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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Nebeneinander der Formen zu bewahren. Der Lehrer hat ihm zu zeigen, wie
sich einerseits in der Verbindung derselben und in ihren Uebergängen der innere
organische Bau ausspricht und der Umriß nichts anderes ist als die Grenze
dieser Verhältnisse, wie andererseits in der Breite der Behandlung, der Ver¬
einfachung der Natur, dem Hervortreten der Hauptzüge, in der klaren Verbin¬
dung und Trennung der Glieder, endlich dem eigenthümlichen Fluß der das
Leben aussprechenden Bewegung sich die vollendete Anschauung der classischen
Kunst ausspricht. Glaubt man, daß das die beiden Zeichnungsprofessorcn zu
lehren vermögen, welche ver Eine, ein Schüler von Cornelius, der Andere --
der als Lehrer in der tüchtigen sichern Führung des Strichs immerhin sein
Verdienst haben mag -- von Schmorr, beide mit der mangelhaften Kunstbil¬
dung behaftet, die wir an jenen Schulen kennen, sich selber das nicht haben
erwerben tonnen, was sie Ander" mittheilen sollen? Von den Bildern des
Einen -- der Andere hat wenig producirt -- wollen wir nicht einmal reden, da
wir es hier nur mit dem Lehrer zu thun haben. Doch wird sich auch unseres
Wissens darum nicht gekümmert, ob dem Schüler bei seinen Zeichnungen das
Verständniß des Körperbauesund der classischen Formenanschauung aufgehe, wenn
nur das Gypsmodell in sauberen Strichen und ziemlich treu auf der Papicrflächc
nachgemacht ist. Wie es dann dem Zögling der Natur gegenüber "im Kopf
und Busen bang" wird, er sich nicht zu rathen und zu helfen weiß, läßt sich
denken. Auf den Zeichenunterricht nach der Antike folgt die Malclasse, die
nun vollends auf den Unverstand errichtet ist, daß "die Maltechnik" -- der sinn¬
lose Ausdruck ist nicht blos unter den Schülern , auch unter Künstlern gäng und
gäbe -- die doch ihrer Natur nach an sich unfaßbar ist, von der künstlerischen An¬
schauung und Phantasie, den großen Meistern, welche die Malerei als solche ge¬
schaffen und ausgebildet haben, sich absondern und sich ebenso gut wie das
Farbenreiber- und mischen überliefern lasse. Noch weniger als die Zeich¬
nung läßt sich ja die Färbung von der eigenthümlichen Auffassung des Künstlers
trennen; in ihr spricht sich jene geheimnißvolle Weit der Seelenstimmungen,
andrerseits des Licht- und Luftlebens in einer Unendlichkeit von Tönen aus und
nur in diesem Zusammenhang mit dem innerlichen Leben sowohl des Künstlers
als der Natur hat sie Sinn und Charakter. Ihre handwerksmäßige Grund¬
lage aber lernt sich leicht und rasch unter dem Meister. Wie es sich in dieser
so beschaffenen Classe mit dem Lehrer -- dessen Fähigkeit übrigens besonders
zweifelhaft ist -- verhält, kommt da kaum noch in Anschlag. Neben diesen
beiden Classen geht das Zeichnen und Malen nach der lebenden Natur, nach
dem Nackten, in Winterabendstunden beiher. Davon abgesehen, daß sich hier
die Uebelstände der Zeichnenciasse wiederholen, wird dieser ganze Zweig viel
zu beiläufig und als Nebensache betrieben. Schon früher ist bemerkt, daß das
Studium nach den großen Vorbildern immer von dem der Natur begleitet sein


Nebeneinander der Formen zu bewahren. Der Lehrer hat ihm zu zeigen, wie
sich einerseits in der Verbindung derselben und in ihren Uebergängen der innere
organische Bau ausspricht und der Umriß nichts anderes ist als die Grenze
dieser Verhältnisse, wie andererseits in der Breite der Behandlung, der Ver¬
einfachung der Natur, dem Hervortreten der Hauptzüge, in der klaren Verbin¬
dung und Trennung der Glieder, endlich dem eigenthümlichen Fluß der das
Leben aussprechenden Bewegung sich die vollendete Anschauung der classischen
Kunst ausspricht. Glaubt man, daß das die beiden Zeichnungsprofessorcn zu
lehren vermögen, welche ver Eine, ein Schüler von Cornelius, der Andere —
der als Lehrer in der tüchtigen sichern Führung des Strichs immerhin sein
Verdienst haben mag — von Schmorr, beide mit der mangelhaften Kunstbil¬
dung behaftet, die wir an jenen Schulen kennen, sich selber das nicht haben
erwerben tonnen, was sie Ander» mittheilen sollen? Von den Bildern des
Einen — der Andere hat wenig producirt — wollen wir nicht einmal reden, da
wir es hier nur mit dem Lehrer zu thun haben. Doch wird sich auch unseres
Wissens darum nicht gekümmert, ob dem Schüler bei seinen Zeichnungen das
Verständniß des Körperbauesund der classischen Formenanschauung aufgehe, wenn
nur das Gypsmodell in sauberen Strichen und ziemlich treu auf der Papicrflächc
nachgemacht ist. Wie es dann dem Zögling der Natur gegenüber „im Kopf
und Busen bang" wird, er sich nicht zu rathen und zu helfen weiß, läßt sich
denken. Auf den Zeichenunterricht nach der Antike folgt die Malclasse, die
nun vollends auf den Unverstand errichtet ist, daß „die Maltechnik" — der sinn¬
lose Ausdruck ist nicht blos unter den Schülern , auch unter Künstlern gäng und
gäbe — die doch ihrer Natur nach an sich unfaßbar ist, von der künstlerischen An¬
schauung und Phantasie, den großen Meistern, welche die Malerei als solche ge¬
schaffen und ausgebildet haben, sich absondern und sich ebenso gut wie das
Farbenreiber- und mischen überliefern lasse. Noch weniger als die Zeich¬
nung läßt sich ja die Färbung von der eigenthümlichen Auffassung des Künstlers
trennen; in ihr spricht sich jene geheimnißvolle Weit der Seelenstimmungen,
andrerseits des Licht- und Luftlebens in einer Unendlichkeit von Tönen aus und
nur in diesem Zusammenhang mit dem innerlichen Leben sowohl des Künstlers
als der Natur hat sie Sinn und Charakter. Ihre handwerksmäßige Grund¬
lage aber lernt sich leicht und rasch unter dem Meister. Wie es sich in dieser
so beschaffenen Classe mit dem Lehrer — dessen Fähigkeit übrigens besonders
zweifelhaft ist — verhält, kommt da kaum noch in Anschlag. Neben diesen
beiden Classen geht das Zeichnen und Malen nach der lebenden Natur, nach
dem Nackten, in Winterabendstunden beiher. Davon abgesehen, daß sich hier
die Uebelstände der Zeichnenciasse wiederholen, wird dieser ganze Zweig viel
zu beiläufig und als Nebensache betrieben. Schon früher ist bemerkt, daß das
Studium nach den großen Vorbildern immer von dem der Natur begleitet sein


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[0104] Nebeneinander der Formen zu bewahren. Der Lehrer hat ihm zu zeigen, wie sich einerseits in der Verbindung derselben und in ihren Uebergängen der innere organische Bau ausspricht und der Umriß nichts anderes ist als die Grenze dieser Verhältnisse, wie andererseits in der Breite der Behandlung, der Ver¬ einfachung der Natur, dem Hervortreten der Hauptzüge, in der klaren Verbin¬ dung und Trennung der Glieder, endlich dem eigenthümlichen Fluß der das Leben aussprechenden Bewegung sich die vollendete Anschauung der classischen Kunst ausspricht. Glaubt man, daß das die beiden Zeichnungsprofessorcn zu lehren vermögen, welche ver Eine, ein Schüler von Cornelius, der Andere — der als Lehrer in der tüchtigen sichern Führung des Strichs immerhin sein Verdienst haben mag — von Schmorr, beide mit der mangelhaften Kunstbil¬ dung behaftet, die wir an jenen Schulen kennen, sich selber das nicht haben erwerben tonnen, was sie Ander» mittheilen sollen? Von den Bildern des Einen — der Andere hat wenig producirt — wollen wir nicht einmal reden, da wir es hier nur mit dem Lehrer zu thun haben. Doch wird sich auch unseres Wissens darum nicht gekümmert, ob dem Schüler bei seinen Zeichnungen das Verständniß des Körperbauesund der classischen Formenanschauung aufgehe, wenn nur das Gypsmodell in sauberen Strichen und ziemlich treu auf der Papicrflächc nachgemacht ist. Wie es dann dem Zögling der Natur gegenüber „im Kopf und Busen bang" wird, er sich nicht zu rathen und zu helfen weiß, läßt sich denken. Auf den Zeichenunterricht nach der Antike folgt die Malclasse, die nun vollends auf den Unverstand errichtet ist, daß „die Maltechnik" — der sinn¬ lose Ausdruck ist nicht blos unter den Schülern , auch unter Künstlern gäng und gäbe — die doch ihrer Natur nach an sich unfaßbar ist, von der künstlerischen An¬ schauung und Phantasie, den großen Meistern, welche die Malerei als solche ge¬ schaffen und ausgebildet haben, sich absondern und sich ebenso gut wie das Farbenreiber- und mischen überliefern lasse. Noch weniger als die Zeich¬ nung läßt sich ja die Färbung von der eigenthümlichen Auffassung des Künstlers trennen; in ihr spricht sich jene geheimnißvolle Weit der Seelenstimmungen, andrerseits des Licht- und Luftlebens in einer Unendlichkeit von Tönen aus und nur in diesem Zusammenhang mit dem innerlichen Leben sowohl des Künstlers als der Natur hat sie Sinn und Charakter. Ihre handwerksmäßige Grund¬ lage aber lernt sich leicht und rasch unter dem Meister. Wie es sich in dieser so beschaffenen Classe mit dem Lehrer — dessen Fähigkeit übrigens besonders zweifelhaft ist — verhält, kommt da kaum noch in Anschlag. Neben diesen beiden Classen geht das Zeichnen und Malen nach der lebenden Natur, nach dem Nackten, in Winterabendstunden beiher. Davon abgesehen, daß sich hier die Uebelstände der Zeichnenciasse wiederholen, wird dieser ganze Zweig viel zu beiläufig und als Nebensache betrieben. Schon früher ist bemerkt, daß das Studium nach den großen Vorbildern immer von dem der Natur begleitet sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/104>, abgerufen am 23.07.2024.