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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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statt der süßen Maultäschlcin (Bisquit) und der frischen Ohrfeigen (Mürbgebäcke)
setzt es solche in Wirklichkeit ad, statt der langen Zuckerschnecken giebt es leere
Schncckenhäuscl, gar nichts, statt der Klausenäpfel nur Roßäpfel vom Schim¬
mel des Nikolaus, statt des vollbehangenen Klausengrotzli (Tannenbäumchens)
nur die splitternackte Ruthe.

Auch die Knabenschaft der Dorfbursche schneidet sich nun zu gleichem Zwecke
ihr besonderes Klausenbolz. Aus dem Schafte der Stechpalme wird ein kur¬
zer dicker Geiselsteckcn gemacht, daran kommt entweder ein Seil von ungewöhn¬
licher Lange, oder eine aus Ledernemchen geflochtene Schnur, an deren Ende
erst die eigentliche Knallgcisel mit einem sogenannten Zwick (Peitschcnschnürchen)
eingeflochten ist. Ein gutgcführter Zug und Schwung mit einer solchen Schaf-
gcisel bringt einen muskctcnschußähnlichen Knall hervor. Damit beginnt nun
die Dorftnabcnschaft den Klaus zu jagen im Thale der Reuß, der Aare, im
Hallwilcr-Seethale. Man behängt sich mit Weideglockcn und Schlittengeschellc,
mit Blcchstürzen und Pfannendeckeln, ja mit Käsekesseln, an deren Gewichte
sonst ihrer zwei sattsam zu tragen haben. Alles soll schellen, tönen, rasseln.
Ketten läßt man an den Beinen nachklirren, daß es um die Steine am Dorf-
bande funkt. scheiternd und kollernd schwingt man an Stäben aufgeblähte
Rinderblasen mit Erbsen gefüllt; Widderköpfe aus Holz geschnitzt werden an
bänderflatternden Stangen mitgetragen. Auf Kuhhörnern, Milchtrichtern, Glas-
flaschen mit ausgeschlagenen Boden, auf Alphörnern, Weidenschalmeien (Güg-
genen), endlich auf den Blechinstrumenten der Soldaten und den Signalhörnern
der Schützen wird aufgeblasen und aus allen Kehlen mit dreingejauchzt. Berg
und Thal erschallt von den furchtbaren Anstrengungen dieser Klausenjäger;
sie wiederholen förmlich den ganzen Schrecken einer wilden Jagd, die um die¬
selben Nächte sagenhaft durch eben diese Thäler zieht. Begegnen sich zwei solche
Rotten ans verschiedenen Dörfern, so setzt es einen Kampf ab, bei welchem die
schwächere Partei ihre Peitschen zum Pfande lassen muß. Die ganze Nacht
hindurch, bis es wieder tagt und die Kapcllenglocke zur Frühmesse läutet, ist
es ihnen erlaubt, von Haus zu Haus ihren Besuch abzustatten und Gaben ein¬
zusammeln. Je ärger sie knallen, um so mehr an geschwungener Nidel (ge¬
blähter Rahm) und Virnenbrod hoffen sie zu "erchlöpfen", zu crknallen; je
mehr sie in die Luft schrei", um so mehr Most, Käse und Rauchfleisch werden
sie erhalten; Schnitze. Nüsse. Kastanien gehen haufenweise mit drein, der
Bauer ist zu dieser Zeit ohnedies freigebiger gestimmt und glaubt wohl gar, in
dem Geschenke an die Burschen eine Art verdienstliches Almosen verabreicht
zu haben. Denn wie sie heute lärmend und gabenheischend ihr ganzes Ge¬
meindegebiet, schnellfüßig durchspringen, so haben sie ehedem durch Berg und
Thal den Beginn der vierzehn Wcihenächte ausgerufen und jeden Landesgcnossen
gemahnt, das Haus zu rüsten mit Milch. Fleisch und Brod zur Feier der bevor-


Grenzboten IV. 18K4. 48

statt der süßen Maultäschlcin (Bisquit) und der frischen Ohrfeigen (Mürbgebäcke)
setzt es solche in Wirklichkeit ad, statt der langen Zuckerschnecken giebt es leere
Schncckenhäuscl, gar nichts, statt der Klausenäpfel nur Roßäpfel vom Schim¬
mel des Nikolaus, statt des vollbehangenen Klausengrotzli (Tannenbäumchens)
nur die splitternackte Ruthe.

Auch die Knabenschaft der Dorfbursche schneidet sich nun zu gleichem Zwecke
ihr besonderes Klausenbolz. Aus dem Schafte der Stechpalme wird ein kur¬
zer dicker Geiselsteckcn gemacht, daran kommt entweder ein Seil von ungewöhn¬
licher Lange, oder eine aus Ledernemchen geflochtene Schnur, an deren Ende
erst die eigentliche Knallgcisel mit einem sogenannten Zwick (Peitschcnschnürchen)
eingeflochten ist. Ein gutgcführter Zug und Schwung mit einer solchen Schaf-
gcisel bringt einen muskctcnschußähnlichen Knall hervor. Damit beginnt nun
die Dorftnabcnschaft den Klaus zu jagen im Thale der Reuß, der Aare, im
Hallwilcr-Seethale. Man behängt sich mit Weideglockcn und Schlittengeschellc,
mit Blcchstürzen und Pfannendeckeln, ja mit Käsekesseln, an deren Gewichte
sonst ihrer zwei sattsam zu tragen haben. Alles soll schellen, tönen, rasseln.
Ketten läßt man an den Beinen nachklirren, daß es um die Steine am Dorf-
bande funkt. scheiternd und kollernd schwingt man an Stäben aufgeblähte
Rinderblasen mit Erbsen gefüllt; Widderköpfe aus Holz geschnitzt werden an
bänderflatternden Stangen mitgetragen. Auf Kuhhörnern, Milchtrichtern, Glas-
flaschen mit ausgeschlagenen Boden, auf Alphörnern, Weidenschalmeien (Güg-
genen), endlich auf den Blechinstrumenten der Soldaten und den Signalhörnern
der Schützen wird aufgeblasen und aus allen Kehlen mit dreingejauchzt. Berg
und Thal erschallt von den furchtbaren Anstrengungen dieser Klausenjäger;
sie wiederholen förmlich den ganzen Schrecken einer wilden Jagd, die um die¬
selben Nächte sagenhaft durch eben diese Thäler zieht. Begegnen sich zwei solche
Rotten ans verschiedenen Dörfern, so setzt es einen Kampf ab, bei welchem die
schwächere Partei ihre Peitschen zum Pfande lassen muß. Die ganze Nacht
hindurch, bis es wieder tagt und die Kapcllenglocke zur Frühmesse läutet, ist
es ihnen erlaubt, von Haus zu Haus ihren Besuch abzustatten und Gaben ein¬
zusammeln. Je ärger sie knallen, um so mehr an geschwungener Nidel (ge¬
blähter Rahm) und Virnenbrod hoffen sie zu „erchlöpfen", zu crknallen; je
mehr sie in die Luft schrei», um so mehr Most, Käse und Rauchfleisch werden
sie erhalten; Schnitze. Nüsse. Kastanien gehen haufenweise mit drein, der
Bauer ist zu dieser Zeit ohnedies freigebiger gestimmt und glaubt wohl gar, in
dem Geschenke an die Burschen eine Art verdienstliches Almosen verabreicht
zu haben. Denn wie sie heute lärmend und gabenheischend ihr ganzes Ge¬
meindegebiet, schnellfüßig durchspringen, so haben sie ehedem durch Berg und
Thal den Beginn der vierzehn Wcihenächte ausgerufen und jeden Landesgcnossen
gemahnt, das Haus zu rüsten mit Milch. Fleisch und Brod zur Feier der bevor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/381>, abgerufen am 22.07.2024.