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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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einseitiges und unmoralisches Interesse zu vertreten und die Sklavenfrage auf
ihre Fahne schreiben, während sich im Norden große Städte bilden, welche
sich zu Centralpunkten der öffentlichen Meinung machen und das demokratische
Element zur Geltung bringen, das in der Entwickelung der Weststaaten mit
ihrer freien Ackerbau treibenden Bevölkerung eine Stütze und eigene Vertreter
und in dem jetzigen Präsidenten die Negierung bekommt, 1) Die vorstehend
als Aristokraten bezeichneten Bürger der confödcrirten Staaten entbehren zwar
viele Eigenschaften, welche in Europa zu solchem Namen berechtigen, wie
z, V, Titel, alter Familienbesitz und hohe Bildung. Die Bezeichnung hat
aber jede Bercchugung, wenn man die Verschiedenheit des Bodens, aus wel¬
chen diese nordamerikanische Aristokratie gepflanzt ist, in Betracht zieht. ES
fehlen überhaupt Stände, Alter des Staats und alte historische Traditionen.
Die Sklavenhalter haben das mit unsrer Aristokratie gemein, daß sie geborne
Theilnehmer an der Staatsgewalt sind und einen von der Wandelbarkeit des Geld¬
markts unabhängigen Besitz haben, ferner daß dieser Besitz sie reichlich nährt, ohne
daß sie gezwungen sind, ihn zum Gegenstand ihrer ausschließlichen Arbeit zu machen
und daß sie endlich die Regierung des Staates für ihren eigentlichen Beruf
ansehen. -- Dieser Aristokratie siel die Regierung ganz naturgemäß zu. da das
Mutterland England gleiche Verhältnisse bot und da gerade die Wählbarkeit
aller Aemter und der in kurzen Zeiträumen stets eintretende Wechsel aller Be¬
amten nur dann mit einem gesunden Staatsleben verträglich ist, wenn die
Regierungskunst Gemeingut gewisser Familien ist und sich die Wahl der Leiter
auf diese beschränkt. Alle zu einer historischen Blüthe gediehenen Republiken zeigen
uns deshalb auch gleiche Verhältnisse,der Herrschaft einer Aristokratie, einer Herr¬
schaft, die so lange, unbestritten blieb, als die Aristokraten ihre Ziele nur in den
Interessen des Staates, nicht in ihren eignen Standesintercssen suchte".

Nirgends mehr als in dem freien Amerika war man geneigt, den Staat denen
zu überlassen, welche an den Arbeiten dafür besonderes Vergnügen fanden; nirgends
leichter als in Amerika mußte es einer Classe unabhängiger Menschen werden,
die Negierung zu ergreifen, weil man hier die Dinge nur nach ihrem Geldes-
werth schätzt und wenige Beschäftigungen im Verhältniß so geringe Erträge
liefern als das Regieren. So hat z. B. der Präsident der Republik ein jähr¬
liches Einkommen von 25,000 Dollars, seine Minister von 8000 Dollars, der
Gouverneur oder Präsident des Staates Newyork gar nur 4000 Dollars
u. s. w., ein Einkommen, das bei den dortigen Preisen und in diesen Stellen
nicht von den täglichen Nahrungssorgen befreit und das in seiner ganzen
Geringfügigkeit erscheint, wenn man erwägt, daß den nordamerikanischen Frei¬
staaten factisch jeder gemeine Soldat jährlich 1000 Dollars kostet. So hat
denn bis zur Wahl Lincolns der Süden mit seinen Parteigenossen im Norden
fast unausgesetzt den Präsidentenstuhl inne geh abd und haben Sklavenhalter.


einseitiges und unmoralisches Interesse zu vertreten und die Sklavenfrage auf
ihre Fahne schreiben, während sich im Norden große Städte bilden, welche
sich zu Centralpunkten der öffentlichen Meinung machen und das demokratische
Element zur Geltung bringen, das in der Entwickelung der Weststaaten mit
ihrer freien Ackerbau treibenden Bevölkerung eine Stütze und eigene Vertreter
und in dem jetzigen Präsidenten die Negierung bekommt, 1) Die vorstehend
als Aristokraten bezeichneten Bürger der confödcrirten Staaten entbehren zwar
viele Eigenschaften, welche in Europa zu solchem Namen berechtigen, wie
z, V, Titel, alter Familienbesitz und hohe Bildung. Die Bezeichnung hat
aber jede Bercchugung, wenn man die Verschiedenheit des Bodens, aus wel¬
chen diese nordamerikanische Aristokratie gepflanzt ist, in Betracht zieht. ES
fehlen überhaupt Stände, Alter des Staats und alte historische Traditionen.
Die Sklavenhalter haben das mit unsrer Aristokratie gemein, daß sie geborne
Theilnehmer an der Staatsgewalt sind und einen von der Wandelbarkeit des Geld¬
markts unabhängigen Besitz haben, ferner daß dieser Besitz sie reichlich nährt, ohne
daß sie gezwungen sind, ihn zum Gegenstand ihrer ausschließlichen Arbeit zu machen
und daß sie endlich die Regierung des Staates für ihren eigentlichen Beruf
ansehen. — Dieser Aristokratie siel die Regierung ganz naturgemäß zu. da das
Mutterland England gleiche Verhältnisse bot und da gerade die Wählbarkeit
aller Aemter und der in kurzen Zeiträumen stets eintretende Wechsel aller Be¬
amten nur dann mit einem gesunden Staatsleben verträglich ist, wenn die
Regierungskunst Gemeingut gewisser Familien ist und sich die Wahl der Leiter
auf diese beschränkt. Alle zu einer historischen Blüthe gediehenen Republiken zeigen
uns deshalb auch gleiche Verhältnisse,der Herrschaft einer Aristokratie, einer Herr¬
schaft, die so lange, unbestritten blieb, als die Aristokraten ihre Ziele nur in den
Interessen des Staates, nicht in ihren eignen Standesintercssen suchte».

Nirgends mehr als in dem freien Amerika war man geneigt, den Staat denen
zu überlassen, welche an den Arbeiten dafür besonderes Vergnügen fanden; nirgends
leichter als in Amerika mußte es einer Classe unabhängiger Menschen werden,
die Negierung zu ergreifen, weil man hier die Dinge nur nach ihrem Geldes-
werth schätzt und wenige Beschäftigungen im Verhältniß so geringe Erträge
liefern als das Regieren. So hat z. B. der Präsident der Republik ein jähr¬
liches Einkommen von 25,000 Dollars, seine Minister von 8000 Dollars, der
Gouverneur oder Präsident des Staates Newyork gar nur 4000 Dollars
u. s. w., ein Einkommen, das bei den dortigen Preisen und in diesen Stellen
nicht von den täglichen Nahrungssorgen befreit und das in seiner ganzen
Geringfügigkeit erscheint, wenn man erwägt, daß den nordamerikanischen Frei¬
staaten factisch jeder gemeine Soldat jährlich 1000 Dollars kostet. So hat
denn bis zur Wahl Lincolns der Süden mit seinen Parteigenossen im Norden
fast unausgesetzt den Präsidentenstuhl inne geh abd und haben Sklavenhalter.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/289>, abgerufen am 25.08.2024.