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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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in das Gebiet der Kunst erhebt, zwar mit einer Beschränkung, welche dieselbe
zum Theil wieder in ihre Knappenstellnng zurückweist: das; sie nämlich in ge¬
wissen Fällen als Kunst betrachtet werden könne, Beiläufig bemerkt, ist diese
neue Standeserhöhung der Photographie durch ein officielles vom Schriftführer
der Akademie unterzeichnetes Actenstück lin den wiener Recensionen über bildende
Kunst Ur, 44 v. I,) in einer Weise motivirt, die für den Unterricht der Aesthe¬
tik, falls er in ähnlicher Art an der Anstalt betrieben wird, alles befürchten
läßt. Das Erste, meint die Akademie, bei einen, Werke der Kunst sei der
künstlerische Gedanke oder die künstlerische Auffassung der Natur, das Zweite
die Mittel zur "vollständigen" Versinnlichung der Idee oder zu schöner "Durch¬
bildung" des Naturobjectes, beides aber vermöge der Photograph zu leisten.
Die schwache Sophistik dieser Auseinandersetzung liegt auf der Hand. Davon
abgesehen, daß die künstlerische Auffassung des Photographen, wenn überhaupt
vorhanden, immer eine bedingte ist, weil sie die Natur an sich lassen muß,
wie sie ist, der Darstellung nur vorangeht und daber ihren Gegenstand von
den zufälligen Trübungen der Wirklichkeit nicht zu befreien, in die läuternde
Kraft der Phantasie nicht hereinzunehmen vermag; das nicht zu rechnen, daß
die künstlerische "Durchbildung" in der Photographie lediglich in der Retvucbc
bestehen kann, welche zudem nicht zur Sache gehört und den Mängeln des
Abbildes nur mangelhaft abhilft: so ist ja der eigentliche künstlerische Proceß,
der allein dasMunstwerk hervorbringt und durch die eigene Natur der Photo¬
graphie geradezu ausgeschlossen ist, die wirkliche Gestaltung, die freie, vom
Zwang der Natur losgelöste Production aus der Phantasie heraus (einerlei
nun, ob ihr Werk gut oder schlecht ist). Diese volle Mitte des künstlerischen
Schaffens, welche jene zwei Momente "Auffassung und Durchbildung" Boll¬
endung) bestimmend in sich zusammenfaßt, hat jenes seltsame Schriftstück über¬
gangen, wohl weil sie ihm zur Rechtfertigung jenes die Photographie zur Kunst
erhebenden Gutachtens jeden Ausweg versperrte, dagegen einen solchen in
jener zweideutigen und gewundenen Fassung gesucht, welche das Wesen der
künstlerischen Production auf jene zwei nur mitwirkende" Momente beschränken
möchte (durch den Doppelsinn des Ausdrucks: "Durchbildung" und durch das
Einschieben des Wortes "vollständig" bei "Veranschaulichung der Idee"). Daß
es der Akademie darum zu thun schien, die Arbeit des Photographen gegen
unbefugte Nachbildung zu schützen, dagegen ist nichts zu sagen: wenn aber das
Gesetz hier eine Lücke hat. weil es eine neue Erfahrung in sein System noch
nicht hat bringen können, so geziemt es nickt der Akademie, durch einen falschen
Gebrauch unzweifelhafter Kunstbegriffe eine doch unpassende Anwendung des
nun einmal unvollständigen Gesetzesparagraphen herbeizwingen zu wollen. Neben
dieser künstlichen Begriffsverwirrung trägt übrigens das Schriftstück noch das
rührende Gepräge eines menschlich naiven Zuges, den wir dem Leser nicht vor-


Grenzboten I. 186S. 13

in das Gebiet der Kunst erhebt, zwar mit einer Beschränkung, welche dieselbe
zum Theil wieder in ihre Knappenstellnng zurückweist: das; sie nämlich in ge¬
wissen Fällen als Kunst betrachtet werden könne, Beiläufig bemerkt, ist diese
neue Standeserhöhung der Photographie durch ein officielles vom Schriftführer
der Akademie unterzeichnetes Actenstück lin den wiener Recensionen über bildende
Kunst Ur, 44 v. I,) in einer Weise motivirt, die für den Unterricht der Aesthe¬
tik, falls er in ähnlicher Art an der Anstalt betrieben wird, alles befürchten
läßt. Das Erste, meint die Akademie, bei einen, Werke der Kunst sei der
künstlerische Gedanke oder die künstlerische Auffassung der Natur, das Zweite
die Mittel zur „vollständigen" Versinnlichung der Idee oder zu schöner „Durch¬
bildung" des Naturobjectes, beides aber vermöge der Photograph zu leisten.
Die schwache Sophistik dieser Auseinandersetzung liegt auf der Hand. Davon
abgesehen, daß die künstlerische Auffassung des Photographen, wenn überhaupt
vorhanden, immer eine bedingte ist, weil sie die Natur an sich lassen muß,
wie sie ist, der Darstellung nur vorangeht und daber ihren Gegenstand von
den zufälligen Trübungen der Wirklichkeit nicht zu befreien, in die läuternde
Kraft der Phantasie nicht hereinzunehmen vermag; das nicht zu rechnen, daß
die künstlerische „Durchbildung" in der Photographie lediglich in der Retvucbc
bestehen kann, welche zudem nicht zur Sache gehört und den Mängeln des
Abbildes nur mangelhaft abhilft: so ist ja der eigentliche künstlerische Proceß,
der allein dasMunstwerk hervorbringt und durch die eigene Natur der Photo¬
graphie geradezu ausgeschlossen ist, die wirkliche Gestaltung, die freie, vom
Zwang der Natur losgelöste Production aus der Phantasie heraus (einerlei
nun, ob ihr Werk gut oder schlecht ist). Diese volle Mitte des künstlerischen
Schaffens, welche jene zwei Momente „Auffassung und Durchbildung" Boll¬
endung) bestimmend in sich zusammenfaßt, hat jenes seltsame Schriftstück über¬
gangen, wohl weil sie ihm zur Rechtfertigung jenes die Photographie zur Kunst
erhebenden Gutachtens jeden Ausweg versperrte, dagegen einen solchen in
jener zweideutigen und gewundenen Fassung gesucht, welche das Wesen der
künstlerischen Production auf jene zwei nur mitwirkende» Momente beschränken
möchte (durch den Doppelsinn des Ausdrucks: „Durchbildung" und durch das
Einschieben des Wortes „vollständig" bei „Veranschaulichung der Idee"). Daß
es der Akademie darum zu thun schien, die Arbeit des Photographen gegen
unbefugte Nachbildung zu schützen, dagegen ist nichts zu sagen: wenn aber das
Gesetz hier eine Lücke hat. weil es eine neue Erfahrung in sein System noch
nicht hat bringen können, so geziemt es nickt der Akademie, durch einen falschen
Gebrauch unzweifelhafter Kunstbegriffe eine doch unpassende Anwendung des
nun einmal unvollständigen Gesetzesparagraphen herbeizwingen zu wollen. Neben
dieser künstlichen Begriffsverwirrung trägt übrigens das Schriftstück noch das
rührende Gepräge eines menschlich naiven Zuges, den wir dem Leser nicht vor-


Grenzboten I. 186S. 13
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[0107] in das Gebiet der Kunst erhebt, zwar mit einer Beschränkung, welche dieselbe zum Theil wieder in ihre Knappenstellnng zurückweist: das; sie nämlich in ge¬ wissen Fällen als Kunst betrachtet werden könne, Beiläufig bemerkt, ist diese neue Standeserhöhung der Photographie durch ein officielles vom Schriftführer der Akademie unterzeichnetes Actenstück lin den wiener Recensionen über bildende Kunst Ur, 44 v. I,) in einer Weise motivirt, die für den Unterricht der Aesthe¬ tik, falls er in ähnlicher Art an der Anstalt betrieben wird, alles befürchten läßt. Das Erste, meint die Akademie, bei einen, Werke der Kunst sei der künstlerische Gedanke oder die künstlerische Auffassung der Natur, das Zweite die Mittel zur „vollständigen" Versinnlichung der Idee oder zu schöner „Durch¬ bildung" des Naturobjectes, beides aber vermöge der Photograph zu leisten. Die schwache Sophistik dieser Auseinandersetzung liegt auf der Hand. Davon abgesehen, daß die künstlerische Auffassung des Photographen, wenn überhaupt vorhanden, immer eine bedingte ist, weil sie die Natur an sich lassen muß, wie sie ist, der Darstellung nur vorangeht und daber ihren Gegenstand von den zufälligen Trübungen der Wirklichkeit nicht zu befreien, in die läuternde Kraft der Phantasie nicht hereinzunehmen vermag; das nicht zu rechnen, daß die künstlerische „Durchbildung" in der Photographie lediglich in der Retvucbc bestehen kann, welche zudem nicht zur Sache gehört und den Mängeln des Abbildes nur mangelhaft abhilft: so ist ja der eigentliche künstlerische Proceß, der allein dasMunstwerk hervorbringt und durch die eigene Natur der Photo¬ graphie geradezu ausgeschlossen ist, die wirkliche Gestaltung, die freie, vom Zwang der Natur losgelöste Production aus der Phantasie heraus (einerlei nun, ob ihr Werk gut oder schlecht ist). Diese volle Mitte des künstlerischen Schaffens, welche jene zwei Momente „Auffassung und Durchbildung" Boll¬ endung) bestimmend in sich zusammenfaßt, hat jenes seltsame Schriftstück über¬ gangen, wohl weil sie ihm zur Rechtfertigung jenes die Photographie zur Kunst erhebenden Gutachtens jeden Ausweg versperrte, dagegen einen solchen in jener zweideutigen und gewundenen Fassung gesucht, welche das Wesen der künstlerischen Production auf jene zwei nur mitwirkende» Momente beschränken möchte (durch den Doppelsinn des Ausdrucks: „Durchbildung" und durch das Einschieben des Wortes „vollständig" bei „Veranschaulichung der Idee"). Daß es der Akademie darum zu thun schien, die Arbeit des Photographen gegen unbefugte Nachbildung zu schützen, dagegen ist nichts zu sagen: wenn aber das Gesetz hier eine Lücke hat. weil es eine neue Erfahrung in sein System noch nicht hat bringen können, so geziemt es nickt der Akademie, durch einen falschen Gebrauch unzweifelhafter Kunstbegriffe eine doch unpassende Anwendung des nun einmal unvollständigen Gesetzesparagraphen herbeizwingen zu wollen. Neben dieser künstlichen Begriffsverwirrung trägt übrigens das Schriftstück noch das rührende Gepräge eines menschlich naiven Zuges, den wir dem Leser nicht vor- Grenzboten I. 186S. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/107>, abgerufen am 23.07.2024.