Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gewalt der Unionsregierung zu und beschworen dadurch eine Opposition her¬
auf, die um so lebhafter und leidenschaftlicher war, als sie aus social und na¬
tional ganz entgegengesetzten Schichten erstand. Die europäische Auswanderung
hat sich mit Macht über die nordamenkaniscken Staaten ergossen und zunächst
die Bevölkerung der nächsten Küsten, der Neu-England-Staaten Verdichtet. Dadurch
wurden die alten Landbesitzer dieser Landschaften nicht nur zu reichen Leuten, zu
einer freien und aristokratischen Classe, sondern auch die alten Städte hoben
sich, entwickelten eine Industrie und machten sich zu Vertretern der Cultur und
der Ansichten Europas. Beide traten mehr und mehr in Gegensatz mit der
Herrschaft und den Bestrebungen der Sklavenhalter. Dieser Gegensatz wurde
am meisten einPfunden von denjenigen Männern, welche, durch die Bewegungen
des Jahres 1848 aus Europa vertrieben, in Amerika ideale Zustände suchten,
aber nur "naturwüchsige" fanden.

Während in den politischen Bestrebungen und Ansichten Europas die Ge¬
setzgebung des Staates von je das Schlachtfeld der gegenseitigen Ansichten
bildet, war einem großen Theil der Amerikaner bis in die ersten Decennien
dieses Jahrhunderts die Technik der Regierung eine gleichgiltige Sache und
nur das Individuum und seine Interessen der Zweck seiner Parteikämpfe. Die
Negierung der Staaten, die ganze Verwaltung mit ihren nothwendigsten Appa¬
raten, wie z. B. die Post, die Polizei, die Gerechtigkeitspflege, wechselten bis
1861 fast alljährlich in ihrem gesammten, selbst dem untergeordnetsten Perso¬
nal, so daß niemand mit den Geschäften vertraut wurde, sondern in jedem ein¬
zelnen Falle die zufällige persönliche Ansicht die Maschine regelte. Das ganze
Beamtenthum war infolge dessen gering geachtet, schlecht bezahlt und mit Aus¬
nahme einzelner nutzbringender Stellen nur von untergeordneten Persönlichkeiten
angestrebt. Solche Verhältnisse konnten sich nur so lange erhalten, als das staat¬
liche Zusammenleben doch räumlich noch sehr geschieden war, als dein Einzelnen die
Existenz ohne enges Zusammenstoßen mit Andern leicht wurde und als das Ge-
meinleben noch so klein war, daß bei schreienden Unrecht oder Mißstand das
Individuum sofort den Staat corrigiren konnte. M>t dem Anwachsen der Be¬
völkerung aber, mit voller Occupation des gesammten Grund und Bodens, mit
den künstlichen Besitzverhältnissen einer entwickelten Industrie und mit dem An¬
häufen müßiger, von der Gemeinschaft abhängiger Menschen in großen Städten
mußte die rohe Staatsmaschine anfangen den Dienst zu versagen. Das that
sie denn auch gründlich. Newyork hat seit dem Jahre 1848 seine Bevölkerung
von 4 auf 800,000 Menschen gebracht und sattsam die Welt mit Berichten ihrer
Excesse u. s. w. gefüllt. Die Folge davon war, daß in dem Norden das Be¬
dürfniß wach wurde, eine feste Staatsgewalt zu gründen und daß andrerseits
der Yankee in Gegensatz zu dem störenden Element der Einwanderung trat. --
Beide Richtungen gewannen Form, einmal in der Bildung der jetzt herrschen-


Gewalt der Unionsregierung zu und beschworen dadurch eine Opposition her¬
auf, die um so lebhafter und leidenschaftlicher war, als sie aus social und na¬
tional ganz entgegengesetzten Schichten erstand. Die europäische Auswanderung
hat sich mit Macht über die nordamenkaniscken Staaten ergossen und zunächst
die Bevölkerung der nächsten Küsten, der Neu-England-Staaten Verdichtet. Dadurch
wurden die alten Landbesitzer dieser Landschaften nicht nur zu reichen Leuten, zu
einer freien und aristokratischen Classe, sondern auch die alten Städte hoben
sich, entwickelten eine Industrie und machten sich zu Vertretern der Cultur und
der Ansichten Europas. Beide traten mehr und mehr in Gegensatz mit der
Herrschaft und den Bestrebungen der Sklavenhalter. Dieser Gegensatz wurde
am meisten einPfunden von denjenigen Männern, welche, durch die Bewegungen
des Jahres 1848 aus Europa vertrieben, in Amerika ideale Zustände suchten,
aber nur „naturwüchsige" fanden.

Während in den politischen Bestrebungen und Ansichten Europas die Ge¬
setzgebung des Staates von je das Schlachtfeld der gegenseitigen Ansichten
bildet, war einem großen Theil der Amerikaner bis in die ersten Decennien
dieses Jahrhunderts die Technik der Regierung eine gleichgiltige Sache und
nur das Individuum und seine Interessen der Zweck seiner Parteikämpfe. Die
Negierung der Staaten, die ganze Verwaltung mit ihren nothwendigsten Appa¬
raten, wie z. B. die Post, die Polizei, die Gerechtigkeitspflege, wechselten bis
1861 fast alljährlich in ihrem gesammten, selbst dem untergeordnetsten Perso¬
nal, so daß niemand mit den Geschäften vertraut wurde, sondern in jedem ein¬
zelnen Falle die zufällige persönliche Ansicht die Maschine regelte. Das ganze
Beamtenthum war infolge dessen gering geachtet, schlecht bezahlt und mit Aus¬
nahme einzelner nutzbringender Stellen nur von untergeordneten Persönlichkeiten
angestrebt. Solche Verhältnisse konnten sich nur so lange erhalten, als das staat¬
liche Zusammenleben doch räumlich noch sehr geschieden war, als dein Einzelnen die
Existenz ohne enges Zusammenstoßen mit Andern leicht wurde und als das Ge-
meinleben noch so klein war, daß bei schreienden Unrecht oder Mißstand das
Individuum sofort den Staat corrigiren konnte. M>t dem Anwachsen der Be¬
völkerung aber, mit voller Occupation des gesammten Grund und Bodens, mit
den künstlichen Besitzverhältnissen einer entwickelten Industrie und mit dem An¬
häufen müßiger, von der Gemeinschaft abhängiger Menschen in großen Städten
mußte die rohe Staatsmaschine anfangen den Dienst zu versagen. Das that
sie denn auch gründlich. Newyork hat seit dem Jahre 1848 seine Bevölkerung
von 4 auf 800,000 Menschen gebracht und sattsam die Welt mit Berichten ihrer
Excesse u. s. w. gefüllt. Die Folge davon war, daß in dem Norden das Be¬
dürfniß wach wurde, eine feste Staatsgewalt zu gründen und daß andrerseits
der Yankee in Gegensatz zu dem störenden Element der Einwanderung trat. —
Beide Richtungen gewannen Form, einmal in der Bildung der jetzt herrschen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189915"/>
            <p xml:id="ID_1014" prev="#ID_1013"> Gewalt der Unionsregierung zu und beschworen dadurch eine Opposition her¬<lb/>
auf, die um so lebhafter und leidenschaftlicher war, als sie aus social und na¬<lb/>
tional ganz entgegengesetzten Schichten erstand. Die europäische Auswanderung<lb/>
hat sich mit Macht über die nordamenkaniscken Staaten ergossen und zunächst<lb/>
die Bevölkerung der nächsten Küsten, der Neu-England-Staaten Verdichtet. Dadurch<lb/>
wurden die alten Landbesitzer dieser Landschaften nicht nur zu reichen Leuten, zu<lb/>
einer freien und aristokratischen Classe, sondern auch die alten Städte hoben<lb/>
sich, entwickelten eine Industrie und machten sich zu Vertretern der Cultur und<lb/>
der Ansichten Europas. Beide traten mehr und mehr in Gegensatz mit der<lb/>
Herrschaft und den Bestrebungen der Sklavenhalter. Dieser Gegensatz wurde<lb/>
am meisten einPfunden von denjenigen Männern, welche, durch die Bewegungen<lb/>
des Jahres 1848 aus Europa vertrieben, in Amerika ideale Zustände suchten,<lb/>
aber nur &#x201E;naturwüchsige" fanden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1015" next="#ID_1016"> Während in den politischen Bestrebungen und Ansichten Europas die Ge¬<lb/>
setzgebung des Staates von je das Schlachtfeld der gegenseitigen Ansichten<lb/>
bildet, war einem großen Theil der Amerikaner bis in die ersten Decennien<lb/>
dieses Jahrhunderts die Technik der Regierung eine gleichgiltige Sache und<lb/>
nur das Individuum und seine Interessen der Zweck seiner Parteikämpfe. Die<lb/>
Negierung der Staaten, die ganze Verwaltung mit ihren nothwendigsten Appa¬<lb/>
raten, wie z. B. die Post, die Polizei, die Gerechtigkeitspflege, wechselten bis<lb/>
1861 fast alljährlich in ihrem gesammten, selbst dem untergeordnetsten Perso¬<lb/>
nal, so daß niemand mit den Geschäften vertraut wurde, sondern in jedem ein¬<lb/>
zelnen Falle die zufällige persönliche Ansicht die Maschine regelte. Das ganze<lb/>
Beamtenthum war infolge dessen gering geachtet, schlecht bezahlt und mit Aus¬<lb/>
nahme einzelner nutzbringender Stellen nur von untergeordneten Persönlichkeiten<lb/>
angestrebt. Solche Verhältnisse konnten sich nur so lange erhalten, als das staat¬<lb/>
liche Zusammenleben doch räumlich noch sehr geschieden war, als dein Einzelnen die<lb/>
Existenz ohne enges Zusammenstoßen mit Andern leicht wurde und als das Ge-<lb/>
meinleben noch so klein war, daß bei schreienden Unrecht oder Mißstand das<lb/>
Individuum sofort den Staat corrigiren konnte. M&gt;t dem Anwachsen der Be¬<lb/>
völkerung aber, mit voller Occupation des gesammten Grund und Bodens, mit<lb/>
den künstlichen Besitzverhältnissen einer entwickelten Industrie und mit dem An¬<lb/>
häufen müßiger, von der Gemeinschaft abhängiger Menschen in großen Städten<lb/>
mußte die rohe Staatsmaschine anfangen den Dienst zu versagen. Das that<lb/>
sie denn auch gründlich. Newyork hat seit dem Jahre 1848 seine Bevölkerung<lb/>
von 4 auf 800,000 Menschen gebracht und sattsam die Welt mit Berichten ihrer<lb/>
Excesse u. s. w. gefüllt. Die Folge davon war, daß in dem Norden das Be¬<lb/>
dürfniß wach wurde, eine feste Staatsgewalt zu gründen und daß andrerseits<lb/>
der Yankee in Gegensatz zu dem störenden Element der Einwanderung trat. &#x2014;<lb/>
Beide Richtungen gewannen Form, einmal in der Bildung der jetzt herrschen-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0291] Gewalt der Unionsregierung zu und beschworen dadurch eine Opposition her¬ auf, die um so lebhafter und leidenschaftlicher war, als sie aus social und na¬ tional ganz entgegengesetzten Schichten erstand. Die europäische Auswanderung hat sich mit Macht über die nordamenkaniscken Staaten ergossen und zunächst die Bevölkerung der nächsten Küsten, der Neu-England-Staaten Verdichtet. Dadurch wurden die alten Landbesitzer dieser Landschaften nicht nur zu reichen Leuten, zu einer freien und aristokratischen Classe, sondern auch die alten Städte hoben sich, entwickelten eine Industrie und machten sich zu Vertretern der Cultur und der Ansichten Europas. Beide traten mehr und mehr in Gegensatz mit der Herrschaft und den Bestrebungen der Sklavenhalter. Dieser Gegensatz wurde am meisten einPfunden von denjenigen Männern, welche, durch die Bewegungen des Jahres 1848 aus Europa vertrieben, in Amerika ideale Zustände suchten, aber nur „naturwüchsige" fanden. Während in den politischen Bestrebungen und Ansichten Europas die Ge¬ setzgebung des Staates von je das Schlachtfeld der gegenseitigen Ansichten bildet, war einem großen Theil der Amerikaner bis in die ersten Decennien dieses Jahrhunderts die Technik der Regierung eine gleichgiltige Sache und nur das Individuum und seine Interessen der Zweck seiner Parteikämpfe. Die Negierung der Staaten, die ganze Verwaltung mit ihren nothwendigsten Appa¬ raten, wie z. B. die Post, die Polizei, die Gerechtigkeitspflege, wechselten bis 1861 fast alljährlich in ihrem gesammten, selbst dem untergeordnetsten Perso¬ nal, so daß niemand mit den Geschäften vertraut wurde, sondern in jedem ein¬ zelnen Falle die zufällige persönliche Ansicht die Maschine regelte. Das ganze Beamtenthum war infolge dessen gering geachtet, schlecht bezahlt und mit Aus¬ nahme einzelner nutzbringender Stellen nur von untergeordneten Persönlichkeiten angestrebt. Solche Verhältnisse konnten sich nur so lange erhalten, als das staat¬ liche Zusammenleben doch räumlich noch sehr geschieden war, als dein Einzelnen die Existenz ohne enges Zusammenstoßen mit Andern leicht wurde und als das Ge- meinleben noch so klein war, daß bei schreienden Unrecht oder Mißstand das Individuum sofort den Staat corrigiren konnte. M>t dem Anwachsen der Be¬ völkerung aber, mit voller Occupation des gesammten Grund und Bodens, mit den künstlichen Besitzverhältnissen einer entwickelten Industrie und mit dem An¬ häufen müßiger, von der Gemeinschaft abhängiger Menschen in großen Städten mußte die rohe Staatsmaschine anfangen den Dienst zu versagen. Das that sie denn auch gründlich. Newyork hat seit dem Jahre 1848 seine Bevölkerung von 4 auf 800,000 Menschen gebracht und sattsam die Welt mit Berichten ihrer Excesse u. s. w. gefüllt. Die Folge davon war, daß in dem Norden das Be¬ dürfniß wach wurde, eine feste Staatsgewalt zu gründen und daß andrerseits der Yankee in Gegensatz zu dem störenden Element der Einwanderung trat. — Beide Richtungen gewannen Form, einmal in der Bildung der jetzt herrschen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/291
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/291>, abgerufen am 25.08.2024.