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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Wäre nur dies die Absicht in Berlin, so würden sich hier zu Lande
schwerlich Viele finden, die darüber besonders lebhafte Bekümmernis; fühlten.
Ihr Korrespondent jedenfalls sieht sich dazu nicht veranlaßt. Oestreich, so sagte
er sich, unbeirrt durch den Alarmsckrci eines Theils der Presse, deren Be¬
fürchtungen durch die heutigen Nachrichten widerlegt sind, gleich zu Anfang,
Oestreich ist heute nicht das Oestreich von 1850. es bedarf des guten Willens
wenigstens einer Großmacht, es kann ohne ein verhängnißvolles Opfer in Ita¬
lien die Allianz mit Frankreich nicht haben, es muß mit Preußen rechnen, wie
schwer es ihm auch werde, es wird sich, von der Unzuverlässigkeit der Mittel-
staatcn überzeugt, gleichwohl aber abgeneigt, sie sich durch ein Handeln wie
Preußen für die Zukunft völlig zu entfremden, passiv Verhalten oder vermitteln
und ohne Oestreich werden die Herren in Dresden und in der Welfenburg nach
einigem Sträuben nachgeben. Höchstens werden sie die Deckung ihres Rück¬
zuges durch eine nicht viel bedeutende Formel in Frankfurt versuchen. Es
wird ganz bestimmt nicht zum Bürgerkriege kommen, und das ist das Wichtigste.

Wir in Schleswig-Holstein haben ein gutes Gedächtniß, und um daraus
nur eins anzuführen: erinnert man sich, was sich gleich im Anfang des Strei¬
tes begab und nicht begab? Als im December v. I. die Dänen Holstein ge¬
räumt hatten, erließ unser Herzog eine Proklamation, in welcher er vollkommen
der Sachlage gemäß erklärte, "die Bundesexecution sei nunmehr gegenstandslos
geworden." Handelte der Bund darnach? Sprach er die Anerkennung des Her¬
zogs aus? Gestaltete er die Einberufung der Stände des Landes? Nichts von
alledem, obwohl die Stimme des Volkes sich laut genug vernehmen ließ. Seit¬
dem haben sich die Verhältnisse der Herzogthümer erfreulicher gestaltet, aber
nur durch die Waffenthaten und die entschlossene Politik Preußens und des
von diesem über seine anfänglichen Ziele hinausgezognen Oestreich. Der Bund
hat so gut wie nichts dazu beigetragen. Ist es bei so bewandten Umständen
etwa unbegreiflich, wenn die Bevölkerung Schleswig-Holsteins es in der Ord¬
nung findet, daß dem Bundestage jetzt deutlich gemacht wird, die Execution
sei in der That gegenstandslos, und die Commissäre sowie die Executivnstruppen
haben nichts mehr in Holstein zu suchen? Oder sollen wir bejammern, wenn
die Mittelstaaten, welche damals, als die schwache Stimme des Machtlosen sprach,
fein Ohr für das Recht unsres Landes und unsres Fürsten hatten, jetzt auf
ihr Bundesrecht oder gar auf die Lücken des Bundesrechts recurriren wollen
und dabei dem Veto der starken Stimme dessen begegnen, gegen den sie macht¬
los sind? Sollen wir uns entrüsten, wenn sie, die mit wenig Macht und noch
weniger Entschlossenheit die Ausschlaggebenden spielen möchten, endlich einmal
gründlich belehrt werden, daß die Welt dem Starken und Muthigen gehört?

Die Frage, die jetzt vor uns steht ist: Geht die jüngste Action Preußens
gegen den Bund, der auch die von unsrem Herzog factisch angebotenen Zu-


Wäre nur dies die Absicht in Berlin, so würden sich hier zu Lande
schwerlich Viele finden, die darüber besonders lebhafte Bekümmernis; fühlten.
Ihr Korrespondent jedenfalls sieht sich dazu nicht veranlaßt. Oestreich, so sagte
er sich, unbeirrt durch den Alarmsckrci eines Theils der Presse, deren Be¬
fürchtungen durch die heutigen Nachrichten widerlegt sind, gleich zu Anfang,
Oestreich ist heute nicht das Oestreich von 1850. es bedarf des guten Willens
wenigstens einer Großmacht, es kann ohne ein verhängnißvolles Opfer in Ita¬
lien die Allianz mit Frankreich nicht haben, es muß mit Preußen rechnen, wie
schwer es ihm auch werde, es wird sich, von der Unzuverlässigkeit der Mittel-
staatcn überzeugt, gleichwohl aber abgeneigt, sie sich durch ein Handeln wie
Preußen für die Zukunft völlig zu entfremden, passiv Verhalten oder vermitteln
und ohne Oestreich werden die Herren in Dresden und in der Welfenburg nach
einigem Sträuben nachgeben. Höchstens werden sie die Deckung ihres Rück¬
zuges durch eine nicht viel bedeutende Formel in Frankfurt versuchen. Es
wird ganz bestimmt nicht zum Bürgerkriege kommen, und das ist das Wichtigste.

Wir in Schleswig-Holstein haben ein gutes Gedächtniß, und um daraus
nur eins anzuführen: erinnert man sich, was sich gleich im Anfang des Strei¬
tes begab und nicht begab? Als im December v. I. die Dänen Holstein ge¬
räumt hatten, erließ unser Herzog eine Proklamation, in welcher er vollkommen
der Sachlage gemäß erklärte, „die Bundesexecution sei nunmehr gegenstandslos
geworden." Handelte der Bund darnach? Sprach er die Anerkennung des Her¬
zogs aus? Gestaltete er die Einberufung der Stände des Landes? Nichts von
alledem, obwohl die Stimme des Volkes sich laut genug vernehmen ließ. Seit¬
dem haben sich die Verhältnisse der Herzogthümer erfreulicher gestaltet, aber
nur durch die Waffenthaten und die entschlossene Politik Preußens und des
von diesem über seine anfänglichen Ziele hinausgezognen Oestreich. Der Bund
hat so gut wie nichts dazu beigetragen. Ist es bei so bewandten Umständen
etwa unbegreiflich, wenn die Bevölkerung Schleswig-Holsteins es in der Ord¬
nung findet, daß dem Bundestage jetzt deutlich gemacht wird, die Execution
sei in der That gegenstandslos, und die Commissäre sowie die Executivnstruppen
haben nichts mehr in Holstein zu suchen? Oder sollen wir bejammern, wenn
die Mittelstaaten, welche damals, als die schwache Stimme des Machtlosen sprach,
fein Ohr für das Recht unsres Landes und unsres Fürsten hatten, jetzt auf
ihr Bundesrecht oder gar auf die Lücken des Bundesrechts recurriren wollen
und dabei dem Veto der starken Stimme dessen begegnen, gegen den sie macht¬
los sind? Sollen wir uns entrüsten, wenn sie, die mit wenig Macht und noch
weniger Entschlossenheit die Ausschlaggebenden spielen möchten, endlich einmal
gründlich belehrt werden, daß die Welt dem Starken und Muthigen gehört?

Die Frage, die jetzt vor uns steht ist: Geht die jüngste Action Preußens
gegen den Bund, der auch die von unsrem Herzog factisch angebotenen Zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/436>, abgerufen am 23.07.2024.