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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Die Theorie von einem Besprecht der verbündeten deutschen Großmächte auf
Schleswig-Holstein entbehrt jedes Fundaments und steht überdies in Wider¬
spruch mit den Erklärungen derselben kurz vor Abbruch der londoner Verhand¬
lungen, aber sie scheint ebenfalls nur geschaffen, um den Bund von der defini¬
tiven Ordnung des Streites auszuschließen. Der Wink über Ermäßigung der
Kriegskosten mag nur auf Concessionen von Seiten der particularistischen Partei
im Volke gehen. Das Märchen von den preußischen Succcssionsansprüchen
auf die Herzogtümer ist eben ein Märchen. Das Geschwätz der Gesellschaft,
welche in Berlin die Officiösen spielt, ist sehr widerlich; es ist indeß wohl nicht
zu verlangen, daß der preußische Premier Zeit finde, das ungewaschene Zeug
jeden Tag selbst nachzulesen, geschähe es wirklich, so würden wir uns dies nicht
mit seiner Klugheit zusammenreimen können; denn daß derartige UnWürdigkeiten
ihm und Preußen nur schaden, bei uns selbst die stark für die preußische Hege¬
monie Gestimmten erbittern müssen, liegt auf der Hand.

Wie sich das alles aber auch verhalte, -- so fahren die Vertrauenden in
ihrem Raisonnement fort, -- kann überhaupt Herr von Bismarck die Con-
stellation, unter der sich annectiren ließe, jetzt für eingetreten halten, ja kann
er glauben, daß er jemals in die Lage kommen wird, sie für eingetreten zu
halten? Mit dem Wollen ists nicht allein gethan, auch das Können gehört
zum Vollbringen. Unmöglich, mindestens sehr schwer wird sich der König
Wilhelm von einem Recht Preußens, sich die Herzogthümer anzueignen, über¬
zeugen lassen, und ohne den Glauben, dies Recht zu haben, willigt er sicher
nicht in den angeblichen bismarckschcn Plan. Mehr als eine Aeußerung des
Königs aus den letzten Wochen, die im Lande von Mund zu Mund geht, ließe
sich als Beweis anführen, daß derselbe in unsrer Sache den ursprünglich von
ihm eingenommenen, dem Anspruch Herzog Friedrichs günstigen Standpunkt
noch heute bewahrt. Der Widerspruch der Mittclstaatcn gegen eine Annexion
der Herzogthümer würde dieselbe nicht hindern, wenn sie allein stünden; denn
er würde sich nicht zum Widerstand steigern, schon weil sie niemals unter ein¬
ander einig sein werden; vor wichtigen Mienen und großen Worten aber hat
Preußen sich nicht zu scheuen, auch wenn ein Gegner wie Herr von der Pfordten
damit auf die Bühne tritt. Wohl aber sind die Mittclstaatcn von Bedeutung,
Wenn sie sich als Vasallen um Oestreich gruppiren, und Oestreich hat zwar bis¬
her die Allianz Preußens dem Zusammengehen mit ihnen vorgezogen, es wird,
ungern zwar, doch nothgedrungen, in Verträge willigen, die Preußen gewisse
Vortheile in den Herzogtümern verschaffen, zu einer Einverleibung der letzteren
aber wird es, wenn jemals, so doch unter solchen Bedingungen seine Zu¬
stimmung ertheilen, die kein preußischer Minister erfüllen kann. Oestreichs Ein¬
willigung in einen schreienden Rechtsbruch. eine Verletzung des Legitimität^
Princips in Schleswig-Holstein, etwa gegen Abtretung Schlesiens zu erkaufen
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Die Theorie von einem Besprecht der verbündeten deutschen Großmächte auf
Schleswig-Holstein entbehrt jedes Fundaments und steht überdies in Wider¬
spruch mit den Erklärungen derselben kurz vor Abbruch der londoner Verhand¬
lungen, aber sie scheint ebenfalls nur geschaffen, um den Bund von der defini¬
tiven Ordnung des Streites auszuschließen. Der Wink über Ermäßigung der
Kriegskosten mag nur auf Concessionen von Seiten der particularistischen Partei
im Volke gehen. Das Märchen von den preußischen Succcssionsansprüchen
auf die Herzogtümer ist eben ein Märchen. Das Geschwätz der Gesellschaft,
welche in Berlin die Officiösen spielt, ist sehr widerlich; es ist indeß wohl nicht
zu verlangen, daß der preußische Premier Zeit finde, das ungewaschene Zeug
jeden Tag selbst nachzulesen, geschähe es wirklich, so würden wir uns dies nicht
mit seiner Klugheit zusammenreimen können; denn daß derartige UnWürdigkeiten
ihm und Preußen nur schaden, bei uns selbst die stark für die preußische Hege¬
monie Gestimmten erbittern müssen, liegt auf der Hand.

Wie sich das alles aber auch verhalte, — so fahren die Vertrauenden in
ihrem Raisonnement fort, — kann überhaupt Herr von Bismarck die Con-
stellation, unter der sich annectiren ließe, jetzt für eingetreten halten, ja kann
er glauben, daß er jemals in die Lage kommen wird, sie für eingetreten zu
halten? Mit dem Wollen ists nicht allein gethan, auch das Können gehört
zum Vollbringen. Unmöglich, mindestens sehr schwer wird sich der König
Wilhelm von einem Recht Preußens, sich die Herzogthümer anzueignen, über¬
zeugen lassen, und ohne den Glauben, dies Recht zu haben, willigt er sicher
nicht in den angeblichen bismarckschcn Plan. Mehr als eine Aeußerung des
Königs aus den letzten Wochen, die im Lande von Mund zu Mund geht, ließe
sich als Beweis anführen, daß derselbe in unsrer Sache den ursprünglich von
ihm eingenommenen, dem Anspruch Herzog Friedrichs günstigen Standpunkt
noch heute bewahrt. Der Widerspruch der Mittclstaatcn gegen eine Annexion
der Herzogthümer würde dieselbe nicht hindern, wenn sie allein stünden; denn
er würde sich nicht zum Widerstand steigern, schon weil sie niemals unter ein¬
ander einig sein werden; vor wichtigen Mienen und großen Worten aber hat
Preußen sich nicht zu scheuen, auch wenn ein Gegner wie Herr von der Pfordten
damit auf die Bühne tritt. Wohl aber sind die Mittclstaatcn von Bedeutung,
Wenn sie sich als Vasallen um Oestreich gruppiren, und Oestreich hat zwar bis¬
her die Allianz Preußens dem Zusammengehen mit ihnen vorgezogen, es wird,
ungern zwar, doch nothgedrungen, in Verträge willigen, die Preußen gewisse
Vortheile in den Herzogtümern verschaffen, zu einer Einverleibung der letzteren
aber wird es, wenn jemals, so doch unter solchen Bedingungen seine Zu¬
stimmung ertheilen, die kein preußischer Minister erfüllen kann. Oestreichs Ein¬
willigung in einen schreienden Rechtsbruch. eine Verletzung des Legitimität^
Princips in Schleswig-Holstein, etwa gegen Abtretung Schlesiens zu erkaufen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/439>, abgerufen am 22.07.2024.