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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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der Gegenstände sichern seinen Bildern doch die allgemeinste und fast immer
erfreulich Wirkung. Keiner versteht es so gut wie er, den menschlichen Stel¬
lungen und Bewegungen den Anschein des Zufälligen und Nichtgcstellten zu
geben. Diese große Fähigkeit, die unbefangene Wirklichkeit zu belauschen, macht
Vautier zu dem vorzüglichen Darsteller von Kindersccnen und nicht minder
von aller ursprünglichen, simpeln Menschennatur, also auch jener ländlichen
Vorgänge, die er so wahr und zugleich mit so liebenswürdigem Humor zu
schildern weih. Drei Bilder stellt er hier aus: den "Maler in der Bauern¬
schenke", den "ungeschickten Liebesboten" und "die Mutter kommt". Im ersten
sind dem alten Stoff wieder manche neue und belustigende Seiten abgewonnen;
der zeichnende Künstler, sein verlegen und unbeholfen vor ihm dasitzendes
bäuerisches Modell, die theils verwunderten, theils auf Kosten des letztern amu-
sirten Zuschauer der Scene, vortrefflich gegeben. Origineller und zu einer noch
bestimmteren Pointe zugespitzt sind die beiden andern Bilder: das näherte junge
Mädchen, welchem jener "ungeschickte Licbesbote" das große Blumenbouquet,
das ihm draußen für die Schöne übergeben wurde, in Gegenwart der erstaunten
Mutter ins Zimmer bringt; die andre höchst anmuthige Dorfschöne, deren zärt¬
liches Beisammensein mit ihrem Schatz durch das plötzliche Aufgehn der Stuben-
thür unterbrochen wird, welche freilich nicht, wie die aufgeschreckte meint, von
der kommenden Mutter geöffnet, sondern von einer unschuldigen Ziege aus
gestoßen wird. In den Gestalten dieser Bilder ist eine durchaus tüchtige Ge¬
sundheit, es sind ihnen keine Empfindungen, kein Benehmen angedichtet, das
ihrer natürlichen Sphäre nicht gemäß wäre. Innerhalb dessen aber die größte
Feinheit des Ausdrucks in Köpfen und Bewegungen und dazu eine malerische
Behandlung, die, was ihr an Brillanz des farbigen Effects abgeht durch stille
Gediegenheit hinlänglich ersetzt.

Sondermann, Salentin, Ernst Hildebrandt, Webb, Kretzsch-
mer und besonders Hiddemann sind in verwandter Gattung in höherem
oder geringerem Grade ausgezeichnet. Letzterer, dessen Beider von Jahr zu
Jahr an originellem Gehalt und malerischer Tüchtigkeit zunehmen, reiht sich
mit seinem "Liebhabcrquartctt", und seiner "Kindergcsellschaft" dem Besten an,
was überhaupt diesmal im naiven und fein humoristischen Genre geleistet ist.
Weniger auf die unmittelbare Darstellung selbstbeobachteter Natur gerichtet sind
Siegert und Sohn in Düsseldorf. Ihre Anschauung ist modern, aber sie
halten es ihren malerischen Zwecken für dienlicher, die darzustellenden Scenen
in ein ziemlich allgemeines, immerhin geschmackvolles spätmittelalterliches Costüm
zu kleiden, ohne daß dies eigentlich durch den Stoff direct gefordert würde.
Die "Gewissensfrage" des letztgenannten Künstlers -- ein schönes junges Mäd¬
chen von ihrer Mutter mit ängstlich dringender Frage nach einem verborgenen
Herzensgeheimniß bestürmt -- hat durch die psychologische Feinheit wie durch


der Gegenstände sichern seinen Bildern doch die allgemeinste und fast immer
erfreulich Wirkung. Keiner versteht es so gut wie er, den menschlichen Stel¬
lungen und Bewegungen den Anschein des Zufälligen und Nichtgcstellten zu
geben. Diese große Fähigkeit, die unbefangene Wirklichkeit zu belauschen, macht
Vautier zu dem vorzüglichen Darsteller von Kindersccnen und nicht minder
von aller ursprünglichen, simpeln Menschennatur, also auch jener ländlichen
Vorgänge, die er so wahr und zugleich mit so liebenswürdigem Humor zu
schildern weih. Drei Bilder stellt er hier aus: den „Maler in der Bauern¬
schenke", den „ungeschickten Liebesboten" und „die Mutter kommt". Im ersten
sind dem alten Stoff wieder manche neue und belustigende Seiten abgewonnen;
der zeichnende Künstler, sein verlegen und unbeholfen vor ihm dasitzendes
bäuerisches Modell, die theils verwunderten, theils auf Kosten des letztern amu-
sirten Zuschauer der Scene, vortrefflich gegeben. Origineller und zu einer noch
bestimmteren Pointe zugespitzt sind die beiden andern Bilder: das näherte junge
Mädchen, welchem jener „ungeschickte Licbesbote" das große Blumenbouquet,
das ihm draußen für die Schöne übergeben wurde, in Gegenwart der erstaunten
Mutter ins Zimmer bringt; die andre höchst anmuthige Dorfschöne, deren zärt¬
liches Beisammensein mit ihrem Schatz durch das plötzliche Aufgehn der Stuben-
thür unterbrochen wird, welche freilich nicht, wie die aufgeschreckte meint, von
der kommenden Mutter geöffnet, sondern von einer unschuldigen Ziege aus
gestoßen wird. In den Gestalten dieser Bilder ist eine durchaus tüchtige Ge¬
sundheit, es sind ihnen keine Empfindungen, kein Benehmen angedichtet, das
ihrer natürlichen Sphäre nicht gemäß wäre. Innerhalb dessen aber die größte
Feinheit des Ausdrucks in Köpfen und Bewegungen und dazu eine malerische
Behandlung, die, was ihr an Brillanz des farbigen Effects abgeht durch stille
Gediegenheit hinlänglich ersetzt.

Sondermann, Salentin, Ernst Hildebrandt, Webb, Kretzsch-
mer und besonders Hiddemann sind in verwandter Gattung in höherem
oder geringerem Grade ausgezeichnet. Letzterer, dessen Beider von Jahr zu
Jahr an originellem Gehalt und malerischer Tüchtigkeit zunehmen, reiht sich
mit seinem „Liebhabcrquartctt", und seiner „Kindergcsellschaft" dem Besten an,
was überhaupt diesmal im naiven und fein humoristischen Genre geleistet ist.
Weniger auf die unmittelbare Darstellung selbstbeobachteter Natur gerichtet sind
Siegert und Sohn in Düsseldorf. Ihre Anschauung ist modern, aber sie
halten es ihren malerischen Zwecken für dienlicher, die darzustellenden Scenen
in ein ziemlich allgemeines, immerhin geschmackvolles spätmittelalterliches Costüm
zu kleiden, ohne daß dies eigentlich durch den Stoff direct gefordert würde.
Die „Gewissensfrage" des letztgenannten Künstlers — ein schönes junges Mäd¬
chen von ihrer Mutter mit ängstlich dringender Frage nach einem verborgenen
Herzensgeheimniß bestürmt — hat durch die psychologische Feinheit wie durch


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[0347] der Gegenstände sichern seinen Bildern doch die allgemeinste und fast immer erfreulich Wirkung. Keiner versteht es so gut wie er, den menschlichen Stel¬ lungen und Bewegungen den Anschein des Zufälligen und Nichtgcstellten zu geben. Diese große Fähigkeit, die unbefangene Wirklichkeit zu belauschen, macht Vautier zu dem vorzüglichen Darsteller von Kindersccnen und nicht minder von aller ursprünglichen, simpeln Menschennatur, also auch jener ländlichen Vorgänge, die er so wahr und zugleich mit so liebenswürdigem Humor zu schildern weih. Drei Bilder stellt er hier aus: den „Maler in der Bauern¬ schenke", den „ungeschickten Liebesboten" und „die Mutter kommt". Im ersten sind dem alten Stoff wieder manche neue und belustigende Seiten abgewonnen; der zeichnende Künstler, sein verlegen und unbeholfen vor ihm dasitzendes bäuerisches Modell, die theils verwunderten, theils auf Kosten des letztern amu- sirten Zuschauer der Scene, vortrefflich gegeben. Origineller und zu einer noch bestimmteren Pointe zugespitzt sind die beiden andern Bilder: das näherte junge Mädchen, welchem jener „ungeschickte Licbesbote" das große Blumenbouquet, das ihm draußen für die Schöne übergeben wurde, in Gegenwart der erstaunten Mutter ins Zimmer bringt; die andre höchst anmuthige Dorfschöne, deren zärt¬ liches Beisammensein mit ihrem Schatz durch das plötzliche Aufgehn der Stuben- thür unterbrochen wird, welche freilich nicht, wie die aufgeschreckte meint, von der kommenden Mutter geöffnet, sondern von einer unschuldigen Ziege aus gestoßen wird. In den Gestalten dieser Bilder ist eine durchaus tüchtige Ge¬ sundheit, es sind ihnen keine Empfindungen, kein Benehmen angedichtet, das ihrer natürlichen Sphäre nicht gemäß wäre. Innerhalb dessen aber die größte Feinheit des Ausdrucks in Köpfen und Bewegungen und dazu eine malerische Behandlung, die, was ihr an Brillanz des farbigen Effects abgeht durch stille Gediegenheit hinlänglich ersetzt. Sondermann, Salentin, Ernst Hildebrandt, Webb, Kretzsch- mer und besonders Hiddemann sind in verwandter Gattung in höherem oder geringerem Grade ausgezeichnet. Letzterer, dessen Beider von Jahr zu Jahr an originellem Gehalt und malerischer Tüchtigkeit zunehmen, reiht sich mit seinem „Liebhabcrquartctt", und seiner „Kindergcsellschaft" dem Besten an, was überhaupt diesmal im naiven und fein humoristischen Genre geleistet ist. Weniger auf die unmittelbare Darstellung selbstbeobachteter Natur gerichtet sind Siegert und Sohn in Düsseldorf. Ihre Anschauung ist modern, aber sie halten es ihren malerischen Zwecken für dienlicher, die darzustellenden Scenen in ein ziemlich allgemeines, immerhin geschmackvolles spätmittelalterliches Costüm zu kleiden, ohne daß dies eigentlich durch den Stoff direct gefordert würde. Die „Gewissensfrage" des letztgenannten Künstlers — ein schönes junges Mäd¬ chen von ihrer Mutter mit ängstlich dringender Frage nach einem verborgenen Herzensgeheimniß bestürmt — hat durch die psychologische Feinheit wie durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/347>, abgerufen am 22.07.2024.