Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber wie, wenn er. was nahe liegt, an die französische Schweiz dächte und
für deren Annexion die Unterschrift Preußens beanspruchte und erhielte? Und
wie. wenn Preußen, hiermit auf die Bahn französischer Gelüste gezogen und
dem Haß der Verletzten und der Furcht der Bedrohten preisgegeben, später ein
anderes naheliegendes Begehren Napoleons, den Wunsch nach Belgien, dem
Schutzbefohlenen Englands, zu unterstützen aufgefordert würde und auch darauf
einzugehen gezwungen wäre? Die Koalition gegen solches Gebahren würde
nicht lange auf sich warten lassen, und es ist mindestens sehr zweifelhaft, ob
Preußen dann das Feld behalten würde.

Die einzige Allianz, die Preußen nützt, ist die mit dem deutschen Volke,
und die sichert es sich durch ein gerechtes verfassungsmäßiges Regiment im
Innern und durch Eintreten für gefährdete oder verletzte deutsche Interessen
nach Außen hin wie für die Rechte der Völker in den einzelnen Bundesstaaten.
Der Feldjäger in Kassel, der Befreiungskrieg in Schleswig-Holstein waren
Aeußerungen dieser Art. Auch das Bciseitedrängen des Bundes, der gegen¬
wärtig factisch nicht vielmehr als ein Bund der Mittelstaaten ist, nützt, wenn
es mit Gelindigkcit geschieht, es erbittert wohl den blinden Particularismus.
aber es belehrt auch, daß gegen gewisse berechtigte Ansprüche der deutschen
Großmacht von Seiten dieses Particularismus nicht mehr anzukommen ist. Es
bereitet die Gemüther für ein positives Handeln, für die Erringung der preu¬
ßischen Hegemonie vor. Namentlich der süddeutsche Idealismus wird so all-
mälig zum Nachdenken über seine Phantasien gebracht werden und schließlich be¬
greifen, daß der preußische Staat eine Realität ist. die sich durch Resolutionen
von Volksversammlungen nicht wegdecretiren läßt, gleichviel ob diese Volks¬
versammlungen blos aus den ehrenwerthen Gevattern von Hinterbopfingen be-
stehn oder die Weisheit der Professoren von Erlangen oder München vertreten.
Nicht die Annexion der Herzogthümer ist von Preußen im Interesse Deutsch¬
lands, dessen Band es bildet, zu erstreben. Jene Realität würde dann nicht
als das, was sie ist, als eine wohlthätige, sondern als eine verhaßte empfunden
werden. Dagegen war niemals seit Langem ein Zeitpunkt günstiger, die Führer¬
schaft Deutschlands durch Preußen zu einer feststehenden Thatsache wenigstens
für einen Theil der betreffenden Staaten zu gestalten. Nicht die preußische
Monarchie um einen Zipfel Landes und eine Million Menschen zu vergrößern
ist die Aufgabe; denn diese Vergrößerung würde durch Verminderung der Ach.
tung vor Preußen und des Glaubens an seine Misston für Deutschland mehr
als aufgehoben werden. Es handelt sich vielmehr darum, zunächst an einem
einzelnen Fall den überzeugenden Beweis zu führen, daß der Wille der nord¬
deutschen Großmacht mehr bedeutet, als der Wille aller Mittelstaaten zusammen,
es handelt sich um die nothwendige Beschränkung der Souveränetät der¬
jenigen Fürsten, die in den Tagen der tiefsten Erniedrigung unseres Volkes


Aber wie, wenn er. was nahe liegt, an die französische Schweiz dächte und
für deren Annexion die Unterschrift Preußens beanspruchte und erhielte? Und
wie. wenn Preußen, hiermit auf die Bahn französischer Gelüste gezogen und
dem Haß der Verletzten und der Furcht der Bedrohten preisgegeben, später ein
anderes naheliegendes Begehren Napoleons, den Wunsch nach Belgien, dem
Schutzbefohlenen Englands, zu unterstützen aufgefordert würde und auch darauf
einzugehen gezwungen wäre? Die Koalition gegen solches Gebahren würde
nicht lange auf sich warten lassen, und es ist mindestens sehr zweifelhaft, ob
Preußen dann das Feld behalten würde.

Die einzige Allianz, die Preußen nützt, ist die mit dem deutschen Volke,
und die sichert es sich durch ein gerechtes verfassungsmäßiges Regiment im
Innern und durch Eintreten für gefährdete oder verletzte deutsche Interessen
nach Außen hin wie für die Rechte der Völker in den einzelnen Bundesstaaten.
Der Feldjäger in Kassel, der Befreiungskrieg in Schleswig-Holstein waren
Aeußerungen dieser Art. Auch das Bciseitedrängen des Bundes, der gegen¬
wärtig factisch nicht vielmehr als ein Bund der Mittelstaaten ist, nützt, wenn
es mit Gelindigkcit geschieht, es erbittert wohl den blinden Particularismus.
aber es belehrt auch, daß gegen gewisse berechtigte Ansprüche der deutschen
Großmacht von Seiten dieses Particularismus nicht mehr anzukommen ist. Es
bereitet die Gemüther für ein positives Handeln, für die Erringung der preu¬
ßischen Hegemonie vor. Namentlich der süddeutsche Idealismus wird so all-
mälig zum Nachdenken über seine Phantasien gebracht werden und schließlich be¬
greifen, daß der preußische Staat eine Realität ist. die sich durch Resolutionen
von Volksversammlungen nicht wegdecretiren läßt, gleichviel ob diese Volks¬
versammlungen blos aus den ehrenwerthen Gevattern von Hinterbopfingen be-
stehn oder die Weisheit der Professoren von Erlangen oder München vertreten.
Nicht die Annexion der Herzogthümer ist von Preußen im Interesse Deutsch¬
lands, dessen Band es bildet, zu erstreben. Jene Realität würde dann nicht
als das, was sie ist, als eine wohlthätige, sondern als eine verhaßte empfunden
werden. Dagegen war niemals seit Langem ein Zeitpunkt günstiger, die Führer¬
schaft Deutschlands durch Preußen zu einer feststehenden Thatsache wenigstens
für einen Theil der betreffenden Staaten zu gestalten. Nicht die preußische
Monarchie um einen Zipfel Landes und eine Million Menschen zu vergrößern
ist die Aufgabe; denn diese Vergrößerung würde durch Verminderung der Ach.
tung vor Preußen und des Glaubens an seine Misston für Deutschland mehr
als aufgehoben werden. Es handelt sich vielmehr darum, zunächst an einem
einzelnen Fall den überzeugenden Beweis zu führen, daß der Wille der nord¬
deutschen Großmacht mehr bedeutet, als der Wille aller Mittelstaaten zusammen,
es handelt sich um die nothwendige Beschränkung der Souveränetät der¬
jenigen Fürsten, die in den Tagen der tiefsten Erniedrigung unseres Volkes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190065"/>
          <p xml:id="ID_1496" prev="#ID_1495"> Aber wie, wenn er. was nahe liegt, an die französische Schweiz dächte und<lb/>
für deren Annexion die Unterschrift Preußens beanspruchte und erhielte? Und<lb/>
wie. wenn Preußen, hiermit auf die Bahn französischer Gelüste gezogen und<lb/>
dem Haß der Verletzten und der Furcht der Bedrohten preisgegeben, später ein<lb/>
anderes naheliegendes Begehren Napoleons, den Wunsch nach Belgien, dem<lb/>
Schutzbefohlenen Englands, zu unterstützen aufgefordert würde und auch darauf<lb/>
einzugehen gezwungen wäre? Die Koalition gegen solches Gebahren würde<lb/>
nicht lange auf sich warten lassen, und es ist mindestens sehr zweifelhaft, ob<lb/>
Preußen dann das Feld behalten würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1497" next="#ID_1498"> Die einzige Allianz, die Preußen nützt, ist die mit dem deutschen Volke,<lb/>
und die sichert es sich durch ein gerechtes verfassungsmäßiges Regiment im<lb/>
Innern und durch Eintreten für gefährdete oder verletzte deutsche Interessen<lb/>
nach Außen hin wie für die Rechte der Völker in den einzelnen Bundesstaaten.<lb/>
Der Feldjäger in Kassel, der Befreiungskrieg in Schleswig-Holstein waren<lb/>
Aeußerungen dieser Art. Auch das Bciseitedrängen des Bundes, der gegen¬<lb/>
wärtig factisch nicht vielmehr als ein Bund der Mittelstaaten ist, nützt, wenn<lb/>
es mit Gelindigkcit geschieht, es erbittert wohl den blinden Particularismus.<lb/>
aber es belehrt auch, daß gegen gewisse berechtigte Ansprüche der deutschen<lb/>
Großmacht von Seiten dieses Particularismus nicht mehr anzukommen ist. Es<lb/>
bereitet die Gemüther für ein positives Handeln, für die Erringung der preu¬<lb/>
ßischen Hegemonie vor. Namentlich der süddeutsche Idealismus wird so all-<lb/>
mälig zum Nachdenken über seine Phantasien gebracht werden und schließlich be¬<lb/>
greifen, daß der preußische Staat eine Realität ist. die sich durch Resolutionen<lb/>
von Volksversammlungen nicht wegdecretiren läßt, gleichviel ob diese Volks¬<lb/>
versammlungen blos aus den ehrenwerthen Gevattern von Hinterbopfingen be-<lb/>
stehn oder die Weisheit der Professoren von Erlangen oder München vertreten.<lb/>
Nicht die Annexion der Herzogthümer ist von Preußen im Interesse Deutsch¬<lb/>
lands, dessen Band es bildet, zu erstreben. Jene Realität würde dann nicht<lb/>
als das, was sie ist, als eine wohlthätige, sondern als eine verhaßte empfunden<lb/>
werden. Dagegen war niemals seit Langem ein Zeitpunkt günstiger, die Führer¬<lb/>
schaft Deutschlands durch Preußen zu einer feststehenden Thatsache wenigstens<lb/>
für einen Theil der betreffenden Staaten zu gestalten. Nicht die preußische<lb/>
Monarchie um einen Zipfel Landes und eine Million Menschen zu vergrößern<lb/>
ist die Aufgabe; denn diese Vergrößerung würde durch Verminderung der Ach.<lb/>
tung vor Preußen und des Glaubens an seine Misston für Deutschland mehr<lb/>
als aufgehoben werden. Es handelt sich vielmehr darum, zunächst an einem<lb/>
einzelnen Fall den überzeugenden Beweis zu führen, daß der Wille der nord¬<lb/>
deutschen Großmacht mehr bedeutet, als der Wille aller Mittelstaaten zusammen,<lb/>
es handelt sich um die nothwendige Beschränkung der Souveränetät der¬<lb/>
jenigen Fürsten, die in den Tagen der tiefsten Erniedrigung unseres Volkes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0441] Aber wie, wenn er. was nahe liegt, an die französische Schweiz dächte und für deren Annexion die Unterschrift Preußens beanspruchte und erhielte? Und wie. wenn Preußen, hiermit auf die Bahn französischer Gelüste gezogen und dem Haß der Verletzten und der Furcht der Bedrohten preisgegeben, später ein anderes naheliegendes Begehren Napoleons, den Wunsch nach Belgien, dem Schutzbefohlenen Englands, zu unterstützen aufgefordert würde und auch darauf einzugehen gezwungen wäre? Die Koalition gegen solches Gebahren würde nicht lange auf sich warten lassen, und es ist mindestens sehr zweifelhaft, ob Preußen dann das Feld behalten würde. Die einzige Allianz, die Preußen nützt, ist die mit dem deutschen Volke, und die sichert es sich durch ein gerechtes verfassungsmäßiges Regiment im Innern und durch Eintreten für gefährdete oder verletzte deutsche Interessen nach Außen hin wie für die Rechte der Völker in den einzelnen Bundesstaaten. Der Feldjäger in Kassel, der Befreiungskrieg in Schleswig-Holstein waren Aeußerungen dieser Art. Auch das Bciseitedrängen des Bundes, der gegen¬ wärtig factisch nicht vielmehr als ein Bund der Mittelstaaten ist, nützt, wenn es mit Gelindigkcit geschieht, es erbittert wohl den blinden Particularismus. aber es belehrt auch, daß gegen gewisse berechtigte Ansprüche der deutschen Großmacht von Seiten dieses Particularismus nicht mehr anzukommen ist. Es bereitet die Gemüther für ein positives Handeln, für die Erringung der preu¬ ßischen Hegemonie vor. Namentlich der süddeutsche Idealismus wird so all- mälig zum Nachdenken über seine Phantasien gebracht werden und schließlich be¬ greifen, daß der preußische Staat eine Realität ist. die sich durch Resolutionen von Volksversammlungen nicht wegdecretiren läßt, gleichviel ob diese Volks¬ versammlungen blos aus den ehrenwerthen Gevattern von Hinterbopfingen be- stehn oder die Weisheit der Professoren von Erlangen oder München vertreten. Nicht die Annexion der Herzogthümer ist von Preußen im Interesse Deutsch¬ lands, dessen Band es bildet, zu erstreben. Jene Realität würde dann nicht als das, was sie ist, als eine wohlthätige, sondern als eine verhaßte empfunden werden. Dagegen war niemals seit Langem ein Zeitpunkt günstiger, die Führer¬ schaft Deutschlands durch Preußen zu einer feststehenden Thatsache wenigstens für einen Theil der betreffenden Staaten zu gestalten. Nicht die preußische Monarchie um einen Zipfel Landes und eine Million Menschen zu vergrößern ist die Aufgabe; denn diese Vergrößerung würde durch Verminderung der Ach. tung vor Preußen und des Glaubens an seine Misston für Deutschland mehr als aufgehoben werden. Es handelt sich vielmehr darum, zunächst an einem einzelnen Fall den überzeugenden Beweis zu führen, daß der Wille der nord¬ deutschen Großmacht mehr bedeutet, als der Wille aller Mittelstaaten zusammen, es handelt sich um die nothwendige Beschränkung der Souveränetät der¬ jenigen Fürsten, die in den Tagen der tiefsten Erniedrigung unseres Volkes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/441
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/441>, abgerufen am 22.07.2024.