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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Grenzlinie einzuhalten, so wird durch ihn, bei allem Widerstreben, Frankreich
zum natürlichen Führer der abendländischen Politik werden. Somit würde
also ein heiliges römisches Reich gallischer Nation an die Stelle des beseitigten
heiligen römischen Reiches deutscher Nation treten. Diese Stellung Frankreichs
steht aber mit dem System der Pcntarchie, in der Rußland das prapvnderirende
Glied war, in Widerspruch, weshalb Frankreich der eifrigste Gegner der Pcn¬
tarchie sein muß. "Nicht nur das Frankreich der napoleoniden. nein -- das
moderne Frankreich, -- das Frankreich, welches sich ohne seinen Willen (!) in
die Mitte des politischen Weltsystems gestellt sieht, kann sein Dasein mit der
russisch-europäischen Pcntarchie nicht in Uebereinstimmung bringen." Frankreich
will eine andere Pcntarchie, die sich in folgendem Schema darstellt:

England Preußen
Frankreich
Spanien Oestreich

Indessen auch dies neue pcntarchische System ist noch nicht das rechte;
auf die Untersuchung der Frage allerdings, ob sich ein Staat ohne Weiteres
zur Großmacht pressen läßt, geht der Verfasser weiter nicht ein; aber der Fehler
ist, daß in diesem System Deutschland keine Stelle findet. "Wäre Deutschland
bei dem Dualismus Preußens und Oestreichs beruhigt, so wäre dieses Schema
der Ausdruck dessen, was unwiderruflich ist!" Aber Frankreich muß mit der
deutschen Nation und ihrer Unzufriedenheit über die Spaltung ihrer beiden
Großmächte rechnen. Aus diesen und einigen andern Prämissen gehl für Frank¬
reich unvermeidlich eine Rheinbundspolitik hervor, während Deutschland
im engeren Sinne, das außeröstrcichische und außerpreußische Deutschland -- es
naturgemäß vorziehe" muß. eine dritte deutsche Macht zu bilden, statt
zwischen Oestreich und Preußen getheilt zu werden. Die deutsche Triaspolitik
kommt auf diese Weise der französischen Rheinbundspolitik halbwegs entgegen
und eine besser verstandene Nhcinbundspolitik, welche von Seiten Frankreichs
nichts als die Gründung einer dritten deutschen Macht bezweckt ohne eine Ab¬
tretung deutschen Gebietes oder eine Vormundschaft über das dritte deutsche
Gebiet zu begehren, ist in der Gesammtheit der Weltverhältnisse für Frankreich
Prädestinirt. Deutschland aber ist seit dem frankfurter Kongresse und seiner
Erfolglosigkeit zur Trias reif. "In der Handelspolitik, in der Bundesreform
in der deutsch-dänischen Streitfrage, -- in jedem großen Interesse Deutschlands
sehen wir den Ansatz zu einer dreiheitlichen Stellung der deutschen Staaten
und in jedem dieser Fälle treibt das französische Interesse zur Unterstützung aller
auf die Triasbildung hinzielenden Streberichtungcn."

Allerdings würde der Verfasser einem geeinigten Großdcutschland den Vor¬
zug geben. Indessen würde, wie das Schema auf Seite 263 ergiebt, ein Gro߬
deutschland zu einem europäischen Dualismus von Frankreich und Deutschland


Grenzlinie einzuhalten, so wird durch ihn, bei allem Widerstreben, Frankreich
zum natürlichen Führer der abendländischen Politik werden. Somit würde
also ein heiliges römisches Reich gallischer Nation an die Stelle des beseitigten
heiligen römischen Reiches deutscher Nation treten. Diese Stellung Frankreichs
steht aber mit dem System der Pcntarchie, in der Rußland das prapvnderirende
Glied war, in Widerspruch, weshalb Frankreich der eifrigste Gegner der Pcn¬
tarchie sein muß. „Nicht nur das Frankreich der napoleoniden. nein — das
moderne Frankreich, — das Frankreich, welches sich ohne seinen Willen (!) in
die Mitte des politischen Weltsystems gestellt sieht, kann sein Dasein mit der
russisch-europäischen Pcntarchie nicht in Uebereinstimmung bringen." Frankreich
will eine andere Pcntarchie, die sich in folgendem Schema darstellt:

England Preußen
Frankreich
Spanien Oestreich

Indessen auch dies neue pcntarchische System ist noch nicht das rechte;
auf die Untersuchung der Frage allerdings, ob sich ein Staat ohne Weiteres
zur Großmacht pressen läßt, geht der Verfasser weiter nicht ein; aber der Fehler
ist, daß in diesem System Deutschland keine Stelle findet. „Wäre Deutschland
bei dem Dualismus Preußens und Oestreichs beruhigt, so wäre dieses Schema
der Ausdruck dessen, was unwiderruflich ist!" Aber Frankreich muß mit der
deutschen Nation und ihrer Unzufriedenheit über die Spaltung ihrer beiden
Großmächte rechnen. Aus diesen und einigen andern Prämissen gehl für Frank¬
reich unvermeidlich eine Rheinbundspolitik hervor, während Deutschland
im engeren Sinne, das außeröstrcichische und außerpreußische Deutschland — es
naturgemäß vorziehe» muß. eine dritte deutsche Macht zu bilden, statt
zwischen Oestreich und Preußen getheilt zu werden. Die deutsche Triaspolitik
kommt auf diese Weise der französischen Rheinbundspolitik halbwegs entgegen
und eine besser verstandene Nhcinbundspolitik, welche von Seiten Frankreichs
nichts als die Gründung einer dritten deutschen Macht bezweckt ohne eine Ab¬
tretung deutschen Gebietes oder eine Vormundschaft über das dritte deutsche
Gebiet zu begehren, ist in der Gesammtheit der Weltverhältnisse für Frankreich
Prädestinirt. Deutschland aber ist seit dem frankfurter Kongresse und seiner
Erfolglosigkeit zur Trias reif. „In der Handelspolitik, in der Bundesreform
in der deutsch-dänischen Streitfrage, — in jedem großen Interesse Deutschlands
sehen wir den Ansatz zu einer dreiheitlichen Stellung der deutschen Staaten
und in jedem dieser Fälle treibt das französische Interesse zur Unterstützung aller
auf die Triasbildung hinzielenden Streberichtungcn."

Allerdings würde der Verfasser einem geeinigten Großdcutschland den Vor¬
zug geben. Indessen würde, wie das Schema auf Seite 263 ergiebt, ein Gro߬
deutschland zu einem europäischen Dualismus von Frankreich und Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/297>, abgerufen am 25.08.2024.