Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eiüibny, in der einen Hand den Krummstab, in der andern die Brodschaufcl
haltend, mit der man den Teig in den Backofen einschießt.

In einigen Ortschaften des Altaargaus und Oberaargaus beginnt man die
Zeit der Zwölften mit der uralten Eigenthümlichkeit des Rübeng chies tes.
Unter den weißen Rüben, die in Scheune und Keller eingewintert liegen, sucht
sich jeder Knabe die größte mit langer spindelförmiger Wurzel aus. Sie wird
bis auf die Rinde ausgehöhlt, gegen die Wurzel hin sticht man ein paar kreis¬
runde Augenhöhlen hinein, darunter kommt das Dreieck der Nase, dann der
weit offne Mund, in welchem das weiße Fleisch der Rübe zu einer breiten Reih
aufgcstaffelter Schaufclzähne ausgezackt wird. Ans Kinn wird ein flächsener
Knebelbart gethan, mit Nuß geschwärzt, oben ans Haupt werden geflochtene
Weidenruthen eingekrümmt, Bockshörner vorstellend. Hat man ins Innere ein
brennendes Kerzchen hineingestellt, so steckt man das Phantom auf eine hohe
Stange und läßt es Nachts den Leuten bis ins obere Stockwerk zu den Fen¬
stern hineinschauen. Zuweilen begegnet diesem Rübengesicht ein anderes mit
weit hellerem Schein und noch breiterer Grimasse; dieses ist dann von einem
glücklicheren Künstler ans einem Flaschenkürbis geschnitzt. In diesem Kinder¬
spiel ist bereits alles vorhanden, was zur Erscheinungsweise der alten Gottheit
gehört: Ansehender, leuchtender Blick, feuriger Athem, Langbart/gehörntes
Haupthaar, übermenschliche Höhe der Gestalt. Er kommt, die Opferschmäuse
seiner Gläubigen zu besuchen und schaut daher Nachts der um den Tisch sitzen¬
den Familie hoch zur obern Stube hinein. Noch erinnert der Kalte Jahrmarkt
in den Städten Basel und Zofingen nebst den damit verknüpften Ortssagen
daran, wie lange man hier um Mittwinter alljährlich den großen Gerichts- und
Opfertag begangen und des Gottes örtliches Erscheinen gemeindeweise ausge¬
rufen hat. bis diese alte Ucbiichkeit zu Basel vergessen ging, zu Zofingen in
ein städtisches Kuiderfcst verlief. In letzterer Stadt war ver Brauch so alt.
daß ihn schon Stumpf 1548 in seiner Schweizerchronik erwähnt und Fäsi 1766
in der helvetischen Erdbeschreibung (1, 834) noch die denkwürdige Chile dazu
meldet. Am Abend des 16. Novembers, als dem Otmarstage, rückten daselbst
des Nachts zur bestimmten Stunde alle Kinder, aber auch alle städtischen Be¬
hörden in ihrer vollen Amtstracht aus, die Erwachsenen Windlichter tragend,
die Kinder dagegen ihre auf Stangen gesteckten transparenten hohlen Rüben.
Unter dem Bortritt der Weibel und Amtsknechte durchging der Zug die Stra¬
ßen der Stadt, um in jeglicher auf eine andere Weise beschenkt zu werden.
Vom Kirchthurm wurden Nüsse und neugeprägte Rappenstücke ausgeworfen, aus
der Stiftsschaffncrei die Festbrode der Mütschenwecklei". im Rathhausteller floß
für jeden Bürger der Ehrenweiu, alle Zünfte hielten gegenseitige Freitafcl. An
alle" Hauptplätzen rief der Zug aus einem Munde die alte Losung: Dohar
gobe Er! d. h. daher kommt er, der Gott und sein Erntewagen, gegangen.


eiüibny, in der einen Hand den Krummstab, in der andern die Brodschaufcl
haltend, mit der man den Teig in den Backofen einschießt.

In einigen Ortschaften des Altaargaus und Oberaargaus beginnt man die
Zeit der Zwölften mit der uralten Eigenthümlichkeit des Rübeng chies tes.
Unter den weißen Rüben, die in Scheune und Keller eingewintert liegen, sucht
sich jeder Knabe die größte mit langer spindelförmiger Wurzel aus. Sie wird
bis auf die Rinde ausgehöhlt, gegen die Wurzel hin sticht man ein paar kreis¬
runde Augenhöhlen hinein, darunter kommt das Dreieck der Nase, dann der
weit offne Mund, in welchem das weiße Fleisch der Rübe zu einer breiten Reih
aufgcstaffelter Schaufclzähne ausgezackt wird. Ans Kinn wird ein flächsener
Knebelbart gethan, mit Nuß geschwärzt, oben ans Haupt werden geflochtene
Weidenruthen eingekrümmt, Bockshörner vorstellend. Hat man ins Innere ein
brennendes Kerzchen hineingestellt, so steckt man das Phantom auf eine hohe
Stange und läßt es Nachts den Leuten bis ins obere Stockwerk zu den Fen¬
stern hineinschauen. Zuweilen begegnet diesem Rübengesicht ein anderes mit
weit hellerem Schein und noch breiterer Grimasse; dieses ist dann von einem
glücklicheren Künstler ans einem Flaschenkürbis geschnitzt. In diesem Kinder¬
spiel ist bereits alles vorhanden, was zur Erscheinungsweise der alten Gottheit
gehört: Ansehender, leuchtender Blick, feuriger Athem, Langbart/gehörntes
Haupthaar, übermenschliche Höhe der Gestalt. Er kommt, die Opferschmäuse
seiner Gläubigen zu besuchen und schaut daher Nachts der um den Tisch sitzen¬
den Familie hoch zur obern Stube hinein. Noch erinnert der Kalte Jahrmarkt
in den Städten Basel und Zofingen nebst den damit verknüpften Ortssagen
daran, wie lange man hier um Mittwinter alljährlich den großen Gerichts- und
Opfertag begangen und des Gottes örtliches Erscheinen gemeindeweise ausge¬
rufen hat. bis diese alte Ucbiichkeit zu Basel vergessen ging, zu Zofingen in
ein städtisches Kuiderfcst verlief. In letzterer Stadt war ver Brauch so alt.
daß ihn schon Stumpf 1548 in seiner Schweizerchronik erwähnt und Fäsi 1766
in der helvetischen Erdbeschreibung (1, 834) noch die denkwürdige Chile dazu
meldet. Am Abend des 16. Novembers, als dem Otmarstage, rückten daselbst
des Nachts zur bestimmten Stunde alle Kinder, aber auch alle städtischen Be¬
hörden in ihrer vollen Amtstracht aus, die Erwachsenen Windlichter tragend,
die Kinder dagegen ihre auf Stangen gesteckten transparenten hohlen Rüben.
Unter dem Bortritt der Weibel und Amtsknechte durchging der Zug die Stra¬
ßen der Stadt, um in jeglicher auf eine andere Weise beschenkt zu werden.
Vom Kirchthurm wurden Nüsse und neugeprägte Rappenstücke ausgeworfen, aus
der Stiftsschaffncrei die Festbrode der Mütschenwecklei». im Rathhausteller floß
für jeden Bürger der Ehrenweiu, alle Zünfte hielten gegenseitige Freitafcl. An
alle» Hauptplätzen rief der Zug aus einem Munde die alte Losung: Dohar
gobe Er! d. h. daher kommt er, der Gott und sein Erntewagen, gegangen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190011"/>
          <p xml:id="ID_1338" prev="#ID_1337"> eiüibny, in der einen Hand den Krummstab, in der andern die Brodschaufcl<lb/>
haltend, mit der man den Teig in den Backofen einschießt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1339" next="#ID_1340"> In einigen Ortschaften des Altaargaus und Oberaargaus beginnt man die<lb/>
Zeit der Zwölften mit der uralten Eigenthümlichkeit des Rübeng chies tes.<lb/>
Unter den weißen Rüben, die in Scheune und Keller eingewintert liegen, sucht<lb/>
sich jeder Knabe die größte mit langer spindelförmiger Wurzel aus.  Sie wird<lb/>
bis auf die Rinde ausgehöhlt, gegen die Wurzel hin sticht man ein paar kreis¬<lb/>
runde Augenhöhlen hinein, darunter kommt das Dreieck der Nase, dann der<lb/>
weit offne Mund, in welchem das weiße Fleisch der Rübe zu einer breiten Reih<lb/>
aufgcstaffelter Schaufclzähne ausgezackt wird.  Ans Kinn wird ein flächsener<lb/>
Knebelbart gethan, mit Nuß geschwärzt, oben ans Haupt werden geflochtene<lb/>
Weidenruthen eingekrümmt, Bockshörner vorstellend.  Hat man ins Innere ein<lb/>
brennendes Kerzchen hineingestellt, so steckt man das Phantom auf eine hohe<lb/>
Stange und läßt es Nachts den Leuten bis ins obere Stockwerk zu den Fen¬<lb/>
stern hineinschauen.  Zuweilen begegnet diesem Rübengesicht ein anderes mit<lb/>
weit hellerem Schein und noch breiterer Grimasse; dieses ist dann von einem<lb/>
glücklicheren Künstler ans einem Flaschenkürbis geschnitzt.  In diesem Kinder¬<lb/>
spiel ist bereits alles vorhanden, was zur Erscheinungsweise der alten Gottheit<lb/>
gehört: Ansehender, leuchtender Blick, feuriger Athem, Langbart/gehörntes<lb/>
Haupthaar, übermenschliche Höhe der Gestalt.  Er kommt, die Opferschmäuse<lb/>
seiner Gläubigen zu besuchen und schaut daher Nachts der um den Tisch sitzen¬<lb/>
den Familie hoch zur obern Stube hinein.  Noch erinnert der Kalte Jahrmarkt<lb/>
in den Städten Basel und Zofingen nebst den damit verknüpften Ortssagen<lb/>
daran, wie lange man hier um Mittwinter alljährlich den großen Gerichts- und<lb/>
Opfertag begangen und des Gottes örtliches Erscheinen gemeindeweise ausge¬<lb/>
rufen hat. bis diese alte Ucbiichkeit zu Basel vergessen ging, zu Zofingen in<lb/>
ein städtisches Kuiderfcst verlief.  In letzterer Stadt war ver Brauch so alt.<lb/>
daß ihn schon Stumpf 1548 in seiner Schweizerchronik erwähnt und Fäsi 1766<lb/>
in der helvetischen Erdbeschreibung (1, 834) noch die denkwürdige Chile dazu<lb/>
meldet.  Am Abend des 16. Novembers, als dem Otmarstage, rückten daselbst<lb/>
des Nachts zur bestimmten Stunde alle Kinder, aber auch alle städtischen Be¬<lb/>
hörden in ihrer vollen Amtstracht aus, die Erwachsenen Windlichter tragend,<lb/>
die Kinder dagegen ihre auf Stangen gesteckten transparenten hohlen Rüben.<lb/>
Unter dem Bortritt der Weibel und Amtsknechte durchging der Zug die Stra¬<lb/>
ßen der Stadt, um in jeglicher auf eine andere Weise beschenkt zu werden.<lb/>
Vom Kirchthurm wurden Nüsse und neugeprägte Rappenstücke ausgeworfen, aus<lb/>
der Stiftsschaffncrei die Festbrode der Mütschenwecklei». im Rathhausteller floß<lb/>
für jeden Bürger der Ehrenweiu, alle Zünfte hielten gegenseitige Freitafcl. An<lb/>
alle» Hauptplätzen rief der Zug aus einem Munde die alte Losung: Dohar<lb/>
gobe Er! d. h. daher kommt er, der Gott und sein Erntewagen, gegangen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0387] eiüibny, in der einen Hand den Krummstab, in der andern die Brodschaufcl haltend, mit der man den Teig in den Backofen einschießt. In einigen Ortschaften des Altaargaus und Oberaargaus beginnt man die Zeit der Zwölften mit der uralten Eigenthümlichkeit des Rübeng chies tes. Unter den weißen Rüben, die in Scheune und Keller eingewintert liegen, sucht sich jeder Knabe die größte mit langer spindelförmiger Wurzel aus. Sie wird bis auf die Rinde ausgehöhlt, gegen die Wurzel hin sticht man ein paar kreis¬ runde Augenhöhlen hinein, darunter kommt das Dreieck der Nase, dann der weit offne Mund, in welchem das weiße Fleisch der Rübe zu einer breiten Reih aufgcstaffelter Schaufclzähne ausgezackt wird. Ans Kinn wird ein flächsener Knebelbart gethan, mit Nuß geschwärzt, oben ans Haupt werden geflochtene Weidenruthen eingekrümmt, Bockshörner vorstellend. Hat man ins Innere ein brennendes Kerzchen hineingestellt, so steckt man das Phantom auf eine hohe Stange und läßt es Nachts den Leuten bis ins obere Stockwerk zu den Fen¬ stern hineinschauen. Zuweilen begegnet diesem Rübengesicht ein anderes mit weit hellerem Schein und noch breiterer Grimasse; dieses ist dann von einem glücklicheren Künstler ans einem Flaschenkürbis geschnitzt. In diesem Kinder¬ spiel ist bereits alles vorhanden, was zur Erscheinungsweise der alten Gottheit gehört: Ansehender, leuchtender Blick, feuriger Athem, Langbart/gehörntes Haupthaar, übermenschliche Höhe der Gestalt. Er kommt, die Opferschmäuse seiner Gläubigen zu besuchen und schaut daher Nachts der um den Tisch sitzen¬ den Familie hoch zur obern Stube hinein. Noch erinnert der Kalte Jahrmarkt in den Städten Basel und Zofingen nebst den damit verknüpften Ortssagen daran, wie lange man hier um Mittwinter alljährlich den großen Gerichts- und Opfertag begangen und des Gottes örtliches Erscheinen gemeindeweise ausge¬ rufen hat. bis diese alte Ucbiichkeit zu Basel vergessen ging, zu Zofingen in ein städtisches Kuiderfcst verlief. In letzterer Stadt war ver Brauch so alt. daß ihn schon Stumpf 1548 in seiner Schweizerchronik erwähnt und Fäsi 1766 in der helvetischen Erdbeschreibung (1, 834) noch die denkwürdige Chile dazu meldet. Am Abend des 16. Novembers, als dem Otmarstage, rückten daselbst des Nachts zur bestimmten Stunde alle Kinder, aber auch alle städtischen Be¬ hörden in ihrer vollen Amtstracht aus, die Erwachsenen Windlichter tragend, die Kinder dagegen ihre auf Stangen gesteckten transparenten hohlen Rüben. Unter dem Bortritt der Weibel und Amtsknechte durchging der Zug die Stra¬ ßen der Stadt, um in jeglicher auf eine andere Weise beschenkt zu werden. Vom Kirchthurm wurden Nüsse und neugeprägte Rappenstücke ausgeworfen, aus der Stiftsschaffncrei die Festbrode der Mütschenwecklei». im Rathhausteller floß für jeden Bürger der Ehrenweiu, alle Zünfte hielten gegenseitige Freitafcl. An alle» Hauptplätzen rief der Zug aus einem Munde die alte Losung: Dohar gobe Er! d. h. daher kommt er, der Gott und sein Erntewagen, gegangen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/387
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/387>, abgerufen am 22.07.2024.