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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Kirche nachgiebig und dem schwachen Heldensinn zu Gute Wagenräder ein¬
segnete.

Man lese es selbst nach in Höckers Geschichten des Mosellandes 415,
wie alljährlich zu Trier die Metzgcrzunft in der Fastenzeit ein Feuerrad vom
Gipfel des Paulsberges in die Mosel hinabließ unter dem Geläute sämmtlicher
Kirchen. Die berittenen Metzger feuerten aus ihren Geschossen auf das flam¬
mende Rad und erhielten, wenn es vollends in die Mosel rollte, vom trierer
Bischof ein Fuder Wein und von den Webern der Stadt einen Zunftschmauß.
Jetzt erst, nachdem uns der Sinn und Zweck dämmert, welcher in den Sitten
und Bräuchen unsrer Ahnen lag, werden auch die zu ihnen passenden Sagen
lichtvoller und nothwendiger; und so bekommen, wie unser verdienstvoller Mytho-
graph Schwartz in Berlin sagt, die Bräuche durch die Mythen einen ungeahnten
natürlichen Hintergrund. Wenn in Thüringen die allbekannte Frau Berchta
mit den Heimchen den Ackerpflug herbeischleppt, weil man ihr das daran Ge¬
brochene neu hämmern soll; wenn in Mecklenburg die Frau Gode den Anker-
e'recht Nachts aus dem Schlafe holt, weil das Rad an ihrem Wagen abgelaufen
ist; dann ist eben auch die eine Sonnenwende erfüllt und abgelaufen. Und
wenn dann das Gestirn stille zu stehen scheint, dann soll auch der Mensch
feiertägig ruhen, nicht waschen, backen und Alltagsspeise essen; kein Spinnrad
drehen, sonst mißräth die junge Leinsaat und Frau Holle zerzaust den Spinn¬
rocken; nicht das Rad des Schiebkarrcns oder Düngerwagens bewegen (der
Pflug ruht zu dieser Zeit ohnedies), sonst erkrankt das Viel) im neuen Jahre.
Das ist das Gebot zur Zeit der Zwölften, die wegen der verhofften Anwesen¬
heit der Götter dem Menschen zur strengsten Heiligung anempfohlen ist. Bei
diesem obersten und weihevollsten aller Sonntage heißt es daher im altdänischen
Liede Vonved:

Die Sonn' ist runder als ein Rad,

Sind aber die sieben Wintermonate vorüber und es läßt sich das erste Rollen
der Frühlingsgewitter hören, dann zimmert sich der alte Gott mit der Donneraxt
sein neues Zeitrad für die Sommersonnenn?ende; daher pflegt der ditmarsische
Bauer beim rollenden Donner zu sagen (bei Müllenhofs S. 338): lÄkrt
as Olcls all veääLr as. daven urur Kant mit hör Lx arm" unä. Alsdann
thun wir dasselbe den Göttern im Himmel nach: Wir legen dem nistenden
Storche ein Rad aufs Haus- oder Kirchendach, damit er dies vor Wetter¬
schlag sichere; ein kleineres, aus einem bloßen Erlenbande gehauen, wohl¬
beschlagen mit Klapperblechen; dient unseren Knaben, sobald die Wege wie¬
der schneefrei sind, als Springrad und die Scheffler- und Küferzunft, wie
diejenige zu München, beginnt ihren Zunfttanz durch die Stadt zu machen;
sie tanzt den Großen Achter; der Reifschwinger hat drei volle Weingläser auf


Kirche nachgiebig und dem schwachen Heldensinn zu Gute Wagenräder ein¬
segnete.

Man lese es selbst nach in Höckers Geschichten des Mosellandes 415,
wie alljährlich zu Trier die Metzgcrzunft in der Fastenzeit ein Feuerrad vom
Gipfel des Paulsberges in die Mosel hinabließ unter dem Geläute sämmtlicher
Kirchen. Die berittenen Metzger feuerten aus ihren Geschossen auf das flam¬
mende Rad und erhielten, wenn es vollends in die Mosel rollte, vom trierer
Bischof ein Fuder Wein und von den Webern der Stadt einen Zunftschmauß.
Jetzt erst, nachdem uns der Sinn und Zweck dämmert, welcher in den Sitten
und Bräuchen unsrer Ahnen lag, werden auch die zu ihnen passenden Sagen
lichtvoller und nothwendiger; und so bekommen, wie unser verdienstvoller Mytho-
graph Schwartz in Berlin sagt, die Bräuche durch die Mythen einen ungeahnten
natürlichen Hintergrund. Wenn in Thüringen die allbekannte Frau Berchta
mit den Heimchen den Ackerpflug herbeischleppt, weil man ihr das daran Ge¬
brochene neu hämmern soll; wenn in Mecklenburg die Frau Gode den Anker-
e'recht Nachts aus dem Schlafe holt, weil das Rad an ihrem Wagen abgelaufen
ist; dann ist eben auch die eine Sonnenwende erfüllt und abgelaufen. Und
wenn dann das Gestirn stille zu stehen scheint, dann soll auch der Mensch
feiertägig ruhen, nicht waschen, backen und Alltagsspeise essen; kein Spinnrad
drehen, sonst mißräth die junge Leinsaat und Frau Holle zerzaust den Spinn¬
rocken; nicht das Rad des Schiebkarrcns oder Düngerwagens bewegen (der
Pflug ruht zu dieser Zeit ohnedies), sonst erkrankt das Viel) im neuen Jahre.
Das ist das Gebot zur Zeit der Zwölften, die wegen der verhofften Anwesen¬
heit der Götter dem Menschen zur strengsten Heiligung anempfohlen ist. Bei
diesem obersten und weihevollsten aller Sonntage heißt es daher im altdänischen
Liede Vonved:

Die Sonn' ist runder als ein Rad,

Sind aber die sieben Wintermonate vorüber und es läßt sich das erste Rollen
der Frühlingsgewitter hören, dann zimmert sich der alte Gott mit der Donneraxt
sein neues Zeitrad für die Sommersonnenn?ende; daher pflegt der ditmarsische
Bauer beim rollenden Donner zu sagen (bei Müllenhofs S. 338): lÄkrt
as Olcls all veääLr as. daven urur Kant mit hör Lx arm« unä. Alsdann
thun wir dasselbe den Göttern im Himmel nach: Wir legen dem nistenden
Storche ein Rad aufs Haus- oder Kirchendach, damit er dies vor Wetter¬
schlag sichere; ein kleineres, aus einem bloßen Erlenbande gehauen, wohl¬
beschlagen mit Klapperblechen; dient unseren Knaben, sobald die Wege wie¬
der schneefrei sind, als Springrad und die Scheffler- und Küferzunft, wie
diejenige zu München, beginnt ihren Zunfttanz durch die Stadt zu machen;
sie tanzt den Großen Achter; der Reifschwinger hat drei volle Weingläser auf


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[0504] Kirche nachgiebig und dem schwachen Heldensinn zu Gute Wagenräder ein¬ segnete. Man lese es selbst nach in Höckers Geschichten des Mosellandes 415, wie alljährlich zu Trier die Metzgcrzunft in der Fastenzeit ein Feuerrad vom Gipfel des Paulsberges in die Mosel hinabließ unter dem Geläute sämmtlicher Kirchen. Die berittenen Metzger feuerten aus ihren Geschossen auf das flam¬ mende Rad und erhielten, wenn es vollends in die Mosel rollte, vom trierer Bischof ein Fuder Wein und von den Webern der Stadt einen Zunftschmauß. Jetzt erst, nachdem uns der Sinn und Zweck dämmert, welcher in den Sitten und Bräuchen unsrer Ahnen lag, werden auch die zu ihnen passenden Sagen lichtvoller und nothwendiger; und so bekommen, wie unser verdienstvoller Mytho- graph Schwartz in Berlin sagt, die Bräuche durch die Mythen einen ungeahnten natürlichen Hintergrund. Wenn in Thüringen die allbekannte Frau Berchta mit den Heimchen den Ackerpflug herbeischleppt, weil man ihr das daran Ge¬ brochene neu hämmern soll; wenn in Mecklenburg die Frau Gode den Anker- e'recht Nachts aus dem Schlafe holt, weil das Rad an ihrem Wagen abgelaufen ist; dann ist eben auch die eine Sonnenwende erfüllt und abgelaufen. Und wenn dann das Gestirn stille zu stehen scheint, dann soll auch der Mensch feiertägig ruhen, nicht waschen, backen und Alltagsspeise essen; kein Spinnrad drehen, sonst mißräth die junge Leinsaat und Frau Holle zerzaust den Spinn¬ rocken; nicht das Rad des Schiebkarrcns oder Düngerwagens bewegen (der Pflug ruht zu dieser Zeit ohnedies), sonst erkrankt das Viel) im neuen Jahre. Das ist das Gebot zur Zeit der Zwölften, die wegen der verhofften Anwesen¬ heit der Götter dem Menschen zur strengsten Heiligung anempfohlen ist. Bei diesem obersten und weihevollsten aller Sonntage heißt es daher im altdänischen Liede Vonved: Die Sonn' ist runder als ein Rad, Sind aber die sieben Wintermonate vorüber und es läßt sich das erste Rollen der Frühlingsgewitter hören, dann zimmert sich der alte Gott mit der Donneraxt sein neues Zeitrad für die Sommersonnenn?ende; daher pflegt der ditmarsische Bauer beim rollenden Donner zu sagen (bei Müllenhofs S. 338): lÄkrt as Olcls all veääLr as. daven urur Kant mit hör Lx arm« unä. Alsdann thun wir dasselbe den Göttern im Himmel nach: Wir legen dem nistenden Storche ein Rad aufs Haus- oder Kirchendach, damit er dies vor Wetter¬ schlag sichere; ein kleineres, aus einem bloßen Erlenbande gehauen, wohl¬ beschlagen mit Klapperblechen; dient unseren Knaben, sobald die Wege wie¬ der schneefrei sind, als Springrad und die Scheffler- und Küferzunft, wie diejenige zu München, beginnt ihren Zunfttanz durch die Stadt zu machen; sie tanzt den Großen Achter; der Reifschwinger hat drei volle Weingläser auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/504>, abgerufen am 01.10.2024.