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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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preßt ist, oder sogenannte Schwammsische, dicke Honigbrode mit einem ähnlichen
Bilde. Sie dienten ehedem als die wesentlichen Neujahrsgeschenle und wurden
nicht blos den Freunden, sondern auch der Dienstherrschaft und der Obrigkeit
zum Zeichen des Unterthanenverhältnisses überbracht. Das Arcbivörcgister des
aargauer Frauenklosters Hermetschwil im Freienamtc verzeichnet pg. 73 unter
den Ncujahrsausgabcn der dortigen Äbtissin: "Maß ich sür lebküchige Fisch auf
Muri (Abtei) und anderswohin zum Guvtjahr geschickt." Ändenvcirls verwan¬
delte sich dieser Lebluchensisch in das Festbrod der Schnecke, das jetzt das üb¬
lichste am Nikolaustage ist. Fisch und Schnecke erscheinen aber in der Mythe
als die steten Stellvertreter des Ebers oder Bargen. Daher werden vom Hoch-
nvrdcn an bis in unsre Alpen zur selben Zeit der Zwölften die Bilobrvde der
Ferkelkuchen gebacken, die der vlämische Belgier und der niederdeutsche
vui'Kens nennt. Wir erinnern an den nordischen Jul-Eber, der zur Zeit der
Zwölften geschlachtet, oder als Kuchen geteigt das Weihnachtsfest schmücken helft.
Wer nicht vermöglich genug ist, den gefüllten Schweinskopf auf die Tafel zu
setzen, der begnügt sich in Nieder- und Oberdeutschland mit dem einschlägigen
Fvrmbrvde. Die zürcher Brcchtirgelein und Lebküchlein zeigen dann den Eber¬
kopf und den springenden Eber, zu derselben Zeit, wo man in Friedrichsstedt
a. d. Eider die Lund MMdckm'LS bäckt, darunter einen getcigten Eber, dessen
Ohren und Ringelschwanz vergoldet ist und welcher also völlig jenes "Gold-
fcrch" unsrer oberdeutschen Rechtsalterthümer wiederholt, das einst durch die
Bänke der Schöffen festlich zum Opfer geführt worden ist. Daraus darf ge>
folgert werden, daß unser Nikolaus in eine heidnische Verwandtschaft mit dem
Gotte Fro gebracht worden war. Dieser die Zucht der Weidethiere fördernde
und mit der verjüngten Kraft der Sonne den Weltgang wieder eröffnende
Gott kommt auf dem strahlenden Goldeber einher. Wuotan zugleich aus dem
Schimmel, Donar mit dem Gespann seiner Böcke. Alle drei verrathen sich noch
in den Weihnachtsmaskeraden als Schimmelreiter und Klapperbock; der Eber
dadurch, daß unsre Klausenknaben Hauzähne aus weißen Rüben geschnitten
in den Maötenmund stecken. Einen Herrscherstab führen ohnedies alle drei
Gottheiten: Wuotan den Speer, Donar den Wanderstab, Fru das Schwert.
Darum hat dieser Stab in des Nikolaus Hand so vielerlei Wandlungen durch¬
zumachen. Der Heilige ist Schifferpatrvn und führt daher ein Ruder; er ist
Hirtengott mit Klausenpcitsche und Schäferstab; Bischof und hat den Krumm¬
stab. Und da mit seinem Erscheinen die Tage des süßen Backwerkes beginnen,
so ist er auch Patron der Bäcker geworden.*) Er wird dargestellt in pontiti-



') Eine Abbildung des Wappens der Bäcker von Anas v. I, 14V7 ist enthalten im
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preßt ist, oder sogenannte Schwammsische, dicke Honigbrode mit einem ähnlichen
Bilde. Sie dienten ehedem als die wesentlichen Neujahrsgeschenle und wurden
nicht blos den Freunden, sondern auch der Dienstherrschaft und der Obrigkeit
zum Zeichen des Unterthanenverhältnisses überbracht. Das Arcbivörcgister des
aargauer Frauenklosters Hermetschwil im Freienamtc verzeichnet pg. 73 unter
den Ncujahrsausgabcn der dortigen Äbtissin: „Maß ich sür lebküchige Fisch auf
Muri (Abtei) und anderswohin zum Guvtjahr geschickt." Ändenvcirls verwan¬
delte sich dieser Lebluchensisch in das Festbrod der Schnecke, das jetzt das üb¬
lichste am Nikolaustage ist. Fisch und Schnecke erscheinen aber in der Mythe
als die steten Stellvertreter des Ebers oder Bargen. Daher werden vom Hoch-
nvrdcn an bis in unsre Alpen zur selben Zeit der Zwölften die Bilobrvde der
Ferkelkuchen gebacken, die der vlämische Belgier und der niederdeutsche
vui'Kens nennt. Wir erinnern an den nordischen Jul-Eber, der zur Zeit der
Zwölften geschlachtet, oder als Kuchen geteigt das Weihnachtsfest schmücken helft.
Wer nicht vermöglich genug ist, den gefüllten Schweinskopf auf die Tafel zu
setzen, der begnügt sich in Nieder- und Oberdeutschland mit dem einschlägigen
Fvrmbrvde. Die zürcher Brcchtirgelein und Lebküchlein zeigen dann den Eber¬
kopf und den springenden Eber, zu derselben Zeit, wo man in Friedrichsstedt
a. d. Eider die Lund MMdckm'LS bäckt, darunter einen getcigten Eber, dessen
Ohren und Ringelschwanz vergoldet ist und welcher also völlig jenes „Gold-
fcrch" unsrer oberdeutschen Rechtsalterthümer wiederholt, das einst durch die
Bänke der Schöffen festlich zum Opfer geführt worden ist. Daraus darf ge>
folgert werden, daß unser Nikolaus in eine heidnische Verwandtschaft mit dem
Gotte Fro gebracht worden war. Dieser die Zucht der Weidethiere fördernde
und mit der verjüngten Kraft der Sonne den Weltgang wieder eröffnende
Gott kommt auf dem strahlenden Goldeber einher. Wuotan zugleich aus dem
Schimmel, Donar mit dem Gespann seiner Böcke. Alle drei verrathen sich noch
in den Weihnachtsmaskeraden als Schimmelreiter und Klapperbock; der Eber
dadurch, daß unsre Klausenknaben Hauzähne aus weißen Rüben geschnitten
in den Maötenmund stecken. Einen Herrscherstab führen ohnedies alle drei
Gottheiten: Wuotan den Speer, Donar den Wanderstab, Fru das Schwert.
Darum hat dieser Stab in des Nikolaus Hand so vielerlei Wandlungen durch¬
zumachen. Der Heilige ist Schifferpatrvn und führt daher ein Ruder; er ist
Hirtengott mit Klausenpcitsche und Schäferstab; Bischof und hat den Krumm¬
stab. Und da mit seinem Erscheinen die Tage des süßen Backwerkes beginnen,
so ist er auch Patron der Bäcker geworden.*) Er wird dargestellt in pontiti-



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/386>, abgerufen am 03.07.2024.