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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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deutenden Irrthümern verträgt. Die analysirende Wissenschaft soll, so weit
sie überhaupt besteht, unfehlbar sein, d. h. sie soll eine Methode befolgen, die
eine Controle und Garantie der Wahrheit ihrer Behauptungen und der Grenze
dessen, was wir sicher und was wir nicht sicher wissen, abgiebt. An ein blos
praktisches Wissen darf man diesen strengen Maßstab nicht legen; denn theore¬
tische Behauptungen sind nicht unvermeidlich, während die praktischen Maßregeln
getroffen werden müssen, gleichviel ob eine unzweifelhafte Einsicht zu Gebote
steht oder nicht. Der Staatsmann muß in allen Richtungen zur Action schrei¬
ten; er kann nicht Jahrhunderte oder auch nur Jahre auf den Ausbau oder
gar die Schöpfung einer Theorie warten. Colberts System ist daher als die
Frucht eines praktisch richtigen Ucberblicks der Verhältnisse und einer echt na¬
tionalen Bestrebung zu betrachten. Der gesunde, gerade die einfachsten Be¬
ziehungen der Dinge erkennende Verstand, geleitet von dem Jnstinct der natio¬
nalen Selbsterhaltung und Größe, bat an jenem System mehr Antheil als die
feinere Analyse. Es ist daher auch ein sehr simpler Gedanke, der den Kern
jener Grundsätze ausmacht. Die Volkswirthschaft, dies ist das Fundamental¬
princip, kann nur gedeihen, wenn der Handel, das Handwerk und die
Fabrikindustrie durch künstlichen Schutz d. h. durch zweckmäßige Außenzölle gegen
die erdrückende Concurrenz des Auslandes gewahrt wird. Auch die Landwirth¬
schaft kann nur gehoben werden, wenn ihr durch das Aufblühen der heimischen
Industrie ein größerer Markt für ihre Erzeugnisse erwächst und sie so von Sei¬
ten der Fabrikation angeregt und belebt wird. Der Handwerker muß nahe bei
dem Landwirth wohnen, damit der letztere den Consumenten und den Verar-
beiter seiner Erzeugnisse nicht erst mit großen Unkosten und Verlusten in der
Ferne zu suchen brauche.

Es ist also das Princip der Localisation und der intensiven Anspannung
des Wirthschaftsbetriebcs, welches man bei Colbert, wenn auch nicht theo¬
retisch formulirt, so doch thatsächlich befolgt findet. Was hat man nun aber
aus dieser Betonung des Handels und der Fabrikation später gemacht? Man
hat dem sogenannten Mercantilsystem das Bestreben angedichtet, den Wohl¬
stand der Völker nur in einer Einwirkung auf den Handel zu suchen. Ja man
ist noch weiter gegangen; man hat jenem System auch noch den Vorwurf
gemacht, den Reichthum allein im Gelde zu finden und dem beschränkten Prin¬
cip möglichst umfangreicher Verkäufe an fremde Nationen und möglichst geringer
Einkäufe von denselben gefolgt zu sein. Wenn nun "den Reichthum im Gelde
sehen" etwa so viel heißen soll als die Erfolge der nationalen Wirthschaft direct
an den Tauschwerthen messen, so ist dieser Standpunkt noch nicht einmal heute
durch die carey-bastiatische Begriffsfassung des wirthschaftlichen Werthes über¬
wunden. Wenn jener Vorwurf aber das gewöhnliche Haften des unausgebil-
deten wirthschaftlichen Verstandes an dem Gelde als dem Zeichen des Reich-


deutenden Irrthümern verträgt. Die analysirende Wissenschaft soll, so weit
sie überhaupt besteht, unfehlbar sein, d. h. sie soll eine Methode befolgen, die
eine Controle und Garantie der Wahrheit ihrer Behauptungen und der Grenze
dessen, was wir sicher und was wir nicht sicher wissen, abgiebt. An ein blos
praktisches Wissen darf man diesen strengen Maßstab nicht legen; denn theore¬
tische Behauptungen sind nicht unvermeidlich, während die praktischen Maßregeln
getroffen werden müssen, gleichviel ob eine unzweifelhafte Einsicht zu Gebote
steht oder nicht. Der Staatsmann muß in allen Richtungen zur Action schrei¬
ten; er kann nicht Jahrhunderte oder auch nur Jahre auf den Ausbau oder
gar die Schöpfung einer Theorie warten. Colberts System ist daher als die
Frucht eines praktisch richtigen Ucberblicks der Verhältnisse und einer echt na¬
tionalen Bestrebung zu betrachten. Der gesunde, gerade die einfachsten Be¬
ziehungen der Dinge erkennende Verstand, geleitet von dem Jnstinct der natio¬
nalen Selbsterhaltung und Größe, bat an jenem System mehr Antheil als die
feinere Analyse. Es ist daher auch ein sehr simpler Gedanke, der den Kern
jener Grundsätze ausmacht. Die Volkswirthschaft, dies ist das Fundamental¬
princip, kann nur gedeihen, wenn der Handel, das Handwerk und die
Fabrikindustrie durch künstlichen Schutz d. h. durch zweckmäßige Außenzölle gegen
die erdrückende Concurrenz des Auslandes gewahrt wird. Auch die Landwirth¬
schaft kann nur gehoben werden, wenn ihr durch das Aufblühen der heimischen
Industrie ein größerer Markt für ihre Erzeugnisse erwächst und sie so von Sei¬
ten der Fabrikation angeregt und belebt wird. Der Handwerker muß nahe bei
dem Landwirth wohnen, damit der letztere den Consumenten und den Verar-
beiter seiner Erzeugnisse nicht erst mit großen Unkosten und Verlusten in der
Ferne zu suchen brauche.

Es ist also das Princip der Localisation und der intensiven Anspannung
des Wirthschaftsbetriebcs, welches man bei Colbert, wenn auch nicht theo¬
retisch formulirt, so doch thatsächlich befolgt findet. Was hat man nun aber
aus dieser Betonung des Handels und der Fabrikation später gemacht? Man
hat dem sogenannten Mercantilsystem das Bestreben angedichtet, den Wohl¬
stand der Völker nur in einer Einwirkung auf den Handel zu suchen. Ja man
ist noch weiter gegangen; man hat jenem System auch noch den Vorwurf
gemacht, den Reichthum allein im Gelde zu finden und dem beschränkten Prin¬
cip möglichst umfangreicher Verkäufe an fremde Nationen und möglichst geringer
Einkäufe von denselben gefolgt zu sein. Wenn nun „den Reichthum im Gelde
sehen" etwa so viel heißen soll als die Erfolge der nationalen Wirthschaft direct
an den Tauschwerthen messen, so ist dieser Standpunkt noch nicht einmal heute
durch die carey-bastiatische Begriffsfassung des wirthschaftlichen Werthes über¬
wunden. Wenn jener Vorwurf aber das gewöhnliche Haften des unausgebil-
deten wirthschaftlichen Verstandes an dem Gelde als dem Zeichen des Reich-


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[0418] deutenden Irrthümern verträgt. Die analysirende Wissenschaft soll, so weit sie überhaupt besteht, unfehlbar sein, d. h. sie soll eine Methode befolgen, die eine Controle und Garantie der Wahrheit ihrer Behauptungen und der Grenze dessen, was wir sicher und was wir nicht sicher wissen, abgiebt. An ein blos praktisches Wissen darf man diesen strengen Maßstab nicht legen; denn theore¬ tische Behauptungen sind nicht unvermeidlich, während die praktischen Maßregeln getroffen werden müssen, gleichviel ob eine unzweifelhafte Einsicht zu Gebote steht oder nicht. Der Staatsmann muß in allen Richtungen zur Action schrei¬ ten; er kann nicht Jahrhunderte oder auch nur Jahre auf den Ausbau oder gar die Schöpfung einer Theorie warten. Colberts System ist daher als die Frucht eines praktisch richtigen Ucberblicks der Verhältnisse und einer echt na¬ tionalen Bestrebung zu betrachten. Der gesunde, gerade die einfachsten Be¬ ziehungen der Dinge erkennende Verstand, geleitet von dem Jnstinct der natio¬ nalen Selbsterhaltung und Größe, bat an jenem System mehr Antheil als die feinere Analyse. Es ist daher auch ein sehr simpler Gedanke, der den Kern jener Grundsätze ausmacht. Die Volkswirthschaft, dies ist das Fundamental¬ princip, kann nur gedeihen, wenn der Handel, das Handwerk und die Fabrikindustrie durch künstlichen Schutz d. h. durch zweckmäßige Außenzölle gegen die erdrückende Concurrenz des Auslandes gewahrt wird. Auch die Landwirth¬ schaft kann nur gehoben werden, wenn ihr durch das Aufblühen der heimischen Industrie ein größerer Markt für ihre Erzeugnisse erwächst und sie so von Sei¬ ten der Fabrikation angeregt und belebt wird. Der Handwerker muß nahe bei dem Landwirth wohnen, damit der letztere den Consumenten und den Verar- beiter seiner Erzeugnisse nicht erst mit großen Unkosten und Verlusten in der Ferne zu suchen brauche. Es ist also das Princip der Localisation und der intensiven Anspannung des Wirthschaftsbetriebcs, welches man bei Colbert, wenn auch nicht theo¬ retisch formulirt, so doch thatsächlich befolgt findet. Was hat man nun aber aus dieser Betonung des Handels und der Fabrikation später gemacht? Man hat dem sogenannten Mercantilsystem das Bestreben angedichtet, den Wohl¬ stand der Völker nur in einer Einwirkung auf den Handel zu suchen. Ja man ist noch weiter gegangen; man hat jenem System auch noch den Vorwurf gemacht, den Reichthum allein im Gelde zu finden und dem beschränkten Prin¬ cip möglichst umfangreicher Verkäufe an fremde Nationen und möglichst geringer Einkäufe von denselben gefolgt zu sein. Wenn nun „den Reichthum im Gelde sehen" etwa so viel heißen soll als die Erfolge der nationalen Wirthschaft direct an den Tauschwerthen messen, so ist dieser Standpunkt noch nicht einmal heute durch die carey-bastiatische Begriffsfassung des wirthschaftlichen Werthes über¬ wunden. Wenn jener Vorwurf aber das gewöhnliche Haften des unausgebil- deten wirthschaftlichen Verstandes an dem Gelde als dem Zeichen des Reich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/418>, abgerufen am 22.07.2024.