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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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liebste in Ton und Form modellirt; ihm aber eben in solcher Art Ansicht und
Verkürzung zu geben, darin liegt der unglaubliche Ungeschmack. -- Schlösser,
ein gegenwärtig in Rom befindlicher Pensionär unsrer Akademie, wählte eine
symbolische Aufgabe: "die Eitelkeit", um etwas nacktes Fleisch zu malen. Ehe¬
mals, als er von Paris zurückkehrte, gänzlich der realistischen und coloristischcn
Richtung ergeben, scheint ihn der Eindruck der classischen Kunst Italiens auf
ganz andere Bahnen hingedrängt zu haben. Die Tendenz zum großen monu¬
mentalen Stil und zur frcskomäßigcn Behandlung der Farbe ist unverkennbar
in seinem Bilde; aber schon darin sind wirklich nur die Stellen, wo er sich
auf seine eigenste Natur gewissermaßen besinnt und wo sein starker Farbensinn
durchbricht. Die Zeichnung der sitzenden Gestalt glänzt nicht gerade durch Reiz
und Anmuth und ein enormer Unterleib wird der ganzen Erscheinung ver-
hängnißvoll. Neben dieser Allegorie sei gleich einer der wunderlichsten Con¬
ceptionen dieses Genres gedacht. "Die sieben Todsünden" von Ewald, einem
Schüler Coutures, dessen malerisches Recept wie aus allen Arbeiten seiner
Eleven unverkennbar hier vor Augen liegt. Das Ganze sieht aus, wie eine
gemalte mittelalterliche Novelle; man räth auf irgendeinen Tag des Decamerone,
wie sie Bacon seiner Zeit zu malen Pflegte. Erst bei näherem Nachdenken
über den anfangs unbegreiflichen Zusammenhang und beim Lesen des Titels
kommt man dahinter, daß diese hier vereinigten und zwar ganz willkürlich und
äußerlich zusammengebrachten Gruppen und Gestalten die sieben Todsünden
bedeuten möchten: die "Wollust" beginnt den Neigen auf der linken Seite des
Bildes; um die in der Mitte thronende "Völkern" gruppirt sich "Jähzorn",
"Geiz", "Narrheit", "Hoffart", "Eitelkeit", durch wirkliche Vorgänge symboli-
sirt; der rechts davon zum Galgen geführte Verbrecher weist auf die irdische
Strafe als letzte Consequenz der Todsünden. Seltsam und absichtlich reflectirt
und ohne innere Wahrheit, ist es dennoch als malerische Totalität eine höchst be¬
deutsame und vielverheißende Leistung.

Unter den Bildern aus realer Profangeschichte ist räumlich und geistig
jedenfalls das hervorragendste der "Huß vor dem Scheiterhaufen" von Lessing.
Die Acten "über dies bedeutende Werk deutscher Malerei" sind wohl gegen¬
wärtig geschlossen. Vor länger als zehn Jahren entstanden, von überschweng¬
lichen Enthusiasmus begrüßt, "ach Amerika verkauft zum großen Leid der "na¬
tionalen" Kunstbegeisterung, von dort nach dem Tode seines Besitzers wieder
zurückgekehrt, vom Kunsthändler Sachse erschwungen, dann von dem Könige
und schließlich aus dem sogenannten "25,000 Thaler-Fond" für die National¬
galerie erworben, hat es Schicksale und Wanderungen genug erlebt. Wie so
oft bei gleichzeitigen Kunstwerken ist der erste Enthusiasmus längst einer küh¬
leren Betrachtung und Beurtheilung gewichen, und die liebenswürdigen Eigen¬
schaften des Künstlers, die sich in dem Bilde aussprechen, die Erwägung der


liebste in Ton und Form modellirt; ihm aber eben in solcher Art Ansicht und
Verkürzung zu geben, darin liegt der unglaubliche Ungeschmack. — Schlösser,
ein gegenwärtig in Rom befindlicher Pensionär unsrer Akademie, wählte eine
symbolische Aufgabe: „die Eitelkeit", um etwas nacktes Fleisch zu malen. Ehe¬
mals, als er von Paris zurückkehrte, gänzlich der realistischen und coloristischcn
Richtung ergeben, scheint ihn der Eindruck der classischen Kunst Italiens auf
ganz andere Bahnen hingedrängt zu haben. Die Tendenz zum großen monu¬
mentalen Stil und zur frcskomäßigcn Behandlung der Farbe ist unverkennbar
in seinem Bilde; aber schon darin sind wirklich nur die Stellen, wo er sich
auf seine eigenste Natur gewissermaßen besinnt und wo sein starker Farbensinn
durchbricht. Die Zeichnung der sitzenden Gestalt glänzt nicht gerade durch Reiz
und Anmuth und ein enormer Unterleib wird der ganzen Erscheinung ver-
hängnißvoll. Neben dieser Allegorie sei gleich einer der wunderlichsten Con¬
ceptionen dieses Genres gedacht. „Die sieben Todsünden" von Ewald, einem
Schüler Coutures, dessen malerisches Recept wie aus allen Arbeiten seiner
Eleven unverkennbar hier vor Augen liegt. Das Ganze sieht aus, wie eine
gemalte mittelalterliche Novelle; man räth auf irgendeinen Tag des Decamerone,
wie sie Bacon seiner Zeit zu malen Pflegte. Erst bei näherem Nachdenken
über den anfangs unbegreiflichen Zusammenhang und beim Lesen des Titels
kommt man dahinter, daß diese hier vereinigten und zwar ganz willkürlich und
äußerlich zusammengebrachten Gruppen und Gestalten die sieben Todsünden
bedeuten möchten: die „Wollust" beginnt den Neigen auf der linken Seite des
Bildes; um die in der Mitte thronende „Völkern" gruppirt sich „Jähzorn",
„Geiz", „Narrheit", „Hoffart", „Eitelkeit", durch wirkliche Vorgänge symboli-
sirt; der rechts davon zum Galgen geführte Verbrecher weist auf die irdische
Strafe als letzte Consequenz der Todsünden. Seltsam und absichtlich reflectirt
und ohne innere Wahrheit, ist es dennoch als malerische Totalität eine höchst be¬
deutsame und vielverheißende Leistung.

Unter den Bildern aus realer Profangeschichte ist räumlich und geistig
jedenfalls das hervorragendste der „Huß vor dem Scheiterhaufen" von Lessing.
Die Acten „über dies bedeutende Werk deutscher Malerei" sind wohl gegen¬
wärtig geschlossen. Vor länger als zehn Jahren entstanden, von überschweng¬
lichen Enthusiasmus begrüßt, »ach Amerika verkauft zum großen Leid der „na¬
tionalen" Kunstbegeisterung, von dort nach dem Tode seines Besitzers wieder
zurückgekehrt, vom Kunsthändler Sachse erschwungen, dann von dem Könige
und schließlich aus dem sogenannten „25,000 Thaler-Fond" für die National¬
galerie erworben, hat es Schicksale und Wanderungen genug erlebt. Wie so
oft bei gleichzeitigen Kunstwerken ist der erste Enthusiasmus längst einer küh¬
leren Betrachtung und Beurtheilung gewichen, und die liebenswürdigen Eigen¬
schaften des Künstlers, die sich in dem Bilde aussprechen, die Erwägung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/280>, abgerufen am 01.10.2024.