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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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dings nothwendig wäre. Denn die Erwägung, daß Frankreich sowohl der
Realisirung des großdeutschen Siebzigmillionenreiches wie der des kleindeutschen
Ideals abgeneigt ist, daß es dagegen die Gestaltung eines triadischen Deutsch¬
lands begünstigt, diese Erwägung allein wäre noch nicht ausreichend, um zur
Annahme der Triasidce zu nöthigen. Die Nöthigung tritt ein, sobald die
Präponderanz Frankreichs unwiderruflich und die Unfähigkeit, etwas gegen
Frankreichs Willen durchzusetzen, unbestreitbar ist. Die ganze Argumentation
des Verfassers geht von einem Satze oder vielmehr einer Reihe von Sätzen
aus, deren Beweis allerdings zum Theil angetreten ist, die aber keineswegs
genügend bewiesen sind. Vor allem sind die angeführten Ansichten über die
Stellung Frankreichs in hohem Grade übertrieben. Das Verfahren, eine That'
sache, die als solche für den Augenblick unbestreitbar sein mag, ohne Weiteres
zu einem dauernden historischen Gesetze zu erheben, ist vom Standpunkte der
Wissenschaft wie der praktischen Politik aufs entschiedenste zurückzuweisen. Daß
das imperialistische Frankreich seit einem Jahrzehnt einen überwiegenden Ein¬
fluß in Europa ausübt, liegt vor Augen; daß es die Absicht hat, diesen
Einfluß zu steigern und zu einem dauernden zu machen, läßt sich nicht bezweifeln.
Das Uebergewicht ist nach Fröbel ein legitimes!; indem Frankreich dasselbe zur
Anerkennung zu bringen sucht, verfährt es rein defensiv. Es ist nach Fröbel
für dies Verhältniß auch ganz gleichgültig, ob ein napoleonide oder etwa ein
Orleans in Frankreich herrscht. Daran ist so viel richtig, daß die Prätension,
die tonangebende Macht in Europa zu sein, von dem System, welches gerade
in Frankreich herrscht, unabhängig ist; ja auch das wollen wir zugeben,
daß die Popularität jedes Systems bis zu einem gewissen Grade von der
Energie bedingt ist, mit der es dieser Prätension Geltung zu verschaffen
weiß. Wir geben dies zu, weil die allerdings vorhandend auf politische De-
centralisation und politische Freiheit gerichtete Gegenströmung bis jetzt zu wenig
nachhaltige Kraft und Verständniß für die Größe und unermeßliche Schwierig¬
keit ihrer Aufgabe bewährt hat, um bereits die Bürgschaft für Dauer und
maßgebenden Einfluß zu gewähren. Wir machen also dem Verfasser jedes
Zugeständniß, welches er wünschen kann. Nun ist es aber doch klar, daß die
französischen Ansprüche nur durch eine überaus feine und kluge Politik auf¬
recht erhalten werden können, eine Politik, die geschickt genug ist. die Bildung
einer jeden Coalition gegen Frankreich zu verhindern, eine Politik, die stets
gedeckt verfährt und aufs sorgfältigste bemüht ist, sich niemals eine Blöße zu
geben, kurz eine Politik, wie sie das Vorrecht des staatsmännischen Genies ist.
Und eine die Selbständigkeit Europas bedrohende gegenwärtig "och nicht einmal
vollendete, nur noch prätendirte Thatsache, die, so weit sie sich entwickelt hat.
ganz die Schöpfung einer überlegenen, politischen Klugheit ist, die bei jedem
Mißgriffe einem vollständigen Scheitern ausgesetzt ist, soll ein historisches Ge-


dings nothwendig wäre. Denn die Erwägung, daß Frankreich sowohl der
Realisirung des großdeutschen Siebzigmillionenreiches wie der des kleindeutschen
Ideals abgeneigt ist, daß es dagegen die Gestaltung eines triadischen Deutsch¬
lands begünstigt, diese Erwägung allein wäre noch nicht ausreichend, um zur
Annahme der Triasidce zu nöthigen. Die Nöthigung tritt ein, sobald die
Präponderanz Frankreichs unwiderruflich und die Unfähigkeit, etwas gegen
Frankreichs Willen durchzusetzen, unbestreitbar ist. Die ganze Argumentation
des Verfassers geht von einem Satze oder vielmehr einer Reihe von Sätzen
aus, deren Beweis allerdings zum Theil angetreten ist, die aber keineswegs
genügend bewiesen sind. Vor allem sind die angeführten Ansichten über die
Stellung Frankreichs in hohem Grade übertrieben. Das Verfahren, eine That'
sache, die als solche für den Augenblick unbestreitbar sein mag, ohne Weiteres
zu einem dauernden historischen Gesetze zu erheben, ist vom Standpunkte der
Wissenschaft wie der praktischen Politik aufs entschiedenste zurückzuweisen. Daß
das imperialistische Frankreich seit einem Jahrzehnt einen überwiegenden Ein¬
fluß in Europa ausübt, liegt vor Augen; daß es die Absicht hat, diesen
Einfluß zu steigern und zu einem dauernden zu machen, läßt sich nicht bezweifeln.
Das Uebergewicht ist nach Fröbel ein legitimes!; indem Frankreich dasselbe zur
Anerkennung zu bringen sucht, verfährt es rein defensiv. Es ist nach Fröbel
für dies Verhältniß auch ganz gleichgültig, ob ein napoleonide oder etwa ein
Orleans in Frankreich herrscht. Daran ist so viel richtig, daß die Prätension,
die tonangebende Macht in Europa zu sein, von dem System, welches gerade
in Frankreich herrscht, unabhängig ist; ja auch das wollen wir zugeben,
daß die Popularität jedes Systems bis zu einem gewissen Grade von der
Energie bedingt ist, mit der es dieser Prätension Geltung zu verschaffen
weiß. Wir geben dies zu, weil die allerdings vorhandend auf politische De-
centralisation und politische Freiheit gerichtete Gegenströmung bis jetzt zu wenig
nachhaltige Kraft und Verständniß für die Größe und unermeßliche Schwierig¬
keit ihrer Aufgabe bewährt hat, um bereits die Bürgschaft für Dauer und
maßgebenden Einfluß zu gewähren. Wir machen also dem Verfasser jedes
Zugeständniß, welches er wünschen kann. Nun ist es aber doch klar, daß die
französischen Ansprüche nur durch eine überaus feine und kluge Politik auf¬
recht erhalten werden können, eine Politik, die geschickt genug ist. die Bildung
einer jeden Coalition gegen Frankreich zu verhindern, eine Politik, die stets
gedeckt verfährt und aufs sorgfältigste bemüht ist, sich niemals eine Blöße zu
geben, kurz eine Politik, wie sie das Vorrecht des staatsmännischen Genies ist.
Und eine die Selbständigkeit Europas bedrohende gegenwärtig »och nicht einmal
vollendete, nur noch prätendirte Thatsache, die, so weit sie sich entwickelt hat.
ganz die Schöpfung einer überlegenen, politischen Klugheit ist, die bei jedem
Mißgriffe einem vollständigen Scheitern ausgesetzt ist, soll ein historisches Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/299>, abgerufen am 22.07.2024.