Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.Lebensalter sich der Darstellung menschlicher Vorgänge' und Gestalten hingiebt Je nüchterner, form- und farbloser, je ärmer an malerischen Möglich¬ In entlegneren Ländern, tiefer im Süden sucht Wilhelm Gentz (in Berlin) Lebensalter sich der Darstellung menschlicher Vorgänge' und Gestalten hingiebt Je nüchterner, form- und farbloser, je ärmer an malerischen Möglich¬ In entlegneren Ländern, tiefer im Süden sucht Wilhelm Gentz (in Berlin) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189968"/> <p xml:id="ID_1210" prev="#ID_1209"> Lebensalter sich der Darstellung menschlicher Vorgänge' und Gestalten hingiebt<lb/> und so gründlich und schnell der neuen selbstgestellten Aufgabe Herr zu werden<lb/> Vermag, das? er mit seinem dritten derartigen Bilde seine vollberechtigte Stellung<lb/> unter den besten und am höchsten gefeierten Geuremalern erobert hat, in der<lb/> Schätzung der Kunstgenossen wie des Publicums. Sein großes Bild zeigt eine<lb/> „Feldandacht von meraner Bauern" vor einer einsamen Kapelle im Hochgebirge.<lb/> Bor dem Gemcindeältesten, der aus dem Andachtsbuche vorliest, gruppirt steh<lb/> stehend und knieend eine kleine Versammlung, ernste, tüchtige, charaktervolle Ge¬<lb/> stalten. Männer und Greise, Frauen. Knaben und Mädchen, schlicht und echt,<lb/> der Natur selbst abgelauscht in der Art ihrer Stellungen, im Ausdruck der<lb/> Köpfe, welche ebenso durch das außerordentlich individuelle Leben wie durch die<lb/> scharf beobachtete Naceneinheit frappiren. Und doppelt ergreifend wird dies Schau¬<lb/> spiel ernster, einfacher Andachtübung durch den Schauplatz, denn nicht die Decke<lb/> einer engen Kirche, sondern das unermeßliche reine Himmelsblau wölbt sich<lb/> darüber, die klare Morgensonne ruht darauf und als riesiger Tempelbau ragt,<lb/> ringsum, wolkenhoch im tieferen Hintergrund, das kahle zerklüftete Hochgebirge<lb/> auf. den höchsten Gipfel von geballten Dünsten umhüllt, deren Schatten sich<lb/> dort breit über eine Seite der sonnenhellen Alpenlandschaft hinlagert. Der<lb/> große, ernste und liebevoll in das innerste Wesen der Natur und ihrer Er¬<lb/> scheinungen eindringende Sinn des Künstlers prägt sich in allem, in seinen<lb/> Menschengestalten, wie in der umgebenden Landschaft aus, erquickend und er¬<lb/> hebend für den Beschauer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1211"> Je nüchterner, form- und farbloser, je ärmer an malerischen Möglich¬<lb/> keiten unsere heutige städtische Wirklichkeit ist, desto mehr sehen sich die<lb/> Genremaler veranlaßt, sei es in ländlichen Lebenskreisen, sei es bei fremden<lb/> Nationalitäten, deren Sitte, Tracht und Mcnsehentypen sich noch charak¬<lb/> teristischer, künstlerischen Sinn anmuthender erhalten haben, die Stoffe und<lb/> die Modelle ihrer Bilder zu suchen. Italien, die ehemals willkommenste<lb/> Fundgrube für unsere Künstler, ist durch Mißbrauch etwas in Mißcredit ge¬<lb/> kommen. Doch finden wir diesmal nicht gerade wenige und darunter sehr<lb/> ansprechende Genrebilder aus dem italienischen Leben: ein ganz treffliches mit<lb/> lebensgroßen Halbfiguren von Otto Meyer: „der kleine Egoist", ein prächtiger<lb/> nackter kleiner Bube auf dem Schoß seiner Mutter, einer hübschen römischen<lb/> Bäuerin, der seinem Bater trotzig die Orange verweigert, die dieser lachend<lb/> von ihm erbittet; eine ähnliche Familienscene in gleicher Größe von Güterbock,<lb/> der gleichzeitig aus venetianischen Botts- und Straßenleben mehre hübsche und<lb/> liebenswürdige Bilder entlehnt hat; „die Stiertreiber", jene berittenen Hirten<lb/> der Campagne, ihre Heerde sammelnd, in lebensvoller Darstellung, von Fay.</p><lb/> <p xml:id="ID_1212" next="#ID_1213"> In entlegneren Ländern, tiefer im Süden sucht Wilhelm Gentz (in Berlin)<lb/> die Gegenstände seiner Bilder. Er ist fast der einzige deutsche Maler des Orients</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0344]
Lebensalter sich der Darstellung menschlicher Vorgänge' und Gestalten hingiebt
und so gründlich und schnell der neuen selbstgestellten Aufgabe Herr zu werden
Vermag, das? er mit seinem dritten derartigen Bilde seine vollberechtigte Stellung
unter den besten und am höchsten gefeierten Geuremalern erobert hat, in der
Schätzung der Kunstgenossen wie des Publicums. Sein großes Bild zeigt eine
„Feldandacht von meraner Bauern" vor einer einsamen Kapelle im Hochgebirge.
Bor dem Gemcindeältesten, der aus dem Andachtsbuche vorliest, gruppirt steh
stehend und knieend eine kleine Versammlung, ernste, tüchtige, charaktervolle Ge¬
stalten. Männer und Greise, Frauen. Knaben und Mädchen, schlicht und echt,
der Natur selbst abgelauscht in der Art ihrer Stellungen, im Ausdruck der
Köpfe, welche ebenso durch das außerordentlich individuelle Leben wie durch die
scharf beobachtete Naceneinheit frappiren. Und doppelt ergreifend wird dies Schau¬
spiel ernster, einfacher Andachtübung durch den Schauplatz, denn nicht die Decke
einer engen Kirche, sondern das unermeßliche reine Himmelsblau wölbt sich
darüber, die klare Morgensonne ruht darauf und als riesiger Tempelbau ragt,
ringsum, wolkenhoch im tieferen Hintergrund, das kahle zerklüftete Hochgebirge
auf. den höchsten Gipfel von geballten Dünsten umhüllt, deren Schatten sich
dort breit über eine Seite der sonnenhellen Alpenlandschaft hinlagert. Der
große, ernste und liebevoll in das innerste Wesen der Natur und ihrer Er¬
scheinungen eindringende Sinn des Künstlers prägt sich in allem, in seinen
Menschengestalten, wie in der umgebenden Landschaft aus, erquickend und er¬
hebend für den Beschauer.
Je nüchterner, form- und farbloser, je ärmer an malerischen Möglich¬
keiten unsere heutige städtische Wirklichkeit ist, desto mehr sehen sich die
Genremaler veranlaßt, sei es in ländlichen Lebenskreisen, sei es bei fremden
Nationalitäten, deren Sitte, Tracht und Mcnsehentypen sich noch charak¬
teristischer, künstlerischen Sinn anmuthender erhalten haben, die Stoffe und
die Modelle ihrer Bilder zu suchen. Italien, die ehemals willkommenste
Fundgrube für unsere Künstler, ist durch Mißbrauch etwas in Mißcredit ge¬
kommen. Doch finden wir diesmal nicht gerade wenige und darunter sehr
ansprechende Genrebilder aus dem italienischen Leben: ein ganz treffliches mit
lebensgroßen Halbfiguren von Otto Meyer: „der kleine Egoist", ein prächtiger
nackter kleiner Bube auf dem Schoß seiner Mutter, einer hübschen römischen
Bäuerin, der seinem Bater trotzig die Orange verweigert, die dieser lachend
von ihm erbittet; eine ähnliche Familienscene in gleicher Größe von Güterbock,
der gleichzeitig aus venetianischen Botts- und Straßenleben mehre hübsche und
liebenswürdige Bilder entlehnt hat; „die Stiertreiber", jene berittenen Hirten
der Campagne, ihre Heerde sammelnd, in lebensvoller Darstellung, von Fay.
In entlegneren Ländern, tiefer im Süden sucht Wilhelm Gentz (in Berlin)
die Gegenstände seiner Bilder. Er ist fast der einzige deutsche Maler des Orients
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