz gesunden. Auch ist nicht zu übersehen, daß
der Messias nicht blos aus dem Volke Gottes selbst hervorgeht, sondern auch
alle anderen gleich ihm weiße Farren werden, er also nur als der Erste unter
Gleichen erscheint. Er ist mehr als Priester, denn als Fürst gezeichnet. Die
alte Idee des Messias, des Davididen, ist kaum zu erkennen.


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[0138] Christen im höchsten Ansehen stand und sogar in einer unserer neutestamentlichen Schriften, dem Brief des Judas, als eine echte Schrift vom Urgroßvater des Noa angeführt wird, enthält unter einem Schwall von gesuchten Bildern, in deren Häufung die ganze Productivität der Zeit sich zusammenzudrängen scheint, einen prophetischen Ueberblick über die gescmuntc Weltgeschichte von der Schöpfung bis zum Weltgericht. Ausführlich werden in der Hauptvision die Geschicke des jüdischen Volkes während der Scleucidenzcit geschildert, unter dem Bild einer Schafheerde, die von ihren Hirten (den heidnischen Königen) mißhandelt, von Raden und Geiern (den heidnischen Völkern) verheert wird. Aber es erstehen muthige Lämmer (die Mal'kabäer), welche die Naben bekämpfen, insbesondere eines von ihnen (Johannes Hyrkanos) ist mit dem Horn, dem Zeichen der fürstlichen Würde geschmückt, und die anderen folgen ihm. Die Hirten und Raubvögel versuchen einen letzten Andrang gegen die Lämmer. D« erscheint der Herr der Heerde (Gott) zur Hilfe, vernichtet die feindlichen Thiere, dem Judenthum wird die Weltherrschaft verlieben, ein Thron wird in Palästina errichtet und Gott spricht das Gericht über die gefallenen Engel, über die Hirten und über die abtrünnigen Juden aus. Den Treugeblicbenen wird ein neuer Tempel gebracht, die versprengten Juden und besseren Heiden werden gesammelt; der Krieg hört auf, und allen Schafen werden die Augen geöffnet, daß sie daS Gute sehen. Jetzt erst wird ein „weißer Falte" geboren mit großen Hörnern, welchen alle Heiden fürchten und anflehen; die Schafe aber werden alle verwandelt und gleichfalls zu weißen Farren, und der Herr der Heerde hat seine Freude an ihnen. Dieser weiße Farre, der zum Schluß auf¬ tritt, ist die einzige Spur, welche die Idee eines persönlichen Messias in unserem Buch, das eine so ausführliche Schilderung der künftigen Dinge enthält, zu¬ rückgelassen hat. — Unmittelbar daran schließt sich eine andere Vision, die sich gleichfalls über den gesammten Wcltverlauf verbreitet. Aber obwohl hier der letzte Kampf, die Aufrichtung eines Thrones, das große Gericht, der Welt¬ untergang, noch einmal el» Gericht, endlich die Schaffung eines neuen Himmels noch viel ausführlicher und scheinbar chronologisch genauer erzählt werden, hat doch der Messias gar keine Stelle gefunden. Gehören beide Darstellungen dem¬ selben Verfasser an, was allerdings zweifelhaft ist, so liegt auf der Hand, Welche geringe Bedeutung für ihn die Messiasidee hat. Aber auch in der ersten Darstellung macht der weiße Farre, der am Ende geboren wird, ganz den Ein¬ druck, als wolle der Verfasser schließlich noch etwas nachholen, was er vergessen, oder wofür er keinen rechten Platz gesunden. Auch ist nicht zu übersehen, daß der Messias nicht blos aus dem Volke Gottes selbst hervorgeht, sondern auch alle anderen gleich ihm weiße Farren werden, er also nur als der Erste unter Gleichen erscheint. Er ist mehr als Priester, denn als Fürst gezeichnet. Die alte Idee des Messias, des Davididen, ist kaum zu erkennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/138>, abgerufen am 23.07.2024.