Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Stehlen wohl unter dem gemeine" Bolle vorkam, da ja der Dichter die
Staubwolken der trojanischen Ebene vergleicht dem sich über die Berggipfel
verbreitenden Nebel, "dem Hirten nicht angenehm, dem Diebe aber lieber, als
die Nacht". Auch Hesiod räth dem Landmanne, sich einen scharfzahnigen Hund
zu halten, damit ihm nicht ein "tagschlafender" Mann seine Habe entfremde.
Bei Stämmen, wo der Hauptreichthum in Heerden bestand, war natürlich der
Viehraub an der Tagesordnung. Bei dem Gelage, das der thralische Fürst
Seuthes dem griechischen Heere unter Xenophon gab, führten unter Anderem,
Thassalier einen mimischen Waffentanz auf, der folgendermaßen beschrieben wird.
"Der Eine legt die Waffen ab, säet und pflügt, sich furchtsam dabei nach allen
Seiten umblickend. Da erscheint der Räuber und der Bauer rafft seine Waffen
empor und vertheidigt nach der Musik fechtend sein Gespann. Endlich bindet
der Räuber den Mann und führt das Ochsenpaar fort; bisweilen thut dies
auch der Pflüger mit dem Räuber." Auf dieselbe Sitte weist endlich klar die
in Arkadien entstandene Mythe vom Rinderdiebstahl des jungen Erzdiebes Her¬
mes hin, der auch der Freund und Hort der Eigenthumsverwechsler geblieben
ist. "Und doch, so oft du deinem Herrn ein Hausgeräth entwandtest, hielt ichs
stets geheim und half dir durch," sagt Hermes zu Karion im anstophanischen
Plutus, und bekommt zur Antwort: "Mit dem Beding, Dieb, daß du selbst
was abbekamst; ein wohigebackner Kuchen lief dir immer zu!" Ueberhaupt
schwächte sich das eigentliche Räuberhandwerk in der historischen Zeit mehr und
mehr zu Dieberei und Gaunerei ab. Eine Ausnahme machten die Aelpler,
Akarnaner und vzoUschen Lokrer, die nicht nur die Sitte des Waffentragens
nicht aufgaben, sondern auch dem Raubleben fröhnten, weshalb sich selten an¬
dere Griechen in diese Gegenden verirrten. Während der Diebstahl von Lebens¬
mitteln in Sparta, als Borübung für den Krieg, den Knaben straflos hinging,
so lange sie sich nicht ertappen ließen. Halle in Athen der Gesetzgeber Drakon
auf die geringfügigste Entwertung die Todesstrafe gesetzt, was Solon dahin
mäßigte, daß der Dieb das Doppelte des Werthes als Strafe erlegen mußte
und zur Schärfung derselben fünf Tage lang gefesselt ausgestellt werden konnte.
Wurde freilich der Delinquent auf frischer That ertappt und war der That ge- .
ständig, so wurde er sofort der Executivbehörde übergeben und ohne langen
Proceß hingerichtet. Besonders galt dies von Einbruch. Tempelraub und dem
an öffentlichen Orten, z. B. in Bädern und Gymnasien verübten Diebstahl.
Darum lautet auch eins der aristotelischen Probleme: "Warum wird derjenige,
welcher aus dem Bade oder der Ringschule oder auf dem Markte oder an
einem ähnlichen Ort gestohlen hat, mit dem Tode bestraft, während der Be-
stehler eines Privathause^ mit dem zweifachen Ersatze des Gestohlenen davon-
kömmt?" und der Grund wird darin gefunden, daß der Diebstahl an öffent¬
lichen Orten Viel leichter auszuführen sei, als im verschlossenen Hanse, also der


das Stehlen wohl unter dem gemeine» Bolle vorkam, da ja der Dichter die
Staubwolken der trojanischen Ebene vergleicht dem sich über die Berggipfel
verbreitenden Nebel, „dem Hirten nicht angenehm, dem Diebe aber lieber, als
die Nacht". Auch Hesiod räth dem Landmanne, sich einen scharfzahnigen Hund
zu halten, damit ihm nicht ein „tagschlafender" Mann seine Habe entfremde.
Bei Stämmen, wo der Hauptreichthum in Heerden bestand, war natürlich der
Viehraub an der Tagesordnung. Bei dem Gelage, das der thralische Fürst
Seuthes dem griechischen Heere unter Xenophon gab, führten unter Anderem,
Thassalier einen mimischen Waffentanz auf, der folgendermaßen beschrieben wird.
„Der Eine legt die Waffen ab, säet und pflügt, sich furchtsam dabei nach allen
Seiten umblickend. Da erscheint der Räuber und der Bauer rafft seine Waffen
empor und vertheidigt nach der Musik fechtend sein Gespann. Endlich bindet
der Räuber den Mann und führt das Ochsenpaar fort; bisweilen thut dies
auch der Pflüger mit dem Räuber." Auf dieselbe Sitte weist endlich klar die
in Arkadien entstandene Mythe vom Rinderdiebstahl des jungen Erzdiebes Her¬
mes hin, der auch der Freund und Hort der Eigenthumsverwechsler geblieben
ist. „Und doch, so oft du deinem Herrn ein Hausgeräth entwandtest, hielt ichs
stets geheim und half dir durch," sagt Hermes zu Karion im anstophanischen
Plutus, und bekommt zur Antwort: „Mit dem Beding, Dieb, daß du selbst
was abbekamst; ein wohigebackner Kuchen lief dir immer zu!" Ueberhaupt
schwächte sich das eigentliche Räuberhandwerk in der historischen Zeit mehr und
mehr zu Dieberei und Gaunerei ab. Eine Ausnahme machten die Aelpler,
Akarnaner und vzoUschen Lokrer, die nicht nur die Sitte des Waffentragens
nicht aufgaben, sondern auch dem Raubleben fröhnten, weshalb sich selten an¬
dere Griechen in diese Gegenden verirrten. Während der Diebstahl von Lebens¬
mitteln in Sparta, als Borübung für den Krieg, den Knaben straflos hinging,
so lange sie sich nicht ertappen ließen. Halle in Athen der Gesetzgeber Drakon
auf die geringfügigste Entwertung die Todesstrafe gesetzt, was Solon dahin
mäßigte, daß der Dieb das Doppelte des Werthes als Strafe erlegen mußte
und zur Schärfung derselben fünf Tage lang gefesselt ausgestellt werden konnte.
Wurde freilich der Delinquent auf frischer That ertappt und war der That ge- .
ständig, so wurde er sofort der Executivbehörde übergeben und ohne langen
Proceß hingerichtet. Besonders galt dies von Einbruch. Tempelraub und dem
an öffentlichen Orten, z. B. in Bädern und Gymnasien verübten Diebstahl.
Darum lautet auch eins der aristotelischen Probleme: „Warum wird derjenige,
welcher aus dem Bade oder der Ringschule oder auf dem Markte oder an
einem ähnlichen Ort gestohlen hat, mit dem Tode bestraft, während der Be-
stehler eines Privathause^ mit dem zweifachen Ersatze des Gestohlenen davon-
kömmt?" und der Grund wird darin gefunden, daß der Diebstahl an öffent¬
lichen Orten Viel leichter auszuführen sei, als im verschlossenen Hanse, also der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282351"/>
          <p xml:id="ID_260" prev="#ID_259" next="#ID_261"> das Stehlen wohl unter dem gemeine» Bolle vorkam, da ja der Dichter die<lb/>
Staubwolken der trojanischen Ebene vergleicht dem sich über die Berggipfel<lb/>
verbreitenden Nebel, &#x201E;dem Hirten nicht angenehm, dem Diebe aber lieber, als<lb/>
die Nacht". Auch Hesiod räth dem Landmanne, sich einen scharfzahnigen Hund<lb/>
zu halten, damit ihm nicht ein &#x201E;tagschlafender" Mann seine Habe entfremde.<lb/>
Bei Stämmen, wo der Hauptreichthum in Heerden bestand, war natürlich der<lb/>
Viehraub an der Tagesordnung. Bei dem Gelage, das der thralische Fürst<lb/>
Seuthes dem griechischen Heere unter Xenophon gab, führten unter Anderem,<lb/>
Thassalier einen mimischen Waffentanz auf, der folgendermaßen beschrieben wird.<lb/>
&#x201E;Der Eine legt die Waffen ab, säet und pflügt, sich furchtsam dabei nach allen<lb/>
Seiten umblickend. Da erscheint der Räuber und der Bauer rafft seine Waffen<lb/>
empor und vertheidigt nach der Musik fechtend sein Gespann. Endlich bindet<lb/>
der Räuber den Mann und führt das Ochsenpaar fort; bisweilen thut dies<lb/>
auch der Pflüger mit dem Räuber." Auf dieselbe Sitte weist endlich klar die<lb/>
in Arkadien entstandene Mythe vom Rinderdiebstahl des jungen Erzdiebes Her¬<lb/>
mes hin, der auch der Freund und Hort der Eigenthumsverwechsler geblieben<lb/>
ist. &#x201E;Und doch, so oft du deinem Herrn ein Hausgeräth entwandtest, hielt ichs<lb/>
stets geheim und half dir durch," sagt Hermes zu Karion im anstophanischen<lb/>
Plutus, und bekommt zur Antwort: &#x201E;Mit dem Beding, Dieb, daß du selbst<lb/>
was abbekamst; ein wohigebackner Kuchen lief dir immer zu!" Ueberhaupt<lb/>
schwächte sich das eigentliche Räuberhandwerk in der historischen Zeit mehr und<lb/>
mehr zu Dieberei und Gaunerei ab. Eine Ausnahme machten die Aelpler,<lb/>
Akarnaner und vzoUschen Lokrer, die nicht nur die Sitte des Waffentragens<lb/>
nicht aufgaben, sondern auch dem Raubleben fröhnten, weshalb sich selten an¬<lb/>
dere Griechen in diese Gegenden verirrten. Während der Diebstahl von Lebens¬<lb/>
mitteln in Sparta, als Borübung für den Krieg, den Knaben straflos hinging,<lb/>
so lange sie sich nicht ertappen ließen. Halle in Athen der Gesetzgeber Drakon<lb/>
auf die geringfügigste Entwertung die Todesstrafe gesetzt, was Solon dahin<lb/>
mäßigte, daß der Dieb das Doppelte des Werthes als Strafe erlegen mußte<lb/>
und zur Schärfung derselben fünf Tage lang gefesselt ausgestellt werden konnte.<lb/>
Wurde freilich der Delinquent auf frischer That ertappt und war der That ge- .<lb/>
ständig, so wurde er sofort der Executivbehörde übergeben und ohne langen<lb/>
Proceß hingerichtet. Besonders galt dies von Einbruch. Tempelraub und dem<lb/>
an öffentlichen Orten, z. B. in Bädern und Gymnasien verübten Diebstahl.<lb/>
Darum lautet auch eins der aristotelischen Probleme: &#x201E;Warum wird derjenige,<lb/>
welcher aus dem Bade oder der Ringschule oder auf dem Markte oder an<lb/>
einem ähnlichen Ort gestohlen hat, mit dem Tode bestraft, während der Be-<lb/>
stehler eines Privathause^ mit dem zweifachen Ersatze des Gestohlenen davon-<lb/>
kömmt?" und der Grund wird darin gefunden, daß der Diebstahl an öffent¬<lb/>
lichen Orten Viel leichter auszuführen sei, als im verschlossenen Hanse, also der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] das Stehlen wohl unter dem gemeine» Bolle vorkam, da ja der Dichter die Staubwolken der trojanischen Ebene vergleicht dem sich über die Berggipfel verbreitenden Nebel, „dem Hirten nicht angenehm, dem Diebe aber lieber, als die Nacht". Auch Hesiod räth dem Landmanne, sich einen scharfzahnigen Hund zu halten, damit ihm nicht ein „tagschlafender" Mann seine Habe entfremde. Bei Stämmen, wo der Hauptreichthum in Heerden bestand, war natürlich der Viehraub an der Tagesordnung. Bei dem Gelage, das der thralische Fürst Seuthes dem griechischen Heere unter Xenophon gab, führten unter Anderem, Thassalier einen mimischen Waffentanz auf, der folgendermaßen beschrieben wird. „Der Eine legt die Waffen ab, säet und pflügt, sich furchtsam dabei nach allen Seiten umblickend. Da erscheint der Räuber und der Bauer rafft seine Waffen empor und vertheidigt nach der Musik fechtend sein Gespann. Endlich bindet der Räuber den Mann und führt das Ochsenpaar fort; bisweilen thut dies auch der Pflüger mit dem Räuber." Auf dieselbe Sitte weist endlich klar die in Arkadien entstandene Mythe vom Rinderdiebstahl des jungen Erzdiebes Her¬ mes hin, der auch der Freund und Hort der Eigenthumsverwechsler geblieben ist. „Und doch, so oft du deinem Herrn ein Hausgeräth entwandtest, hielt ichs stets geheim und half dir durch," sagt Hermes zu Karion im anstophanischen Plutus, und bekommt zur Antwort: „Mit dem Beding, Dieb, daß du selbst was abbekamst; ein wohigebackner Kuchen lief dir immer zu!" Ueberhaupt schwächte sich das eigentliche Räuberhandwerk in der historischen Zeit mehr und mehr zu Dieberei und Gaunerei ab. Eine Ausnahme machten die Aelpler, Akarnaner und vzoUschen Lokrer, die nicht nur die Sitte des Waffentragens nicht aufgaben, sondern auch dem Raubleben fröhnten, weshalb sich selten an¬ dere Griechen in diese Gegenden verirrten. Während der Diebstahl von Lebens¬ mitteln in Sparta, als Borübung für den Krieg, den Knaben straflos hinging, so lange sie sich nicht ertappen ließen. Halle in Athen der Gesetzgeber Drakon auf die geringfügigste Entwertung die Todesstrafe gesetzt, was Solon dahin mäßigte, daß der Dieb das Doppelte des Werthes als Strafe erlegen mußte und zur Schärfung derselben fünf Tage lang gefesselt ausgestellt werden konnte. Wurde freilich der Delinquent auf frischer That ertappt und war der That ge- . ständig, so wurde er sofort der Executivbehörde übergeben und ohne langen Proceß hingerichtet. Besonders galt dies von Einbruch. Tempelraub und dem an öffentlichen Orten, z. B. in Bädern und Gymnasien verübten Diebstahl. Darum lautet auch eins der aristotelischen Probleme: „Warum wird derjenige, welcher aus dem Bade oder der Ringschule oder auf dem Markte oder an einem ähnlichen Ort gestohlen hat, mit dem Tode bestraft, während der Be- stehler eines Privathause^ mit dem zweifachen Ersatze des Gestohlenen davon- kömmt?" und der Grund wird darin gefunden, daß der Diebstahl an öffent¬ lichen Orten Viel leichter auszuführen sei, als im verschlossenen Hanse, also der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/110>, abgerufen am 23.07.2024.