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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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aufgehen, sondern zu directen Förderungen und Schutzmaßregeln schreiten will,
von dem großen Begründer der wissenschaftlichen Volkswirthschaftslehre gewaltig
unterschätzt worden ist. Die theoretische Konsequenz hiervon war, daß die
Lehren der Schule, die in der extremen Richtung selbstverständlich noch weiter
gingen, den Gedanken des Jndustrieschutzes gar nicht mehr für rationell an¬
erkannten, und daß man noch gegenwärtig einer Entschuldigung bedarf, wenn
man das Fundamentalprincip der colbertschcn Verwaltung als eine auch theo¬
retisch haltbare Wahrheit geltend macht.

Der Gedanke des Jndustrieschutzes ist so einfach, daß er kaum einer Er¬
läuterung zu bedürfen scheint, und dennoch hängt er mit den tiefsten Anschau¬
ungen der internationalen Verhältnisse zusammen. Der Schutz, den man durch
angemessene Zölle erreicht, ist im Grunde nichts weiter als eine Sicherung der
wirthschaftlichen Gerechtigkeit. Durch ihn wird eine indirecte Verletzung der
Nation abgewendet. Es wird die individuelle Selbständigkeit des nationalen
Körpers vor Lahmlegung seiner besten Kräfte bewahrt. Die industrielle Er¬
ziehung der Nation ist erst der zweite Gesichtspunkt; die Gerechtigkeit d. h. ein
Verhältniß, in welchem Verletzung und Schädigung vermieden wird, ist der
vornehmste Grund jener Zollvertheidigung an den Grenzen der Staaten. Der
Jnstinct der Selbsterhaltung, welcher (im Allgemeinen in Form der Rache oder
Eifersucht) in unserm Fall in Gestalt der Netorsion oder der unmittelbaren
Absperrung oder auch der theilweisen und relativen Ausschließung auftritt, wird
später zu einem wohlüberlegten und gerade auf den Zweck berechneten Schutz¬
system der wirthschaftlichen Integrität und Gerechtigkeit. Was zuerst nur die
Folge des unklaren Bestrebens war. sich der gefährlichen Nebenbuhlerschaften
im eignen Hause zu erwehren, muß zuletzt die Gestalt eines wohldurchdachten
Systems der gerechten Selbsterhaltung annehmen. In diesem letzten Stadium
werden dann auch die Fehler des ersten rohen Verfahrens vermieden, und die
Handelspolitik wnd mit vollem Bewußtsein mit allen gerechten Interessen in
Harmonie gesetzt werden können.

Doch wir wollen uns nicht in die Zukunft verlieren, sondern bei dem
Systeme bleiben, welches sich vor zwei Jahrhunderten einführte. Colbert hat
sicherlich nicht die theoretischen Ueberlegungen gemacht, die wir heute zu Gunsten
des Schutzprincips anstellen. Allein er hat das Richtige praktisch geübt und
fast durchgängig getroffen. Er hat in einem Volke, dessen Industrie durch die
fremde Concurrenz theils zermalmt theils im Keime erstickt worden wäre, heil¬
same Schutzzölle aufgerichtet und ein wenig anders gedacht, als es Herr Glad-
stone gethan haben würde, welcher sich in der neulichen Antwort an den
tiverpooler Finanzreformverein so äußerst naiv über die ältere Geschichte der
Handelspolitik ausgelassen hat. Die Wendung des Schatzkanzlers ist zu typisch
für die Bekämpfung des colbertschen Systems, als daß wir sie hier übergehen


aufgehen, sondern zu directen Förderungen und Schutzmaßregeln schreiten will,
von dem großen Begründer der wissenschaftlichen Volkswirthschaftslehre gewaltig
unterschätzt worden ist. Die theoretische Konsequenz hiervon war, daß die
Lehren der Schule, die in der extremen Richtung selbstverständlich noch weiter
gingen, den Gedanken des Jndustrieschutzes gar nicht mehr für rationell an¬
erkannten, und daß man noch gegenwärtig einer Entschuldigung bedarf, wenn
man das Fundamentalprincip der colbertschcn Verwaltung als eine auch theo¬
retisch haltbare Wahrheit geltend macht.

Der Gedanke des Jndustrieschutzes ist so einfach, daß er kaum einer Er¬
läuterung zu bedürfen scheint, und dennoch hängt er mit den tiefsten Anschau¬
ungen der internationalen Verhältnisse zusammen. Der Schutz, den man durch
angemessene Zölle erreicht, ist im Grunde nichts weiter als eine Sicherung der
wirthschaftlichen Gerechtigkeit. Durch ihn wird eine indirecte Verletzung der
Nation abgewendet. Es wird die individuelle Selbständigkeit des nationalen
Körpers vor Lahmlegung seiner besten Kräfte bewahrt. Die industrielle Er¬
ziehung der Nation ist erst der zweite Gesichtspunkt; die Gerechtigkeit d. h. ein
Verhältniß, in welchem Verletzung und Schädigung vermieden wird, ist der
vornehmste Grund jener Zollvertheidigung an den Grenzen der Staaten. Der
Jnstinct der Selbsterhaltung, welcher (im Allgemeinen in Form der Rache oder
Eifersucht) in unserm Fall in Gestalt der Netorsion oder der unmittelbaren
Absperrung oder auch der theilweisen und relativen Ausschließung auftritt, wird
später zu einem wohlüberlegten und gerade auf den Zweck berechneten Schutz¬
system der wirthschaftlichen Integrität und Gerechtigkeit. Was zuerst nur die
Folge des unklaren Bestrebens war. sich der gefährlichen Nebenbuhlerschaften
im eignen Hause zu erwehren, muß zuletzt die Gestalt eines wohldurchdachten
Systems der gerechten Selbsterhaltung annehmen. In diesem letzten Stadium
werden dann auch die Fehler des ersten rohen Verfahrens vermieden, und die
Handelspolitik wnd mit vollem Bewußtsein mit allen gerechten Interessen in
Harmonie gesetzt werden können.

Doch wir wollen uns nicht in die Zukunft verlieren, sondern bei dem
Systeme bleiben, welches sich vor zwei Jahrhunderten einführte. Colbert hat
sicherlich nicht die theoretischen Ueberlegungen gemacht, die wir heute zu Gunsten
des Schutzprincips anstellen. Allein er hat das Richtige praktisch geübt und
fast durchgängig getroffen. Er hat in einem Volke, dessen Industrie durch die
fremde Concurrenz theils zermalmt theils im Keime erstickt worden wäre, heil¬
same Schutzzölle aufgerichtet und ein wenig anders gedacht, als es Herr Glad-
stone gethan haben würde, welcher sich in der neulichen Antwort an den
tiverpooler Finanzreformverein so äußerst naiv über die ältere Geschichte der
Handelspolitik ausgelassen hat. Die Wendung des Schatzkanzlers ist zu typisch
für die Bekämpfung des colbertschen Systems, als daß wir sie hier übergehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/420>, abgerufen am 22.07.2024.