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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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ist, sich nicht majorisircn zulassen, so bleibt ihnen nichts übrig, als in Frankfurt im
Allgemeinen eine abwehrende, negative Haltung einzunehmen. Am Bundestage aber
muß Oestreich unter gewöhnlichen Umständen das Bestreben der Mittelstaaten.
Preußen zu majorisiren, theilen; denn es bedarf der Mittelstaatcn gegen Preu¬
ßen. So wird einerseits die Bedeutung der Mittelstaatcn auf eine Höhe hinauf¬
geschraubt, die ihnen als einer in allen positiven, das Wohl Deutschlands be¬
treffenden Fragen durchaus uneinigen, zusammenhangslosen Masse entfernt nicht
zukommt, andererseits wird Oestreich, das auf seine Verbündeten Rücksicht zu
nehmen hat, jede Verständigung mit Preußen geradezu unmöglich gemacht.
Wollen die beiden Mächte sich überhaupt in einem einzelnen Falle ver¬
ständigen, so haben sie Macht gegen Macht, ohne jede Rücksicht auf den Bun¬
destag mit einander zu unterhandeln. Nur auf diesem Wege können sie ihre
Interessen wahren, nur auf diesem Wege können die wirklichen Machtverhält-
nisse (und die deutsche Frage ist nun einmal eine Machtfrage) zur gebüh¬
renden Geltung kommen.

In der dänisch-deutschen Frage ist dieser Weg betreten worden, und Deutsch¬
land hat kein Recht, sich über diese Wendung zu beklagen: denn die Frage der
Herzogthümer ist auf diesem Wege im nationalen Sinne gelöst worden. Daß
der Sieg der deutschen Sache zugleich die Ohnmacht des Bundestages bewiesen
hat, erhöht den Werth des Erfolges. Die Erfolge der gemeinsamen Action
haben denn auch die Ansicht aufkommen lassen, daß die preußisch-deutsche Allianz
nicht eine vorübergehende Thatsache, sondern die Einleitung zu einem dauernden
Zustande, gewissermaßen die Lösung der deutschen Frage, die normale Form der
deutschen Einheit sei. So weit diese Ansicht von offenkundiger Parteitendcnzcn
eingegeben ist, verdient sie keine Berücksichtigung; in dem Sinn einer Assecu-
ranzanstalt der conservativen Interessen ist die preußisch-östreichische Allianz nur
ein Schaustück mehr in dem Raritätencabinet der feudalen Partei, ein Phan¬
tom, welches nur in sehr erregbaren Phantasien Hoffnungen oder Befürchtungen
erwecken kann. Indessen läßt sich nicht in Abrede stellen, daß auch von einem
freieren politischen Standpunkte aus das preußisch-östreichische Bündniß als eine
dauernde Errungenschaft angesehen wird, und daß die Thatsache einer einma¬
ligen mit Erfolg gekrönten Verbindung nicht blos von der feudalen Partei


Bundcspolitit uns treffe"") geschildert scheint. -- Wenn der Verfasser eine energische Vertrags-
thntigkcit Preußens fordert, so stimmen wir damit durchaus überein. Auch daß derselbe
eine Steigerung des preußischen Selbstbewußtseins und der Preußischen Spannkraft fordert,
kann man billigen. Nur möchten wir doch dringend warnen, dies Selbstbewußtsein nicht
bis zum Particularismus, zum Vergessen des Deutschthums zu steigern. Will Preußen den
Particularismus durch den Particularismus bekämpfen, so kommen wir, ohne es selbst zu
wollen, sehr bald bis zur Annexionspolitik, die. wenn sie überhaupt Erfolg haben könnte,
nur zu einer Theilung Deutschlands führen würde.

ist, sich nicht majorisircn zulassen, so bleibt ihnen nichts übrig, als in Frankfurt im
Allgemeinen eine abwehrende, negative Haltung einzunehmen. Am Bundestage aber
muß Oestreich unter gewöhnlichen Umständen das Bestreben der Mittelstaaten.
Preußen zu majorisiren, theilen; denn es bedarf der Mittelstaatcn gegen Preu¬
ßen. So wird einerseits die Bedeutung der Mittelstaatcn auf eine Höhe hinauf¬
geschraubt, die ihnen als einer in allen positiven, das Wohl Deutschlands be¬
treffenden Fragen durchaus uneinigen, zusammenhangslosen Masse entfernt nicht
zukommt, andererseits wird Oestreich, das auf seine Verbündeten Rücksicht zu
nehmen hat, jede Verständigung mit Preußen geradezu unmöglich gemacht.
Wollen die beiden Mächte sich überhaupt in einem einzelnen Falle ver¬
ständigen, so haben sie Macht gegen Macht, ohne jede Rücksicht auf den Bun¬
destag mit einander zu unterhandeln. Nur auf diesem Wege können sie ihre
Interessen wahren, nur auf diesem Wege können die wirklichen Machtverhält-
nisse (und die deutsche Frage ist nun einmal eine Machtfrage) zur gebüh¬
renden Geltung kommen.

In der dänisch-deutschen Frage ist dieser Weg betreten worden, und Deutsch¬
land hat kein Recht, sich über diese Wendung zu beklagen: denn die Frage der
Herzogthümer ist auf diesem Wege im nationalen Sinne gelöst worden. Daß
der Sieg der deutschen Sache zugleich die Ohnmacht des Bundestages bewiesen
hat, erhöht den Werth des Erfolges. Die Erfolge der gemeinsamen Action
haben denn auch die Ansicht aufkommen lassen, daß die preußisch-deutsche Allianz
nicht eine vorübergehende Thatsache, sondern die Einleitung zu einem dauernden
Zustande, gewissermaßen die Lösung der deutschen Frage, die normale Form der
deutschen Einheit sei. So weit diese Ansicht von offenkundiger Parteitendcnzcn
eingegeben ist, verdient sie keine Berücksichtigung; in dem Sinn einer Assecu-
ranzanstalt der conservativen Interessen ist die preußisch-östreichische Allianz nur
ein Schaustück mehr in dem Raritätencabinet der feudalen Partei, ein Phan¬
tom, welches nur in sehr erregbaren Phantasien Hoffnungen oder Befürchtungen
erwecken kann. Indessen läßt sich nicht in Abrede stellen, daß auch von einem
freieren politischen Standpunkte aus das preußisch-östreichische Bündniß als eine
dauernde Errungenschaft angesehen wird, und daß die Thatsache einer einma¬
ligen mit Erfolg gekrönten Verbindung nicht blos von der feudalen Partei


Bundcspolitit uns treffe»") geschildert scheint. — Wenn der Verfasser eine energische Vertrags-
thntigkcit Preußens fordert, so stimmen wir damit durchaus überein. Auch daß derselbe
eine Steigerung des preußischen Selbstbewußtseins und der Preußischen Spannkraft fordert,
kann man billigen. Nur möchten wir doch dringend warnen, dies Selbstbewußtsein nicht
bis zum Particularismus, zum Vergessen des Deutschthums zu steigern. Will Preußen den
Particularismus durch den Particularismus bekämpfen, so kommen wir, ohne es selbst zu
wollen, sehr bald bis zur Annexionspolitik, die. wenn sie überhaupt Erfolg haben könnte,
nur zu einer Theilung Deutschlands führen würde.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/450>, abgerufen am 22.07.2024.