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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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folg suchen mußten: da that sich endlich in der Malerei wenigstens eine Schule
auf, die wieder begriff, daß die Erscheinung, die Gestalt und ihr sichtbares
Leben in der Kunst nicht die Nebensache, nicht ein beliebiger Lappen sei, welcher
der Idee oder dem Stoff des Kunstwerks, weil das nun einmal so herkömmlich,
müsse umgehängt werden: Piloty und seine Anhänger. Doch auch sie griffen
nicht zu den künstlerischen Vorbildern zurück, sondern meinten sich nur an die
äußere Form des Urbildes, die Natur, halten zu müssen, angeregt zudem durch
den glänzenden Erfolg der neuen belgischen Versuche, von denen oben die Rede
war. Da die Münchener Malerei mehr noch als die Form die farbige Erschei¬
nung der Dinge vernachlässigt hatte und von ihren schemenhaften blutlosen
Schatten der äußere natürliche Schein des Lebens gewichen war, so war die
neue Schule vor allem darauf bedacht, diesem, der greifbaren, vom Licht des
Tages beschienenen und in ihrer farbigen Bestimmtheit hell hervortretenden Ober¬
fläche der Wirklichkeit zu ihrem Rechte zu verhelfen. Man siel also wie immer,
wo eine Richtung einseitig fortgetrieben eine neue als Gegensatz hervorruft,
von einem Extrem ins andere: Von der Idee und dem bedeutsamen Object der
Darstellung in den körperhaften, vom Inhalte abgezogenen Schein der Realität.
Wie viel die Kunst bei diesem schroffen Wechsel gewann, sollte sich erst all-
mälig zeigen; daß sie auch jetzt nicht die Bildung ^nach der mustergiltigen
Kunst zu ihrer Angelegenheit machte, das war von vornherein ausgemacht, da
ja das Abbild der äußeren, sichtbaren Wirklichkeit, von ihr selber durch die
künstlerische Hand treu und mit schlagender Wahrheit abzunehmen, nach dem
Programm der Schule das neue Ideal war.

Doch indem wir von dem Mangel der Kunstbildung und ihrer Pflege in
München reden, scheinen wir eines ganz übersehen zu haben: die Wirksamkeit
der Akademie der Künste. Die Akademien haben ja von Staatswegen die
Ausgabe übernommen, den jungen Talenten nicht blos die wissenschaftliche Vor¬
bereitung zu geben, welche sie zu ihrer Kunst bedürfen, sondern auch im gründ¬
lichen und allseitigen Unterricht die Mittel der Darstellung zu überliefern, welche
durch die reichen Kunstentwickclungcn vergangener Epochen ausgebildet auf
unsere Zeit gekommen sind. So ist durch ihre Errichtung die Nothwendigkeit
der Schule und der Durchbildung nach den von großen Mustern gegebenen
Regeln thatsächlich anerkannt; gerade weil die neue Zeit sich wohl bewußt ist,
daß sie den im Lauf der Jahrhunderte angehäuften Bildungsstoff in sich auf¬
zunehmen und zu verarbeiten habe, hat sie das Lernen unter einem einzelnen,
selbstgewählten Meister unzureichend gefunden und jene Anstalten gegründet,
welche die Summe der überlieferten Kenntnisse und die entwickelte Technik, in
ein faßbares System gebracht, dem Schüler mitzutheilen haben. Hier haben
wir nicht auseinanderzusetzen und zudem ist bekannt genug, wie durch diese
Institute, was auf der einen Seite gewonnen wurde, auf der andern verloren


folg suchen mußten: da that sich endlich in der Malerei wenigstens eine Schule
auf, die wieder begriff, daß die Erscheinung, die Gestalt und ihr sichtbares
Leben in der Kunst nicht die Nebensache, nicht ein beliebiger Lappen sei, welcher
der Idee oder dem Stoff des Kunstwerks, weil das nun einmal so herkömmlich,
müsse umgehängt werden: Piloty und seine Anhänger. Doch auch sie griffen
nicht zu den künstlerischen Vorbildern zurück, sondern meinten sich nur an die
äußere Form des Urbildes, die Natur, halten zu müssen, angeregt zudem durch
den glänzenden Erfolg der neuen belgischen Versuche, von denen oben die Rede
war. Da die Münchener Malerei mehr noch als die Form die farbige Erschei¬
nung der Dinge vernachlässigt hatte und von ihren schemenhaften blutlosen
Schatten der äußere natürliche Schein des Lebens gewichen war, so war die
neue Schule vor allem darauf bedacht, diesem, der greifbaren, vom Licht des
Tages beschienenen und in ihrer farbigen Bestimmtheit hell hervortretenden Ober¬
fläche der Wirklichkeit zu ihrem Rechte zu verhelfen. Man siel also wie immer,
wo eine Richtung einseitig fortgetrieben eine neue als Gegensatz hervorruft,
von einem Extrem ins andere: Von der Idee und dem bedeutsamen Object der
Darstellung in den körperhaften, vom Inhalte abgezogenen Schein der Realität.
Wie viel die Kunst bei diesem schroffen Wechsel gewann, sollte sich erst all-
mälig zeigen; daß sie auch jetzt nicht die Bildung ^nach der mustergiltigen
Kunst zu ihrer Angelegenheit machte, das war von vornherein ausgemacht, da
ja das Abbild der äußeren, sichtbaren Wirklichkeit, von ihr selber durch die
künstlerische Hand treu und mit schlagender Wahrheit abzunehmen, nach dem
Programm der Schule das neue Ideal war.

Doch indem wir von dem Mangel der Kunstbildung und ihrer Pflege in
München reden, scheinen wir eines ganz übersehen zu haben: die Wirksamkeit
der Akademie der Künste. Die Akademien haben ja von Staatswegen die
Ausgabe übernommen, den jungen Talenten nicht blos die wissenschaftliche Vor¬
bereitung zu geben, welche sie zu ihrer Kunst bedürfen, sondern auch im gründ¬
lichen und allseitigen Unterricht die Mittel der Darstellung zu überliefern, welche
durch die reichen Kunstentwickclungcn vergangener Epochen ausgebildet auf
unsere Zeit gekommen sind. So ist durch ihre Errichtung die Nothwendigkeit
der Schule und der Durchbildung nach den von großen Mustern gegebenen
Regeln thatsächlich anerkannt; gerade weil die neue Zeit sich wohl bewußt ist,
daß sie den im Lauf der Jahrhunderte angehäuften Bildungsstoff in sich auf¬
zunehmen und zu verarbeiten habe, hat sie das Lernen unter einem einzelnen,
selbstgewählten Meister unzureichend gefunden und jene Anstalten gegründet,
welche die Summe der überlieferten Kenntnisse und die entwickelte Technik, in
ein faßbares System gebracht, dem Schüler mitzutheilen haben. Hier haben
wir nicht auseinanderzusetzen und zudem ist bekannt genug, wie durch diese
Institute, was auf der einen Seite gewonnen wurde, auf der andern verloren


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[0102] folg suchen mußten: da that sich endlich in der Malerei wenigstens eine Schule auf, die wieder begriff, daß die Erscheinung, die Gestalt und ihr sichtbares Leben in der Kunst nicht die Nebensache, nicht ein beliebiger Lappen sei, welcher der Idee oder dem Stoff des Kunstwerks, weil das nun einmal so herkömmlich, müsse umgehängt werden: Piloty und seine Anhänger. Doch auch sie griffen nicht zu den künstlerischen Vorbildern zurück, sondern meinten sich nur an die äußere Form des Urbildes, die Natur, halten zu müssen, angeregt zudem durch den glänzenden Erfolg der neuen belgischen Versuche, von denen oben die Rede war. Da die Münchener Malerei mehr noch als die Form die farbige Erschei¬ nung der Dinge vernachlässigt hatte und von ihren schemenhaften blutlosen Schatten der äußere natürliche Schein des Lebens gewichen war, so war die neue Schule vor allem darauf bedacht, diesem, der greifbaren, vom Licht des Tages beschienenen und in ihrer farbigen Bestimmtheit hell hervortretenden Ober¬ fläche der Wirklichkeit zu ihrem Rechte zu verhelfen. Man siel also wie immer, wo eine Richtung einseitig fortgetrieben eine neue als Gegensatz hervorruft, von einem Extrem ins andere: Von der Idee und dem bedeutsamen Object der Darstellung in den körperhaften, vom Inhalte abgezogenen Schein der Realität. Wie viel die Kunst bei diesem schroffen Wechsel gewann, sollte sich erst all- mälig zeigen; daß sie auch jetzt nicht die Bildung ^nach der mustergiltigen Kunst zu ihrer Angelegenheit machte, das war von vornherein ausgemacht, da ja das Abbild der äußeren, sichtbaren Wirklichkeit, von ihr selber durch die künstlerische Hand treu und mit schlagender Wahrheit abzunehmen, nach dem Programm der Schule das neue Ideal war. Doch indem wir von dem Mangel der Kunstbildung und ihrer Pflege in München reden, scheinen wir eines ganz übersehen zu haben: die Wirksamkeit der Akademie der Künste. Die Akademien haben ja von Staatswegen die Ausgabe übernommen, den jungen Talenten nicht blos die wissenschaftliche Vor¬ bereitung zu geben, welche sie zu ihrer Kunst bedürfen, sondern auch im gründ¬ lichen und allseitigen Unterricht die Mittel der Darstellung zu überliefern, welche durch die reichen Kunstentwickclungcn vergangener Epochen ausgebildet auf unsere Zeit gekommen sind. So ist durch ihre Errichtung die Nothwendigkeit der Schule und der Durchbildung nach den von großen Mustern gegebenen Regeln thatsächlich anerkannt; gerade weil die neue Zeit sich wohl bewußt ist, daß sie den im Lauf der Jahrhunderte angehäuften Bildungsstoff in sich auf¬ zunehmen und zu verarbeiten habe, hat sie das Lernen unter einem einzelnen, selbstgewählten Meister unzureichend gefunden und jene Anstalten gegründet, welche die Summe der überlieferten Kenntnisse und die entwickelte Technik, in ein faßbares System gebracht, dem Schüler mitzutheilen haben. Hier haben wir nicht auseinanderzusetzen und zudem ist bekannt genug, wie durch diese Institute, was auf der einen Seite gewonnen wurde, auf der andern verloren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/102>, abgerufen am 23.07.2024.