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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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auf der Akademie Meisterwerke copirt werden -- die eigentliche Feuerprobe für
den jungen Maler, die er bestehen muh, um in die Welt der Kunst einzutreten
und aus dem Schüler zum Meister zu werden --, daß ihr Zögling den Raphael,
Tizian und Rubens anders als von, Hörensagen oder durch die oberflächliche
Bekanntschaft einiger Galcriebcsuche kenne, davon hat sich bis jetzt eine sichere
Spur nirgends auffinden lassen.

Wie es mit dem Unterricht in der Plastik und Architektur bestellt ist,
darüber können wir uns um so kürzer fassen, als, wie das die Zeit so mit sich
bringt, diese beiden Fächer mehr in den Hintergrund der Schule treten. Auch
gilt für den jungen Bildhauer, was von dem Zeichnenuntcrricht und dem Stu¬
dium des Nackten oben bemerkt ist. Was die Lehrer der Sculptur anlangt,
so wird sich bei Gelegenheit der neuen Münchener Monumente zeigen, daß der
Eine, seinen Werken nach zu urtheilen, schwerlich im Stande ist, dem Schüler
das lebendige Verständniß der Form, sei es nach der Natur oder nach der An¬
tike, auszuschließen. Eine eigene Classe ist -- wie in Bayern begreiflich --
der kirchlichen Sculptur gewidmet. Sie steht unter einem Mann von Talent,
der aber natürlich in die Bildwerke, auch in ihre Form, einen eigenthümlich
christlichen, ins Gothische hinüberspielenden Ausdruck zu bringen und demnach
seine Schüler so zu unterrichten sucht, wie wenn es neben dem ein für alle
Mal mustergiltigen Stil der antiken Plastik noch jetzt eine besondere schulgerechte
Weise katholischer' Bildnerei gäbe. In der Architekturschule ist unseres Wissens
der lebendige organische Zusammenhang der classischen Formen, wie er in den
Meisterwerken der großen Epochen als sichtbares Borbild erhalten ist, kein Ge¬
genstand des Unterrichts. Dagegen ist seit mehren Jahren der "moderne Bau¬
stil" ein eigener Lehrgegenstand unter einem besonderen Professor, und hier bleibt
uns nur übrig, den Lehrer zu bewundern, der sich den Mann fühlt, das der
neuen Baukunst eigenthümliche Mißverständniß der überlieferten Formen und
Gesetze und ihre sinnlose abenteuerliche Vermischung, in ein System gebracht,
der jugendlichen Phantasie einleuchtend und begreiflich zu machen.

Doch wir erinnern uns ja, daß eines der merkwürdigsten Lebenszeichen,
welches die Münchener Akademie von sich gegeben, in dem Programm des Jahres
1851 bestand, das nicht blos die architektonische Aufgabe unserer Zeit, "eine
neue Bauart zu finden", mit unwidersprcchlichen Gründen darthat, son¬
dern auch die Mittel und Wege zu ihrer Lösung bezeichnete und so den neuen
Baustil förmlich und feierlich in die Kunstgeschichte einführte (das 'Nähere in
den Artikeln über "die Münchner Maximiliansstraßc und den modernen Baustil"
im Jahrgang von 1863 dieser Blätter). Das rühmliche Zeugniß muß
man jener Körperschaft überhaupt lassen, daß sie darauf aus ist, die Kunst zu
bereichern, nicht blos mit neuen Formen, sondern auch mit neuen Fächern.
So hat sie neuerdings der Photographie den Ritterschlag ertheilt, der sie


auf der Akademie Meisterwerke copirt werden — die eigentliche Feuerprobe für
den jungen Maler, die er bestehen muh, um in die Welt der Kunst einzutreten
und aus dem Schüler zum Meister zu werden —, daß ihr Zögling den Raphael,
Tizian und Rubens anders als von, Hörensagen oder durch die oberflächliche
Bekanntschaft einiger Galcriebcsuche kenne, davon hat sich bis jetzt eine sichere
Spur nirgends auffinden lassen.

Wie es mit dem Unterricht in der Plastik und Architektur bestellt ist,
darüber können wir uns um so kürzer fassen, als, wie das die Zeit so mit sich
bringt, diese beiden Fächer mehr in den Hintergrund der Schule treten. Auch
gilt für den jungen Bildhauer, was von dem Zeichnenuntcrricht und dem Stu¬
dium des Nackten oben bemerkt ist. Was die Lehrer der Sculptur anlangt,
so wird sich bei Gelegenheit der neuen Münchener Monumente zeigen, daß der
Eine, seinen Werken nach zu urtheilen, schwerlich im Stande ist, dem Schüler
das lebendige Verständniß der Form, sei es nach der Natur oder nach der An¬
tike, auszuschließen. Eine eigene Classe ist — wie in Bayern begreiflich —
der kirchlichen Sculptur gewidmet. Sie steht unter einem Mann von Talent,
der aber natürlich in die Bildwerke, auch in ihre Form, einen eigenthümlich
christlichen, ins Gothische hinüberspielenden Ausdruck zu bringen und demnach
seine Schüler so zu unterrichten sucht, wie wenn es neben dem ein für alle
Mal mustergiltigen Stil der antiken Plastik noch jetzt eine besondere schulgerechte
Weise katholischer' Bildnerei gäbe. In der Architekturschule ist unseres Wissens
der lebendige organische Zusammenhang der classischen Formen, wie er in den
Meisterwerken der großen Epochen als sichtbares Borbild erhalten ist, kein Ge¬
genstand des Unterrichts. Dagegen ist seit mehren Jahren der „moderne Bau¬
stil" ein eigener Lehrgegenstand unter einem besonderen Professor, und hier bleibt
uns nur übrig, den Lehrer zu bewundern, der sich den Mann fühlt, das der
neuen Baukunst eigenthümliche Mißverständniß der überlieferten Formen und
Gesetze und ihre sinnlose abenteuerliche Vermischung, in ein System gebracht,
der jugendlichen Phantasie einleuchtend und begreiflich zu machen.

Doch wir erinnern uns ja, daß eines der merkwürdigsten Lebenszeichen,
welches die Münchener Akademie von sich gegeben, in dem Programm des Jahres
1851 bestand, das nicht blos die architektonische Aufgabe unserer Zeit, „eine
neue Bauart zu finden", mit unwidersprcchlichen Gründen darthat, son¬
dern auch die Mittel und Wege zu ihrer Lösung bezeichnete und so den neuen
Baustil förmlich und feierlich in die Kunstgeschichte einführte (das 'Nähere in
den Artikeln über „die Münchner Maximiliansstraßc und den modernen Baustil"
im Jahrgang von 1863 dieser Blätter). Das rühmliche Zeugniß muß
man jener Körperschaft überhaupt lassen, daß sie darauf aus ist, die Kunst zu
bereichern, nicht blos mit neuen Formen, sondern auch mit neuen Fächern.
So hat sie neuerdings der Photographie den Ritterschlag ertheilt, der sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/106>, abgerufen am 23.07.2024.