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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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formen des politischen Daseins in Beziehung seht. Wir müssen nun erst seine
auf die Metaphysik bezügliche Anschauung kennen lernen, ehe wir seine politische
Ansicht gehörig auseinandersetzen können.

Wir sind bei uns in Deutschland an geschichtsphilosophische Schcmatisirun-
gen so sehr gewöhnt und derselben wohl schon so überdrüssig, daß es einer Ent¬
schuldigung zu bedürfen scheint, wenn man dergleichen auch noch vom Auslande
einführt. Doch ist die comtesche Auffassung, welche sich zunächst ans das Schick¬
sal der religiösen und metaphysischen Vorstellungen bezieht, durchaus nicht so
niederer Art, daß sich nicht ebenfalls auch ein Theil der neusten Wendungen
der deutschen Philosophie aus ihr erklären ließe. Die ganze Epoche, welche
man als die der Reaction gegen das kantesche System und als Restauration
des theologischen Geistes bezeichnen kann, würde nach der comtcschen Schema-
tisirung in das Zeitelter der eigentlichen Metaphysik gehören, in welchem es
noch keine kritisch positive Philosophie giebt. Halten wir uns jedoch bei diesen Be¬
ziehungen nicht auf und entwickeln wir die einfache Vorstellung des französischen Den¬
kers. Comte nimmt drei Entwicklungsstadien an, nämlich das U) eologis es e, das
metaphysische und schließlich das positiv e. -- Der Kindheitsepoche der Völker
entspricht nach Comte die Theologie, und wenn sie sich auch noch so lange er¬
hält, so beruht dies nur auf einer Art Schichtenbildung, welche ja auch erlaubt,
daß der wilde Zustand neben der Cultur oder etwas ihm Aehnliches innerhalb
der Civilisation vertreten sei. Hierzu kommt noch, daß man die in die späteren
Epochen hineinreichende theologische Auffassung nicht mit der Naivetät und Ueber
zeugungskraft der ursprünglichen Anschauung verwechseln darf. Die spätere Theo¬
logie ist bereits von der Metaphysik durchzogen und mehr oder minder zersetzt.
Sie ist nicht mehr jener Inbegriff von unzweideutigen Conceptionen der Phan¬
tasie, sondern bereits stark vom Verstände angegriffen und durch metaphysisch
philosophische Erklärungen und Deutungen entartet. Auch beansprucht Comte
mit seiner Eintheilung in Stadien, Epochen oder Zeitalter durchaus keine streng
historische Abtheilung. Bei den verschiedenen Völkern werden die verschiedenen
Stufen in sehr verschiedenen Zeiträumen durchlaufen, und nur eine ganz im
Allgemeinen bleibende Betrachtung kann allenfalls Weltperioden abgrenzen wol¬
len. Außerdem soll das comtesche Entwicklungsgesetz auch für den Einzelnen
gelten, insofern sich dieser überhaupt in einer Umgebung befindet, die ihm das
Aufsteigen zu den höheren Stufen möglich macht. Die nach Comte stattfindende
Abfolge der Ideen, vermöge deren mit der rohen theologischen und zwar zuerst
mit der fetischmäßigen Auffassung der Dinge und der Natur begonnen wird,
ist daher als eine Art Schema zu betrachten, zu dem die Bestimmung der Zeit¬
abschnitte als etwas ganz Untergeordnetes hinzukommt. Wir dürfen also kei¬
nen Anstoß daran nehmen, wenn die der Kindheit des Geschlechts zugeordnete
Theologie auch noch in dein reifsten Stadium eine Rolle spielt und bei Einzel-


formen des politischen Daseins in Beziehung seht. Wir müssen nun erst seine
auf die Metaphysik bezügliche Anschauung kennen lernen, ehe wir seine politische
Ansicht gehörig auseinandersetzen können.

Wir sind bei uns in Deutschland an geschichtsphilosophische Schcmatisirun-
gen so sehr gewöhnt und derselben wohl schon so überdrüssig, daß es einer Ent¬
schuldigung zu bedürfen scheint, wenn man dergleichen auch noch vom Auslande
einführt. Doch ist die comtesche Auffassung, welche sich zunächst ans das Schick¬
sal der religiösen und metaphysischen Vorstellungen bezieht, durchaus nicht so
niederer Art, daß sich nicht ebenfalls auch ein Theil der neusten Wendungen
der deutschen Philosophie aus ihr erklären ließe. Die ganze Epoche, welche
man als die der Reaction gegen das kantesche System und als Restauration
des theologischen Geistes bezeichnen kann, würde nach der comtcschen Schema-
tisirung in das Zeitelter der eigentlichen Metaphysik gehören, in welchem es
noch keine kritisch positive Philosophie giebt. Halten wir uns jedoch bei diesen Be¬
ziehungen nicht auf und entwickeln wir die einfache Vorstellung des französischen Den¬
kers. Comte nimmt drei Entwicklungsstadien an, nämlich das U) eologis es e, das
metaphysische und schließlich das positiv e. — Der Kindheitsepoche der Völker
entspricht nach Comte die Theologie, und wenn sie sich auch noch so lange er¬
hält, so beruht dies nur auf einer Art Schichtenbildung, welche ja auch erlaubt,
daß der wilde Zustand neben der Cultur oder etwas ihm Aehnliches innerhalb
der Civilisation vertreten sei. Hierzu kommt noch, daß man die in die späteren
Epochen hineinreichende theologische Auffassung nicht mit der Naivetät und Ueber
zeugungskraft der ursprünglichen Anschauung verwechseln darf. Die spätere Theo¬
logie ist bereits von der Metaphysik durchzogen und mehr oder minder zersetzt.
Sie ist nicht mehr jener Inbegriff von unzweideutigen Conceptionen der Phan¬
tasie, sondern bereits stark vom Verstände angegriffen und durch metaphysisch
philosophische Erklärungen und Deutungen entartet. Auch beansprucht Comte
mit seiner Eintheilung in Stadien, Epochen oder Zeitalter durchaus keine streng
historische Abtheilung. Bei den verschiedenen Völkern werden die verschiedenen
Stufen in sehr verschiedenen Zeiträumen durchlaufen, und nur eine ganz im
Allgemeinen bleibende Betrachtung kann allenfalls Weltperioden abgrenzen wol¬
len. Außerdem soll das comtesche Entwicklungsgesetz auch für den Einzelnen
gelten, insofern sich dieser überhaupt in einer Umgebung befindet, die ihm das
Aufsteigen zu den höheren Stufen möglich macht. Die nach Comte stattfindende
Abfolge der Ideen, vermöge deren mit der rohen theologischen und zwar zuerst
mit der fetischmäßigen Auffassung der Dinge und der Natur begonnen wird,
ist daher als eine Art Schema zu betrachten, zu dem die Bestimmung der Zeit¬
abschnitte als etwas ganz Untergeordnetes hinzukommt. Wir dürfen also kei¬
nen Anstoß daran nehmen, wenn die der Kindheit des Geschlechts zugeordnete
Theologie auch noch in dein reifsten Stadium eine Rolle spielt und bei Einzel-


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[0270] formen des politischen Daseins in Beziehung seht. Wir müssen nun erst seine auf die Metaphysik bezügliche Anschauung kennen lernen, ehe wir seine politische Ansicht gehörig auseinandersetzen können. Wir sind bei uns in Deutschland an geschichtsphilosophische Schcmatisirun- gen so sehr gewöhnt und derselben wohl schon so überdrüssig, daß es einer Ent¬ schuldigung zu bedürfen scheint, wenn man dergleichen auch noch vom Auslande einführt. Doch ist die comtesche Auffassung, welche sich zunächst ans das Schick¬ sal der religiösen und metaphysischen Vorstellungen bezieht, durchaus nicht so niederer Art, daß sich nicht ebenfalls auch ein Theil der neusten Wendungen der deutschen Philosophie aus ihr erklären ließe. Die ganze Epoche, welche man als die der Reaction gegen das kantesche System und als Restauration des theologischen Geistes bezeichnen kann, würde nach der comtcschen Schema- tisirung in das Zeitelter der eigentlichen Metaphysik gehören, in welchem es noch keine kritisch positive Philosophie giebt. Halten wir uns jedoch bei diesen Be¬ ziehungen nicht auf und entwickeln wir die einfache Vorstellung des französischen Den¬ kers. Comte nimmt drei Entwicklungsstadien an, nämlich das U) eologis es e, das metaphysische und schließlich das positiv e. — Der Kindheitsepoche der Völker entspricht nach Comte die Theologie, und wenn sie sich auch noch so lange er¬ hält, so beruht dies nur auf einer Art Schichtenbildung, welche ja auch erlaubt, daß der wilde Zustand neben der Cultur oder etwas ihm Aehnliches innerhalb der Civilisation vertreten sei. Hierzu kommt noch, daß man die in die späteren Epochen hineinreichende theologische Auffassung nicht mit der Naivetät und Ueber zeugungskraft der ursprünglichen Anschauung verwechseln darf. Die spätere Theo¬ logie ist bereits von der Metaphysik durchzogen und mehr oder minder zersetzt. Sie ist nicht mehr jener Inbegriff von unzweideutigen Conceptionen der Phan¬ tasie, sondern bereits stark vom Verstände angegriffen und durch metaphysisch philosophische Erklärungen und Deutungen entartet. Auch beansprucht Comte mit seiner Eintheilung in Stadien, Epochen oder Zeitalter durchaus keine streng historische Abtheilung. Bei den verschiedenen Völkern werden die verschiedenen Stufen in sehr verschiedenen Zeiträumen durchlaufen, und nur eine ganz im Allgemeinen bleibende Betrachtung kann allenfalls Weltperioden abgrenzen wol¬ len. Außerdem soll das comtesche Entwicklungsgesetz auch für den Einzelnen gelten, insofern sich dieser überhaupt in einer Umgebung befindet, die ihm das Aufsteigen zu den höheren Stufen möglich macht. Die nach Comte stattfindende Abfolge der Ideen, vermöge deren mit der rohen theologischen und zwar zuerst mit der fetischmäßigen Auffassung der Dinge und der Natur begonnen wird, ist daher als eine Art Schema zu betrachten, zu dem die Bestimmung der Zeit¬ abschnitte als etwas ganz Untergeordnetes hinzukommt. Wir dürfen also kei¬ nen Anstoß daran nehmen, wenn die der Kindheit des Geschlechts zugeordnete Theologie auch noch in dein reifsten Stadium eine Rolle spielt und bei Einzel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/270>, abgerufen am 25.08.2024.