Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Jdumäers Herodes Platz gemacht hatte, gaben der Schmerz und die Empörung,
welche die Gemüther erfüllten, dem Davidssohn wieder ein außerordentliches
Relief; er bleibt von nun an die lebendige Personificatio" alles dessen, was die
unterdrückte und erniedrigte Nation von der Zukunft hofft.

Um den historischen Verlauf der Messiasidee zu verstehen, kommt es also
wesentlich darauf an, von den messianischen Hoffnungen im Allgemeinen die
Erwartung eines persönlichen Messias zu unterscheiden, und vielleicht hätte
Colani diese wichtige Unterscheidung noch strenger durchführen sollen. Die ur¬
sprüngliche Vorstellung, in welche sich die unzerstörbare Gewißheit des Volkes
kleidete, besonders vor allen Völkern von Gott bevorzugt zu sein, war die, daß
Jehova selbst nicht nur zur Niederwerfung der Feinde, sondern auch zur Auf¬
richtung seiner Herrschaft in Israel erscheinen werde. Die ältesten Propheten
(Mitte des neunten Jahrhunderts vor unsrer Zeitrechnung) wissen noch nichts
von einem Davididen. Das künftige Reich ist ihnen das Reich Gottes; dieser
selbst wird, nachdem er in einer Entscheidungsschlacht sein Urtheil gesprochen,
in Zion residiren. Später, als die davidische Dynastie in um so herrlicheren
idealem Glänze strahlte, je mehr sie der Zeit entrückt wurde, und je schmerz¬
licher mit ihr die Gegenwart contrastirte. entlehnten die nationalen Hoffnungen
ihre Farben den nationalen Erinnerungen. David wurde der Typus des großen
theokratischer Fürsten, der nach dem gewonnenen Sieg über die Heiden das
Volk wieder sammeln und durch ein Regiment des Friedens, der Gerechtigkeit
und der wahren Gottesverehrung das goldene Zeitalter heraufführen sollte.
Es sind die großen Propheten im Zeitalter vor der babylonischen Gefangen¬
schaft, im achten und siebenten Jahrhundert v. Chr., welche diesen Typus in
ihren Visionen ausbilden.

Allein während der Gefangenschaft schwächte sich die Anhänglichkeit an die
Dynastie ab. Bei der Wcdcrbcrstcllung des Tempels sehen wir noch Seru-
babel den Davididen neben dein Priester Josua in gleich hervortretender Weise
thätig. Aber bei dem Verlust der staatlichen Unabhängigkeit konnte sich kein
nationales Fürstenthum befestigen, und die Nachkommen Serubabcls verlieren
sich in das Dunkel. Fortan bildet der Tempeldienst den nationalen Mittelpunkt,
und demgemäß behaupteten sich die regierenden Priesterclassen, an ihrer Spitze
die Familie der Zadokiten, als die eigentlichen Herrscher im Volk. Dies war
von unmittelbarem Einfluß auf die Messiasidee. Schon bei den jüngeren
Propheten, welche während und nach dem Exil auftreten, finden wir keine
Spur mehr vom Davididen. Dieser bleibt verschollen, und selbst die messiani¬
schen Hoffnungen im weiteren Sinn sehen wir allmälig erkalten. Es ist sehr
bezeichnend, daß in den Ereignissen der tiesaufgeregten Zeit des heldenmüthigen
Maktabäeraufstandes gegen die Sekunden uns nicht die geringste Spur eines
Einflusses dieser Idee begegnet, die man sich gewöhnlich als den beherrschenden


Jdumäers Herodes Platz gemacht hatte, gaben der Schmerz und die Empörung,
welche die Gemüther erfüllten, dem Davidssohn wieder ein außerordentliches
Relief; er bleibt von nun an die lebendige Personificatio» alles dessen, was die
unterdrückte und erniedrigte Nation von der Zukunft hofft.

Um den historischen Verlauf der Messiasidee zu verstehen, kommt es also
wesentlich darauf an, von den messianischen Hoffnungen im Allgemeinen die
Erwartung eines persönlichen Messias zu unterscheiden, und vielleicht hätte
Colani diese wichtige Unterscheidung noch strenger durchführen sollen. Die ur¬
sprüngliche Vorstellung, in welche sich die unzerstörbare Gewißheit des Volkes
kleidete, besonders vor allen Völkern von Gott bevorzugt zu sein, war die, daß
Jehova selbst nicht nur zur Niederwerfung der Feinde, sondern auch zur Auf¬
richtung seiner Herrschaft in Israel erscheinen werde. Die ältesten Propheten
(Mitte des neunten Jahrhunderts vor unsrer Zeitrechnung) wissen noch nichts
von einem Davididen. Das künftige Reich ist ihnen das Reich Gottes; dieser
selbst wird, nachdem er in einer Entscheidungsschlacht sein Urtheil gesprochen,
in Zion residiren. Später, als die davidische Dynastie in um so herrlicheren
idealem Glänze strahlte, je mehr sie der Zeit entrückt wurde, und je schmerz¬
licher mit ihr die Gegenwart contrastirte. entlehnten die nationalen Hoffnungen
ihre Farben den nationalen Erinnerungen. David wurde der Typus des großen
theokratischer Fürsten, der nach dem gewonnenen Sieg über die Heiden das
Volk wieder sammeln und durch ein Regiment des Friedens, der Gerechtigkeit
und der wahren Gottesverehrung das goldene Zeitalter heraufführen sollte.
Es sind die großen Propheten im Zeitalter vor der babylonischen Gefangen¬
schaft, im achten und siebenten Jahrhundert v. Chr., welche diesen Typus in
ihren Visionen ausbilden.

Allein während der Gefangenschaft schwächte sich die Anhänglichkeit an die
Dynastie ab. Bei der Wcdcrbcrstcllung des Tempels sehen wir noch Seru-
babel den Davididen neben dein Priester Josua in gleich hervortretender Weise
thätig. Aber bei dem Verlust der staatlichen Unabhängigkeit konnte sich kein
nationales Fürstenthum befestigen, und die Nachkommen Serubabcls verlieren
sich in das Dunkel. Fortan bildet der Tempeldienst den nationalen Mittelpunkt,
und demgemäß behaupteten sich die regierenden Priesterclassen, an ihrer Spitze
die Familie der Zadokiten, als die eigentlichen Herrscher im Volk. Dies war
von unmittelbarem Einfluß auf die Messiasidee. Schon bei den jüngeren
Propheten, welche während und nach dem Exil auftreten, finden wir keine
Spur mehr vom Davididen. Dieser bleibt verschollen, und selbst die messiani¬
schen Hoffnungen im weiteren Sinn sehen wir allmälig erkalten. Es ist sehr
bezeichnend, daß in den Ereignissen der tiesaufgeregten Zeit des heldenmüthigen
Maktabäeraufstandes gegen die Sekunden uns nicht die geringste Spur eines
Einflusses dieser Idee begegnet, die man sich gewöhnlich als den beherrschenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282377"/>
          <p xml:id="ID_316" prev="#ID_315"> Jdumäers Herodes Platz gemacht hatte, gaben der Schmerz und die Empörung,<lb/>
welche die Gemüther erfüllten, dem Davidssohn wieder ein außerordentliches<lb/>
Relief; er bleibt von nun an die lebendige Personificatio» alles dessen, was die<lb/>
unterdrückte und erniedrigte Nation von der Zukunft hofft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_317"> Um den historischen Verlauf der Messiasidee zu verstehen, kommt es also<lb/>
wesentlich darauf an, von den messianischen Hoffnungen im Allgemeinen die<lb/>
Erwartung eines persönlichen Messias zu unterscheiden, und vielleicht hätte<lb/>
Colani diese wichtige Unterscheidung noch strenger durchführen sollen. Die ur¬<lb/>
sprüngliche Vorstellung, in welche sich die unzerstörbare Gewißheit des Volkes<lb/>
kleidete, besonders vor allen Völkern von Gott bevorzugt zu sein, war die, daß<lb/>
Jehova selbst nicht nur zur Niederwerfung der Feinde, sondern auch zur Auf¬<lb/>
richtung seiner Herrschaft in Israel erscheinen werde. Die ältesten Propheten<lb/>
(Mitte des neunten Jahrhunderts vor unsrer Zeitrechnung) wissen noch nichts<lb/>
von einem Davididen. Das künftige Reich ist ihnen das Reich Gottes; dieser<lb/>
selbst wird, nachdem er in einer Entscheidungsschlacht sein Urtheil gesprochen,<lb/>
in Zion residiren. Später, als die davidische Dynastie in um so herrlicheren<lb/>
idealem Glänze strahlte, je mehr sie der Zeit entrückt wurde, und je schmerz¬<lb/>
licher mit ihr die Gegenwart contrastirte. entlehnten die nationalen Hoffnungen<lb/>
ihre Farben den nationalen Erinnerungen. David wurde der Typus des großen<lb/>
theokratischer Fürsten, der nach dem gewonnenen Sieg über die Heiden das<lb/>
Volk wieder sammeln und durch ein Regiment des Friedens, der Gerechtigkeit<lb/>
und der wahren Gottesverehrung das goldene Zeitalter heraufführen sollte.<lb/>
Es sind die großen Propheten im Zeitalter vor der babylonischen Gefangen¬<lb/>
schaft, im achten und siebenten Jahrhundert v. Chr., welche diesen Typus in<lb/>
ihren Visionen ausbilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_318" next="#ID_319"> Allein während der Gefangenschaft schwächte sich die Anhänglichkeit an die<lb/>
Dynastie ab. Bei der Wcdcrbcrstcllung des Tempels sehen wir noch Seru-<lb/>
babel den Davididen neben dein Priester Josua in gleich hervortretender Weise<lb/>
thätig. Aber bei dem Verlust der staatlichen Unabhängigkeit konnte sich kein<lb/>
nationales Fürstenthum befestigen, und die Nachkommen Serubabcls verlieren<lb/>
sich in das Dunkel. Fortan bildet der Tempeldienst den nationalen Mittelpunkt,<lb/>
und demgemäß behaupteten sich die regierenden Priesterclassen, an ihrer Spitze<lb/>
die Familie der Zadokiten, als die eigentlichen Herrscher im Volk. Dies war<lb/>
von unmittelbarem Einfluß auf die Messiasidee. Schon bei den jüngeren<lb/>
Propheten, welche während und nach dem Exil auftreten, finden wir keine<lb/>
Spur mehr vom Davididen. Dieser bleibt verschollen, und selbst die messiani¬<lb/>
schen Hoffnungen im weiteren Sinn sehen wir allmälig erkalten. Es ist sehr<lb/>
bezeichnend, daß in den Ereignissen der tiesaufgeregten Zeit des heldenmüthigen<lb/>
Maktabäeraufstandes gegen die Sekunden uns nicht die geringste Spur eines<lb/>
Einflusses dieser Idee begegnet, die man sich gewöhnlich als den beherrschenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] Jdumäers Herodes Platz gemacht hatte, gaben der Schmerz und die Empörung, welche die Gemüther erfüllten, dem Davidssohn wieder ein außerordentliches Relief; er bleibt von nun an die lebendige Personificatio» alles dessen, was die unterdrückte und erniedrigte Nation von der Zukunft hofft. Um den historischen Verlauf der Messiasidee zu verstehen, kommt es also wesentlich darauf an, von den messianischen Hoffnungen im Allgemeinen die Erwartung eines persönlichen Messias zu unterscheiden, und vielleicht hätte Colani diese wichtige Unterscheidung noch strenger durchführen sollen. Die ur¬ sprüngliche Vorstellung, in welche sich die unzerstörbare Gewißheit des Volkes kleidete, besonders vor allen Völkern von Gott bevorzugt zu sein, war die, daß Jehova selbst nicht nur zur Niederwerfung der Feinde, sondern auch zur Auf¬ richtung seiner Herrschaft in Israel erscheinen werde. Die ältesten Propheten (Mitte des neunten Jahrhunderts vor unsrer Zeitrechnung) wissen noch nichts von einem Davididen. Das künftige Reich ist ihnen das Reich Gottes; dieser selbst wird, nachdem er in einer Entscheidungsschlacht sein Urtheil gesprochen, in Zion residiren. Später, als die davidische Dynastie in um so herrlicheren idealem Glänze strahlte, je mehr sie der Zeit entrückt wurde, und je schmerz¬ licher mit ihr die Gegenwart contrastirte. entlehnten die nationalen Hoffnungen ihre Farben den nationalen Erinnerungen. David wurde der Typus des großen theokratischer Fürsten, der nach dem gewonnenen Sieg über die Heiden das Volk wieder sammeln und durch ein Regiment des Friedens, der Gerechtigkeit und der wahren Gottesverehrung das goldene Zeitalter heraufführen sollte. Es sind die großen Propheten im Zeitalter vor der babylonischen Gefangen¬ schaft, im achten und siebenten Jahrhundert v. Chr., welche diesen Typus in ihren Visionen ausbilden. Allein während der Gefangenschaft schwächte sich die Anhänglichkeit an die Dynastie ab. Bei der Wcdcrbcrstcllung des Tempels sehen wir noch Seru- babel den Davididen neben dein Priester Josua in gleich hervortretender Weise thätig. Aber bei dem Verlust der staatlichen Unabhängigkeit konnte sich kein nationales Fürstenthum befestigen, und die Nachkommen Serubabcls verlieren sich in das Dunkel. Fortan bildet der Tempeldienst den nationalen Mittelpunkt, und demgemäß behaupteten sich die regierenden Priesterclassen, an ihrer Spitze die Familie der Zadokiten, als die eigentlichen Herrscher im Volk. Dies war von unmittelbarem Einfluß auf die Messiasidee. Schon bei den jüngeren Propheten, welche während und nach dem Exil auftreten, finden wir keine Spur mehr vom Davididen. Dieser bleibt verschollen, und selbst die messiani¬ schen Hoffnungen im weiteren Sinn sehen wir allmälig erkalten. Es ist sehr bezeichnend, daß in den Ereignissen der tiesaufgeregten Zeit des heldenmüthigen Maktabäeraufstandes gegen die Sekunden uns nicht die geringste Spur eines Einflusses dieser Idee begegnet, die man sich gewöhnlich als den beherrschenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/136
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/136>, abgerufen am 23.07.2024.