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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Daten. Die Bursche laufen alle durch die Schule, die wenigsten sind aber im
Stande, auch nur zwei Zeilen, die man ihnen.dictirt, schnell und richtig zu
schreiben. Und erst der Aberglaube, der in den Köpfen unsrer Bauer" spukt!
Hier nur einige Beispiele, die man komisch finden würde, wenn sie nicht in
noch höherem Grade traurig waren: Ein Landwirth hatte eine Sau, mit deren
Productivität er nicht zufrieden war; er führte den Geistlichen zu ihr, damit
sie mehr und schönere Ferkeln werfe! Ein anderer bestellte eine Messe für ein
krankes Schwein, damit es nicht crepirc. In Südtirol verwüsten Insekten die
Weinberge. Anstatt nun die Vögel zu schonen oder die Raupen aufzulesen,
geht man zu dem Kapuziner und läßt sich Von diesen, das Jgnatiuswässcrlein
weihen, was für alles hilft. In Nordtirol zerstören die Engerlinge das Gras;
Fleiß könnte das Uebel leicht abstellen, dafür hält man einen Feiertag und
überläßt, während man die Hände in den Schoß legt, dem heiligen Magnus
die Arbeit, oder vielmehr den Engerlingen die Saat. Hat man doch eine Messe
bestellt! Natürlich entspricht der Klerus den abergläubischen Wünschen nickt um¬
sonst, daher läßt er es sich auch wenig angelegen sein, Aufklärung zu verbreiten.
Es giebt freilich Ausnahmen, sie sind aber sehr dünn gesät.

Wie es mit der Sittlichkeit steht, könnte wieder die Statistik beweisen.
Sie sagt uns, daß die Anzahl von Verbrechen und unehelichen Geburten im
katholischen Tirol nicht klein sei. Liefert doch der Klerus selbst die schändlich¬
sten Beiträge zur Chronik des Scandals. Der Fall in Moos, wo der Curat
seit Jahren Sodomie zu treiben bezüchtigt war. und dennoch als Heiliger galt,
ist nicht einzeln; der Hochwürdige wurde allerdings zu neun Jahren schwerem
Kerker verurtheilt. So scheint auch hier wie in Italie" Bildung und Sittlich¬
keit mit der Zahl und Macht des Klerus geradezu im verkehrten Verhältniß
zu stehen.

Um aber auch das Erfreuliche hervorzuheben, erwähnen wir gern die Thätig¬
keit, welche er jetzt theilweise mit richtigem Verständniß für die Erhaltung und
Restauration alter kirchlicher Baudenkmale entfaltet. Aus Brixen erhielten wir
soeben ein Werk. "Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der kirchlichen Baukunst
in Tirol", welches die Denkmale von der ältesten Zeit bis zur Renaissance um¬
faßt und mit viel Kenntniß erläutert. Auch die Restauration alter Bauwerke
erfolgt jetzt mit mehr Geschmack, insoweit sich eben der Zopf, welcher im vorigen
Jahrhundert so viel verstümmelte, beseitigen läßt. Die bessere Richtung ange¬
bahnt zu haben ist das Verdienst des 1859 verstorbenen Flir, dessen "römische
Briefe" so viel unangenehmes Aufsehen in der katholischen Welt verursachten
und wegen der interessanten Aufschlüsse, die sie gaben, bereits die zweite Aus¬
lage erlebten.

Hier dürfen wir auch des verstorbenen Hermann v. Gilm gedenken, der
sich freilich zum Ultramontanismus im Gegensatz befand. Er wurde am 1. Nv-


Grenzboteu IV. 1864. 43

Daten. Die Bursche laufen alle durch die Schule, die wenigsten sind aber im
Stande, auch nur zwei Zeilen, die man ihnen.dictirt, schnell und richtig zu
schreiben. Und erst der Aberglaube, der in den Köpfen unsrer Bauer» spukt!
Hier nur einige Beispiele, die man komisch finden würde, wenn sie nicht in
noch höherem Grade traurig waren: Ein Landwirth hatte eine Sau, mit deren
Productivität er nicht zufrieden war; er führte den Geistlichen zu ihr, damit
sie mehr und schönere Ferkeln werfe! Ein anderer bestellte eine Messe für ein
krankes Schwein, damit es nicht crepirc. In Südtirol verwüsten Insekten die
Weinberge. Anstatt nun die Vögel zu schonen oder die Raupen aufzulesen,
geht man zu dem Kapuziner und läßt sich Von diesen, das Jgnatiuswässcrlein
weihen, was für alles hilft. In Nordtirol zerstören die Engerlinge das Gras;
Fleiß könnte das Uebel leicht abstellen, dafür hält man einen Feiertag und
überläßt, während man die Hände in den Schoß legt, dem heiligen Magnus
die Arbeit, oder vielmehr den Engerlingen die Saat. Hat man doch eine Messe
bestellt! Natürlich entspricht der Klerus den abergläubischen Wünschen nickt um¬
sonst, daher läßt er es sich auch wenig angelegen sein, Aufklärung zu verbreiten.
Es giebt freilich Ausnahmen, sie sind aber sehr dünn gesät.

Wie es mit der Sittlichkeit steht, könnte wieder die Statistik beweisen.
Sie sagt uns, daß die Anzahl von Verbrechen und unehelichen Geburten im
katholischen Tirol nicht klein sei. Liefert doch der Klerus selbst die schändlich¬
sten Beiträge zur Chronik des Scandals. Der Fall in Moos, wo der Curat
seit Jahren Sodomie zu treiben bezüchtigt war. und dennoch als Heiliger galt,
ist nicht einzeln; der Hochwürdige wurde allerdings zu neun Jahren schwerem
Kerker verurtheilt. So scheint auch hier wie in Italie» Bildung und Sittlich¬
keit mit der Zahl und Macht des Klerus geradezu im verkehrten Verhältniß
zu stehen.

Um aber auch das Erfreuliche hervorzuheben, erwähnen wir gern die Thätig¬
keit, welche er jetzt theilweise mit richtigem Verständniß für die Erhaltung und
Restauration alter kirchlicher Baudenkmale entfaltet. Aus Brixen erhielten wir
soeben ein Werk. „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der kirchlichen Baukunst
in Tirol", welches die Denkmale von der ältesten Zeit bis zur Renaissance um¬
faßt und mit viel Kenntniß erläutert. Auch die Restauration alter Bauwerke
erfolgt jetzt mit mehr Geschmack, insoweit sich eben der Zopf, welcher im vorigen
Jahrhundert so viel verstümmelte, beseitigen läßt. Die bessere Richtung ange¬
bahnt zu haben ist das Verdienst des 1859 verstorbenen Flir, dessen „römische
Briefe" so viel unangenehmes Aufsehen in der katholischen Welt verursachten
und wegen der interessanten Aufschlüsse, die sie gaben, bereits die zweite Aus¬
lage erlebten.

Hier dürfen wir auch des verstorbenen Hermann v. Gilm gedenken, der
sich freilich zum Ultramontanismus im Gegensatz befand. Er wurde am 1. Nv-


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[0341] Daten. Die Bursche laufen alle durch die Schule, die wenigsten sind aber im Stande, auch nur zwei Zeilen, die man ihnen.dictirt, schnell und richtig zu schreiben. Und erst der Aberglaube, der in den Köpfen unsrer Bauer» spukt! Hier nur einige Beispiele, die man komisch finden würde, wenn sie nicht in noch höherem Grade traurig waren: Ein Landwirth hatte eine Sau, mit deren Productivität er nicht zufrieden war; er führte den Geistlichen zu ihr, damit sie mehr und schönere Ferkeln werfe! Ein anderer bestellte eine Messe für ein krankes Schwein, damit es nicht crepirc. In Südtirol verwüsten Insekten die Weinberge. Anstatt nun die Vögel zu schonen oder die Raupen aufzulesen, geht man zu dem Kapuziner und läßt sich Von diesen, das Jgnatiuswässcrlein weihen, was für alles hilft. In Nordtirol zerstören die Engerlinge das Gras; Fleiß könnte das Uebel leicht abstellen, dafür hält man einen Feiertag und überläßt, während man die Hände in den Schoß legt, dem heiligen Magnus die Arbeit, oder vielmehr den Engerlingen die Saat. Hat man doch eine Messe bestellt! Natürlich entspricht der Klerus den abergläubischen Wünschen nickt um¬ sonst, daher läßt er es sich auch wenig angelegen sein, Aufklärung zu verbreiten. Es giebt freilich Ausnahmen, sie sind aber sehr dünn gesät. Wie es mit der Sittlichkeit steht, könnte wieder die Statistik beweisen. Sie sagt uns, daß die Anzahl von Verbrechen und unehelichen Geburten im katholischen Tirol nicht klein sei. Liefert doch der Klerus selbst die schändlich¬ sten Beiträge zur Chronik des Scandals. Der Fall in Moos, wo der Curat seit Jahren Sodomie zu treiben bezüchtigt war. und dennoch als Heiliger galt, ist nicht einzeln; der Hochwürdige wurde allerdings zu neun Jahren schwerem Kerker verurtheilt. So scheint auch hier wie in Italie» Bildung und Sittlich¬ keit mit der Zahl und Macht des Klerus geradezu im verkehrten Verhältniß zu stehen. Um aber auch das Erfreuliche hervorzuheben, erwähnen wir gern die Thätig¬ keit, welche er jetzt theilweise mit richtigem Verständniß für die Erhaltung und Restauration alter kirchlicher Baudenkmale entfaltet. Aus Brixen erhielten wir soeben ein Werk. „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der kirchlichen Baukunst in Tirol", welches die Denkmale von der ältesten Zeit bis zur Renaissance um¬ faßt und mit viel Kenntniß erläutert. Auch die Restauration alter Bauwerke erfolgt jetzt mit mehr Geschmack, insoweit sich eben der Zopf, welcher im vorigen Jahrhundert so viel verstümmelte, beseitigen läßt. Die bessere Richtung ange¬ bahnt zu haben ist das Verdienst des 1859 verstorbenen Flir, dessen „römische Briefe" so viel unangenehmes Aufsehen in der katholischen Welt verursachten und wegen der interessanten Aufschlüsse, die sie gaben, bereits die zweite Aus¬ lage erlebten. Hier dürfen wir auch des verstorbenen Hermann v. Gilm gedenken, der sich freilich zum Ultramontanismus im Gegensatz befand. Er wurde am 1. Nv- Grenzboteu IV. 1864. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/341>, abgerufen am 22.07.2024.