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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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ficht stets auf Eroberungen bedacht, während die Franzosen ihre industriellen
Kräfte im Innern concentriren und nach außen durch Schutzmaßregeln verthei¬
digen. Dieser merkwürdige Richtungsgegensatz, der sich einerseits an den Namen
Colbert und andererseits an das im Wesentlichen auch gegen unabhängige Staa¬
ten geübte britische Colonialsystcm knüpft, ist noch mit einem andern sehr auf¬
fallenden Unterschiede jener beiden Weltstaaten verwandt. Rücksichtlich der Cen¬
tralisation und Localisation vertauschen sich nämlich die Rollen ebenfalls, je
nachdem man die eigentliche Politik oder die bloße Wirthschaft ins Auge faßt.
Frankreich verbindet mit der von Colbert eingeleiteten Decentralisation oder viel¬
mehr Localisation des Wirthschaftsbetriebes eine übermäßig centralisirte innere
Politik; England dagegen, welches als Musterland der localen politischen Kraft¬
entfaltung und der örtlichen Selbstregierung gilt, ist in volkswirthschaftlicher
Hinsicht über alles Maß centralistrt und nach außen gleichsam mit seinem'gan¬
zen Jnselgebiete nur eine industrielle Hauptstadt für die Länder der Welt. So
vertreten die beiden Reiche stets die entgegengesetzten Principien, und es kann
das Zeitalter Colberts. welches ja von der allgemeinen Geschichte das Zeitalter
Ludwigs des Vierzehnten genannt werden muß. als in beiden Richtungen typisch
angesehen werden. Die Franzosen haben später weder die Kriegspolitik jenes
Königs, noch die wirthschaftlichen Grundsätze seines Ministers sonderlich ver-
läugnet. Die letzten zwei Jahrhunderte haben uns gezeigt, wie das eine Prin¬
cip neben dem andern ziemlich stetig zur Geltung gelangt ist, und bisweilen
auch, wie der heilsame Zug der volkswirtschaftlichen Politik durch den militä¬
rischen Glanz und seine unheilvollen Konsequenzen aufgewogen worden ist.
Schon Ludwig der Vierzehnte schädigte seine Macht so weit, daß er sich in
einigen Friedensschlüssen (Nimwegen. Ryswick. Utrecht) für die wirthschaft-
liche Politik die Hände binden lassen und Zugeständnisse machen mußte, die mit
der Tendenz der colbertschen Einrichtungen unverträglich waren. Die Kncgs-
politik gefährdete, was durch den Geist einer wohlgeordneten Volkswirtschaft
ins Leben gerufen war. Eine ähnliche Bewandtniß hatte es anderthalb Jahr¬
hunderte später mit dem in der Regel so einseitig verlästerten Contincntalsystem
Napoleons. Frankreich konnte die Früchte desselben nur zum Theil retten, in¬
dem es nach dem Fall des großen Eroberers in einer energischen Schutzpolitik
sein Heil suchte. So ist es immer das Schicksal dieses Landes gewesen, durch
die Politik der Waffen den Erfolg einer weisen Handelspolitik verletzt oder be¬
droht zu sehen. Noch hat es sich, wie sein auf dem Princip der Handelsfrei¬
heit beruhender Vertrag mit England zeigt, aller jener Störungen ungeachtet
durch den umsichtigen Schutz seiner innern industriellen Entwicklung zu einer
Höhe emporgearbeitet, die ihm die freie Concurrenz mit den englischen Kräften
möglich macht, und diese Höhe ist auf einem Wege erklommen, den -- Colbert
vorgezeichnet hat.


ficht stets auf Eroberungen bedacht, während die Franzosen ihre industriellen
Kräfte im Innern concentriren und nach außen durch Schutzmaßregeln verthei¬
digen. Dieser merkwürdige Richtungsgegensatz, der sich einerseits an den Namen
Colbert und andererseits an das im Wesentlichen auch gegen unabhängige Staa¬
ten geübte britische Colonialsystcm knüpft, ist noch mit einem andern sehr auf¬
fallenden Unterschiede jener beiden Weltstaaten verwandt. Rücksichtlich der Cen¬
tralisation und Localisation vertauschen sich nämlich die Rollen ebenfalls, je
nachdem man die eigentliche Politik oder die bloße Wirthschaft ins Auge faßt.
Frankreich verbindet mit der von Colbert eingeleiteten Decentralisation oder viel¬
mehr Localisation des Wirthschaftsbetriebes eine übermäßig centralisirte innere
Politik; England dagegen, welches als Musterland der localen politischen Kraft¬
entfaltung und der örtlichen Selbstregierung gilt, ist in volkswirthschaftlicher
Hinsicht über alles Maß centralistrt und nach außen gleichsam mit seinem'gan¬
zen Jnselgebiete nur eine industrielle Hauptstadt für die Länder der Welt. So
vertreten die beiden Reiche stets die entgegengesetzten Principien, und es kann
das Zeitalter Colberts. welches ja von der allgemeinen Geschichte das Zeitalter
Ludwigs des Vierzehnten genannt werden muß. als in beiden Richtungen typisch
angesehen werden. Die Franzosen haben später weder die Kriegspolitik jenes
Königs, noch die wirthschaftlichen Grundsätze seines Ministers sonderlich ver-
läugnet. Die letzten zwei Jahrhunderte haben uns gezeigt, wie das eine Prin¬
cip neben dem andern ziemlich stetig zur Geltung gelangt ist, und bisweilen
auch, wie der heilsame Zug der volkswirtschaftlichen Politik durch den militä¬
rischen Glanz und seine unheilvollen Konsequenzen aufgewogen worden ist.
Schon Ludwig der Vierzehnte schädigte seine Macht so weit, daß er sich in
einigen Friedensschlüssen (Nimwegen. Ryswick. Utrecht) für die wirthschaft-
liche Politik die Hände binden lassen und Zugeständnisse machen mußte, die mit
der Tendenz der colbertschen Einrichtungen unverträglich waren. Die Kncgs-
politik gefährdete, was durch den Geist einer wohlgeordneten Volkswirtschaft
ins Leben gerufen war. Eine ähnliche Bewandtniß hatte es anderthalb Jahr¬
hunderte später mit dem in der Regel so einseitig verlästerten Contincntalsystem
Napoleons. Frankreich konnte die Früchte desselben nur zum Theil retten, in¬
dem es nach dem Fall des großen Eroberers in einer energischen Schutzpolitik
sein Heil suchte. So ist es immer das Schicksal dieses Landes gewesen, durch
die Politik der Waffen den Erfolg einer weisen Handelspolitik verletzt oder be¬
droht zu sehen. Noch hat es sich, wie sein auf dem Princip der Handelsfrei¬
heit beruhender Vertrag mit England zeigt, aller jener Störungen ungeachtet
durch den umsichtigen Schutz seiner innern industriellen Entwicklung zu einer
Höhe emporgearbeitet, die ihm die freie Concurrenz mit den englischen Kräften
möglich macht, und diese Höhe ist auf einem Wege erklommen, den — Colbert
vorgezeichnet hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/414>, abgerufen am 22.07.2024.